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Berufsbildung

Wie Lernende die Krise bewältigen

Angesichts des Distanzunterrichts und geschlossener Betriebe ist es erneut ein schwieriges Jahr für die Lernenden. Viel Druck lastet offenbar auf den jungen Fachkräften in Spitälern und Heimen.

Fernunterricht: Für Lernende in praktischen Berufen eine besondere Herausforderung. Bild: Keystone

Manuela Schnyder

Im Novotel Bern Expo herrscht geschäftige Stimmung. Gäste sitzen am Tisch, Restaurantfachleute wuseln um sie herum. Was aussieht wie ein normaler Restaurantbetrieb, ist aber eine gestellte Szenerie. Restaurants sind ja bekanntlich coronabedingt geschlossen. Sowohl das Publikum als auch das Personal besteht deshalb aus Lernenden, die hier für ihre Ausbildung und die Abschlussprüfung üben: «Wir haben für unseren Nachwuchs mehrere dreitägige Trainingseinheiten organisiert, unter anderem auch im Hotel Weisses Kreuz in Lyss oder im Hotel Bären in Langenthal», sagt Matthias Achtnich, Geschäftsführer von Hotel & Gastro Formation Bern. Prioritär üben dort angehende Köche und Köchinnen, Restaurant- oder Hotelfachleute aus den Abschlussklassen. Aber auch jene aus dem zweiten und ersten Lehrjahr trainieren in kleinen Gruppen mit den Berufsbildnern für ihren Beruf. «Natürlich ist das nicht das Gleiche wie der reguläre Arbeitsalltag im Betrieb», sagt Achtnich.

Für die aktuellen Lehrabgängerinnen und -abgänger in der Hotellerie und im Gastgewerbe ist es zudem bereits der zweite Lockdown, der ihnen die Arbeit mit echten Gästen verwehrt. Achtnich ist aber überzeugt: «Die Lernenden werden so in der Lage sein, sich später im Betrieb schnell einzufinden. Ausgelernt hat man nie.»

 

Lernende laufen am Limit

Im Raum Biel, wo es vergleichsweise viele Altersheime gibt, können mehrere Lernende ihr Handwerk vorübergehend auch anderswo erlernen: «Wir haben das Glück, dass unsere Kochlehrlinge im Altersheim Ins und in der Klinik Bethesda in Tschugg ihre Ausbildung weiterführen können», sagt beispielsweise Sven Rindlisbacher, Inhaber des Restaurants Drei Fische in Lüscherz. Es sei wichtig, die Ausbildung des Nachwuchses aufrechtzuhalten, um auch den Fortbestand der Branche zu sichern. Und nicht nur der Berufsverband aus der Gastrobranche ist in der aktuellen Situation versucht, seinem Nachwuchs so gut wie möglich eine solide Ausbildung zu ermöglichen.

Auch beispielsweise im Fitness- und im Eventbereich oder im Detailhandel werden momentan Praxiseinheiten organisiert, damit sich die Lernenden auf ihren Berufsabschluss vorbereiten können: «Die Berufsbildner profitieren aktuell von Kurzarbeit und können im Rahmen solcher Ersatzformate weiterhin ausbilden. Wir hoffen natürlich, dass dadurch keine grossen Bildungslücken entstehen. Im Vergleich zum letzten Jahr werden nämlich die Prüfungen fast ausschliesslich regulär stattfinden», sagt dazu Christine Davatz, Vizedirektorin des Schweizerischen Gewerbeverbands und Mitglied der nationalen Taskforce Perspektive Berufslehre.

Eine Ausnahme ist der Gesundheitssektor: Im deutschsprachigen Teil des Kanton Berns finden in diesem Jahr unter anderem wegen der Hygienevorschriften keine individuellen praktischen Arbeiten statt, weshalb spezifische Kompetenzen der Lernenden anhand eines nationalen Bewertungsrasters betriebsintern geprüft werden, wie Bildungsverantwortliche Rebekka Gfeller von der Klinik Bethesda erklärt. «Die jungen Leute fühlen sich sehr gefordert, da nun während sechs Wochen nochmals genauer hingeschaut wird. Dabei ist die Psyche der jungen Leute ohnehin schon stark beansprucht», sagt Gfeller und spricht dabei auch vom Distanzunterricht.

