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Berner Fachhochschule

Wie das Smartphone den Patienten hilft

Medikationshilfe für Sehbehinderte, Auskünfte von Claire in virtueller Umgebung: Morgen zeigen Absolventinnen und Absolventen der Medizininformatik ihre Abschlussarbeiten in Bern.

Tanja Nedovic und Nesljihan Umeri-Sali (v.l) haben am mobilen Medikationsmanagement gearbeitet. Bild: Tobias Graden

Tobias Graden

Dora Graber wird dieses Jahr 74, und langsam drückt ihr Alter auf die Gesundheit. Jedenfalls muss sie mehrere Medikamente einnehmen, und zwar in unterschiedlicher Dosis, in unterschiedlichem Rhythmus. Wie soll sie sich bloss merken, wann sie welche Tablette einnehmen muss? Und ist nicht die eine Packung schon bald leer?

Die App erinnert...
Nesljihan Umeri-Sali und Tanja Nedovic wissen (der fiktiven) Dora Graber zu helfen. Die beiden Frauen schliessen gerade das berufsbegleitende Studium der Medizininformatik an der Berner Fachhochschule Technik und Informatik in Biel ab. Morgen stellen sie in Bern ihre Bachelor-Arbeit vor: Eine App, die ein mobiles Medikationsmanagement ermöglicht. Dora Graber könnte mit diesem Begriff wohl nicht viel anfangen, doch wenn sie die App diszipliniert und konsequent nutzt, muss sie nicht mehr selber an ihre Pillen denken.

«My-Pills» heisst die Applikation denn auch, sie basiert auf dem Medikationsplan «eMediplan», der von der HCI Solutions AG technisch umgesetzt wurde. Nesljihan Umeri-Sali und Tanja Nedovic arbeiten bei dieser Galenica-Tochter. Die App könnte auch in das Umfeld des elektronischen Patientendossiers (EPD) eingebettet werden. Es gilt als ziemlich sicher, dass Anwendungen wie «My-Pills» zunehmend Verbreitung finden, auch bei älteren Menschen: «Meine Eltern sind um die 70», sagt Umeri-Sali, «und in der Anwendung von Apps versiert.»

...und liest vor
«My-Pills» also liest den QR-Code vom «eMediplan» ein und ist von nun an zuverlässiger Begleiter von Patientin Graber. Die App erinnert sie an die Einnahme der Tabletten, sie weiss, wann eine neue Medikamentenbestellung fällig ist oder wann ein Rezept ausläuft. Ein Kauf oder der Kontakt zum Arzt kann mit einer Fingerbewegung erledigt werden.

Falls Dora Graber sehbehindert ist, nützt ihr «My-Pills» doppelt. Jegliche in der App enthaltenen Informationen kann sich Graber nämlich vorlesen lassen. Und braucht sie ein neues Medikament, hilft «My-Pills» beim Einlesen in das System. Um die Bedürfnisse von Blinden und Sehbehinderten so gut wie möglich erfüllen zu können, haben Umeri-Sali und Nedovic mit dem Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverband zusammengearbeitet und während der Entwicklung nebenher eine Lücke in der verwendeten Programmiersprache entdeckt, die aber bald behoben werden soll

In genau der vorgestellten Version wird die App nicht erhältlich sein, denn HCI Solutions hat bereits ein Produkt auf dem Markt. Dieses wird aber um die von Umeri-Sali und Nedovic entwickelten neuen Funktionalitäten ergänzt werden, insbesondere die Hilfen für Sehbehinderte – die Dora Grabers der Zukunft werden es zu schätzen wissen.

Befragen statt lesen
Eher jünger ist die mögliche Hauptzielgruppe der Abschlussarbeit von Richard May. «Gerade Jugendliche und junge Erwachsene mögen sich nicht lange durch Patientenbroschüren lesen», sagt er – doch es ist nicht minder wichtig, ihnen die nötigen Informationen etwa bei einem Spitaleintritt zu vermitteln. Dafür hat er einen neuen Ansatz gefunden: Eine Virtual-Reality-Umgebung, durch die sich der Patient bewegen und allenthalben Fragen stellen kann, die mit seiner Situation zusammenhängen.

Das System funktioniert über eine App. Das Smartphone lässt sich dann in ein so genanntes Cardboard einstecken – eine Art kleine Kartonschachtel, die in Verbindung mit dem Handy zur VR-Brille wird – eine kostengünstige Lösung. Der Patient kann sich alsbald an einen virtuellen Charakter namens Claire wenden, der ihm die nötigen Informationen überbringt. Die Bedienung ist denkbar einfach: Der Patient kann den virtuellen Charakter schlicht ansprechen.

Kooperation mit Inselspital
Denkbar ist die Kombination der Informationsvermittlung mit Spiel-Elementen: Wenn eine bestimmte Anzahl Fragen gestellt und beantwortet sind, wird der Nutzer belohnt, und seine Behandlung kann voranschreiten.

Für die Entwicklung hat May mit dem Inselspital zusammengearbeitet und eine kleine Studie mit 30 Probanden durchgeführt. Das Echo sei durchwegs positiv gewesen, sagt er. Die unmittelbare Anwendung steht aber noch nicht bevor, dazu müsste unter anderem zuerst eine Ethik-Kommission darüber befinden. May, Gaststudent der Hochschule Harz, wird sein Projekt aber auf jeden Fall weiterverfolgen, er sieht Potenzial auch ausserhalb medizinischer Anwendungen.

Heikle Balance
Einig sind sich alle Beteiligten, dass das berufsbegleitende Studium der Medizininformatik einiges abverlangt. «Es ist nicht einfach, die Balance zwischen Arbeit und Studium zu finden und auch noch etwas Privatleben zu haben», sagt Tanja Nedovic. Zweifellos habe sie das Studium aber beruflich weitergebracht, sagt die gelernte Medizinische Praxisassistentin. Studienleiter Michael Lehmann pflichtet diesem Befund bei – und fügt an, dass die in Biel geleistete Arbeit durchaus beachtet werde. Davon zeugen die Erfolge am letztjährigen Fachkongress in Berlin: Unter hunderten Projekten belegten zwei aus Biel in der Prämierung die Plätze 1 und 3.

Info: Techday Informatik und Medizininformatik, morgen 8 bis 18 Uhr, Wankdorffeldstrasse 102, Bern. In Burgdorf findet gleichzeitig der Techday weiterer Disziplinen statt.

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