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Brand- und Marketingtag

«Wer stehen bleibt, wird überrollt»

«Vor dem Fall» lautete das Motto des erstmals gemeinsamen Brand- und Marketingtages. Das BT hat die interessantesten Fälle zusammengefasst - von der Marke ohne Produkt bis zum Produkt als Megatrend.

Daniel Bloch, CEO von Camille Bloch, stellte «Ragusa blond» als Erfolgsfall dar. Photopress/Stefan Weber

Theo Martin

«Vor dem Fall» kann vieles bedeuten: Glücksfall, Abfall, Reinfall, Kriminalfall, Erfolgsfall, Härtefall und sogar Zerfall. Im Berner Kursaal haben am Dienstag elf Referenten und Talkgäste erklärt, was «vor dem Fall» für sie bedeutet.

 

Der mysteriöse Fall

Miles Koeder - ein Pseudonym - stammt aus einer Berufsfischerfamilie. Seit seiner Kindheit in Lüscherz am Bielersee zeichnet er Hechte, immer auf der Suche nach der perfekten Form. So wurde der Hecht zu seinem Markenzeichen. Als Anwaltspraktikant lernte er 2003 die Markenwelt der Zürcher Bahnhofstrasse kennen. Das Phänomen, wie Marken zum Preistreiber werden, hat ihn sofort fasziniert. Und so fragte er sich, ob Leute für eine Marke Geld ausgeben würden, bei der kein Produkt und keine Dienstleistung dahintersteht. Koeder hat damit den Markenbegriff auf die Spitze getrieben. Seit neun Jahren ist der Hecht nun in ganz unterschiedlichen Facetten und Konstellationen zu sehen. Koeder sucht laufend neue Umsetzungen - denn der Hecht ist inzwischen eine etablierte Marke.

 

Der Erfolgsfall

70 Jahre nach der Gründung hat die Marke Ragusa Kultstatus. Das Hauptprodukt der Camille Bloch SA in Courtelary hat eine klare Identität in einem allerdings stagnierenden Markt. CEO Daniel Bloch wollte deshalb ein neues Lebensgefühl auf den Markt bringen und damit einen neuen Trend setzen. Ragusa als echtes Schweizer Original durfte nicht abgewertet werden, wollte aber als Klassiker innovativ bleiben. Nach vielen Varianten und Irrläufern hat Daniel Bloch die zündende Idee schliesslich per Zufall in Quebec gefunden. Seither habe der Erfolgsfall «Ragusa blond» die Marke verjüngt.

 

Der Zerfall

Sascha Lobo war Vorreiter der Digital Natives und gilt heute als Enfant terrible des Internets. Durch sein auffälliges Auftreten ist er eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Szene - und neuerdings auch ein Warner. «Entscheiden» ist für Lobo nach «Fall» das zweitwichtigste Wort, denn die Menschheit müsse sich entscheiden, da Überwachung das Businessmodell des Internets geworden sei. Die ganze Gesellschaft transferiere sich ins Digitale. Die Menschen teilten freiwillig alle möglichen Daten. Datenbegeisterung und Analyse seien inzwischen tief ins Marketing eingedrungen, so Lobo. Die Vermessung von Verhalten aber sei problematisch. Heute wird aus dem Verhalten der Vergangenheit das künftige Verhalten berechnet. Das Missbrauchspotenzial der Überwachung ist für Lobo gross. Das müsse in der Gesellschaft dringend diskutiert werden. Denn beispielsweise werde es künftig möglich, einer Frau Kosmetik genau an jenem Tag anzubieten, an dem sie sich im Wochendurchschnitt am schlechtesten fühlt. Es sei falsch zu glauben, dass immer mehr Informationen zu besseren Entscheiden führen, folgert Lobo. Würden Auswüchse nicht verhindert, könnten wir eines Tages via Zahnbürste unter Druck gesetzt werden, noch zwei Minuten die Zähne zu putzen, ansonsten die Zusatzversicherung gekündigt werde.

 

Der Handelsfall

«Wir schauen nur auf Wettbewerber», warnte Handelsexperte Stephan Jung, dabei seien schon immer ganze Industrien untergegangen, weil es Innovationen gab. Jung zeigte das am Beispiel der Kerzen, die von Öllampen abgelöst wurden, denen die Glühbirne folgte, die von der Sparlampe abgelöst wurde. Ein aktuelles Beispiel sind 3-D-Drucker, die es seit 30 Jahren gibt. Ein solches Produkt wird zuerst belächelt, dann ignoriert, später bekämpft, bis klar wird, «dass es funktioniert». So werde es schon bald Pizza aus dem 3-D-Drucker geben - «ob wir das essen wollen, ist aber eine andere Frage». Laut Jung analysiert Walmart 50 Millionen Kundendaten pro Stunde - und habe nur deswegen den Megatrend «Pop Cake» in allerletzter Minute erkannt. Jungs Fazit: «Wer stehen bleibt, wird überrollt».

 

Der Extremfall

Für Extremsportler Remo Läng ist der Flug mit dem Wingsuit ähnlich wie Velofahren. Jeder Fussballspieler sei gefährdeter als er. Läng begründet das mit seiner Vorsicht und dem Training. Von einem Felsen zu springen sei die Königsdisziplin. Bevor er an den Fels gehe, übe er einen Sprung aber mindestens 70 Mal aus dem Flugzeug heraus. Andere Abenteurer, von denen jeweils am Montag in der Zeitung zu lesen sei, wagten sich mit neuem Gerät ohne jeden Test an den Felsen.

 

Der Härtefall

Valentin Landmann ist einer der schillerndsten Strafverteidiger der Schweiz. Er sprach über «Desaster Management», insbesondere über die Wahrnehmung des Auftritts in der Öffentlichkeit, wenn der Straffall bereits läuft. Oft wollten Beteiligte die Öffentlichkeit aufhalten. Erfahrungsgemäss mache es aber wenig Sinn, das Medieninteresse aufzuhalten. Wichtig sei zudem das Tempo: Soll man aktiv sein oder reagieren, wenn erste Gerüchte auftauchen? Das hängt laut Landmann auch von der Gegenseite ab. Viele Geschädigte würden nicht schweigen. Umgekehrt gäben insbesondere Firmen sehr ungern zu, dass sie Opfer geworden seien. Viele Wirtschaftsdelikte würden daher gar nicht angezeigt. Landmanns Grundsätze: Auf keinen Fall lügen oder wesentliche Fakten zurückhalten, die Situation möglichst rasch und umfassend offenlegen. Und: Das Statement soll etwas über das Empfinden der Person und den Hergang sagen.

 

Biel und Bern vereint

 

Seit diesem Jahr sind die beiden etablierten Anlässe «Berner Marketingtag» und «Seeländer Marketing-Event» in der grössten Kommunikationsveranstaltung im Espace Mittelland aufgegangen (vgl. «Bieler Tagblatt» vom letzten Mittwoch, 15. Oktober). Abwechselnd in Bern und Biel stattfindend, bietet der neue Brand- und Marketing-Tag eine grössere Plattform für eine breitere Zielgruppe von Teilnehmern und Partnern. Die Themenliste enthält die Disziplinen Markenführung, Werbung, Kommunikation und marktorientierte Unternehmungsführung.

Im nächsten Jahr wird der Anlass in Biel stattfinden. Dann soll auch eine Auszeichnung für kreative und erfolgreiche Sponsoring-Aktionen verliehen werden. Präsidentinnen des Brand- und Marketingtages sind die Bernerin Bala Trachsel (Republica) und die Seeländerin Andrea B. Roch («business4you AG»).

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