«Wer sich für den Gesundheitsberuf entscheidet, der will praktisch Arbeiten. Wenn der überbetriebliche Kurs im Homeoffice stattfindet und nicht mit direkter Hilfe vor Ort, ist der Theorie-Praxistransfer stark gefährdet, zum Beispiel das Handling einer Blutentnahme via Computer zu üben, das ist fast nicht umsetzbar und das merken wir jetzt auf den Abteilungen», sagt sie. So haben auch nicht alle Lernenden zuhause eine lernfreundliche Umgebung – beispielsweise wenn jüngere Geschwister zuhause sind.

Dass die Fachangestellten Gesundheit coronabedingt vergleichsweise stark gefordert sind, bestätigt Christian Bürki, seit Anfang Jahr Interimsrektor des Berufsbildungs- und Weiterbildungszentrums (BWZ) in Lyss: «Wir haben wahrgenommen, dass die Lernenden im Gesundheitswesen manchmal Mühe bekundeten, sich mit dem Schulstoff zu befassen.» Das zeigte sich unter anderem in den unbenoteten Lernkontrollen, die die Schule aufgrund der während des Lockdowns eingeführten Distanzunterrichts in den Berufsklassen durchführte. Wo Wissenslücken aufgedeckt wurden, haben die Schüler und Schülerinnen laut Bürki Repetitionsmöglichkeiten.

 

Rekrutierung ist schwieriger

Wie der Rektor betont, haben die Schülerinnen und Schüler über alle Berufe gesehen gemäss den Tests die Lernziele aber überwiegend erreicht. Die Schule habe angesichts der Digitalisierung schon vor der Krise die Lehrkräfte im Einsatz von digitalen Medien geschult. Die Schüler und Schülerinnen seien sich zudem schon länger gewohnt, auch im Unterricht am Laptop zu arbeiten, was die Umstellung auf Fernunterricht unterstützt habe, sagt Bürki.

Während die Bildungsverantwortlichen und Berufsbildner ihre Auszubildenden also auf die Prüfungen vorbereiten, sind sie gleichzeitig auch dabei, die im Sommer frei werdenden Lehrstellen neu zu besetzen: «Normalerweise haben wir alle unsere Lehrstellen Ende Oktober vergeben, in diesem Jahr haben wir nicht mal im März alle Lehrverträge gezeichnet», sagt etwa Gfeller von der Klinik Bethesda. Dasselbe gilt etwa auch bei andern Betrieben in der Region. «Wer entscheidet sich denn schon für einen Beruf, den er noch nie erleben durfte?»

Demnach konnten angesichts der behördlichen Massnahmen offenbar auch weniger Schnuppermöglichkeiten angeboten werden: «In gewissen Branchen gibt es dadurch bei der Rekrutierung sicher einen Nachholbedarf», bestätigt auch Daniel Reumiller, Leiter der Berufsberatungs- und Informationszentren im Kanton Bern. Dass die jungen Leute angesichts der schwierigen Lage in gewissen Branchen auf andere Berufe ausweichen, glaubt er indes nicht: «Einen Plan B zu haben ist immer gut. Wir ermuntern die Jugendlichen aber, sich nicht zu sehr von einer Momentaufnahme ablenken zu lassen und sich für den Wunschberuf zu entscheiden», so Reumiller. Die Unternehmen seien innovativ und typischerweise gebe es ein Überangebot an Lehrstellen, weshalb es auch in diesen Branchen meist genügend Ausbildungsplätze geben dürfte – auch wenn einige Betriebe aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr Lehrstellen anbieten können.

Wie die aktuellen Zahlen der Bildungs- und Kulturdirektion des Kantons Bern zeigen, waren per Ende Februar 2764 offene Lehrstellen gemeldet, rund 200 Lehrstellen weniger als im Vorjahr: «Das ist noch kein drastischer Einschnitt», sagt Peter Sutter, stellvertretender Abteilungsleiter. Die Zahlen sind laut Sutter aber mit Vorsicht zu geniessen, da Betriebe ihre Lehrstelleneingaben noch mutieren können und vielleicht abwarten, wie sich die Lage entwickelt.

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