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Fitnessbranche

«Wir fangen gemeinsam bei null an»

Seit gestern dürfen Fitnessstudios wieder öffnen und auch Gruppenkurse anbieten.
 Ein Besuch im CTS im Bieler Kongresshaus zeigt: Die Menschen haben das Angebot vermisst.

Die Wiederaufnahme der Indoor-Kurse sorgt bei den Teilnehmerinnen und der Kursleiterin gleichermassen für Freude. Bild: Peter Samuel Jaggi

Manuela Schnyder

Es ist Montagmorgen, 8.45 Uhr, im Raum 1 im Fitnesszentrum CTS im Kongresshaus in Biel. Maskentragend holen alle eine Matte und machen sich bereit. Nach so langer Zeit hat die Musikanlage offenbar noch Mühe, in die Gänge zu kommen. Die Instruktorin Fatima Meyer spielt deshalb die Musik auf ihrem Handy ab und legt es auf den Boden: «Ich freue mich sehr, euch heute nach fünf Monaten wieder mal drinnen zu begrüssen», sagt die Pilates-Lehrerin. «Das Gute ist, dass wir alle gemeinsam wieder bei null anfangen können», sagt sie und lacht. Man sieht die mangelnde Übung schon beim Dehnen, wo die Fingerspitzen bei vielen nicht wie üblich die Füsse erreichen: «In drei Monaten können wir das wieder», meint Fatima Meyer.

Es ist der erste Gruppenkurs am heutigen Tag, der dank den Lockerungen des Bundesrats wieder drinnen stattfinden darf. Gleich danach folgen im selben Raum Power Yoga und am Abend nochmals Pilates. Sind es im Pilatus morgens vier Teilnehmer, ist der Yoga-Kurs danach mit sieben Personen schon fast ausgebucht. Wegen der Platzbeschränkung von 15 Quadratmetern pro Person dürfen nämlich maximal acht Personen in dem Raum trainieren: «Die Leute haben lange darauf gewartet, wieder zu kommen, sowohl aus gesundheitlicher als auch aus emotionaler Sicht», sagt Annette Douillet, Geschäftsführerin der CTS.

 

Vor allem Yoga und Pilates

«Ich bin total froh, dass die Gruppenkurse wieder drinnen abgehalten werden», bestätigt eine 63-jährige Pilates-Teilnehmerin. Mit dem kleinen Handydisplay zuhause auf Youtube einen Pilatus-Kurs mitzutrainieren, das sei nicht wirklich praktikabel. Sie habe deshalb im März auch einen Outdoor-Kurs belegt. «Es war drei Grad, ich habe halt Thermokleider und Langlaufjacke angezogen. Aber drinnen ist schon viel angenehmer», sagt die pensionierte Frau, die unter Arthrose leidet. Sie schätzt neben dem Fakt, ihre «Coronakilos» wieder loswerden zu können, vor allem den mentalen Aspekt, andere Leute zu treffen, aus dem Haus zu gehen, eine Routine zu haben: «Zuhause bin ich fast durchgedreht.» Auf die Frage hin, ob sie wegen des erhöhten Ansteckungsrisikos in Innenräumen nicht Angst habe, sich anzustecken, meint sie: «Wir müssen Masken tragen, die Matten müssen wir immer desinfizieren und es hat ja genügend Platz.»

Die Interessensgemeinschaft Fitness Schweiz hat denn auch ein mit dem Bund abgestimmtes Schutzkonzept erarbeitet. So gilt unter anderem Maskenpflicht, genügend Abstand und es dürfen maximal 80 Prozent Personen anwesend sein, wie Trainingsgeräte zur Verfügung stehen. Bei grossen Trainingsflächen, also Flächen von mehr als 25 Quadratmetern pro Person, oder wenn ein dreiseitiger Spuckschutz in Atmungsrichtung installiert wird, darf während des Trainings auf die Maske verzichtet werden.

Bei Gruppenkursen ist die Teilnehmerzahl auf maximal 15 Personen beschränkt, wobei alle den Schutzabstand einhalten müssen. Auch hier kann auf eine Maske verzichten werden, sofern jeder 25 Quadratmeter beziehungsweise bei ruhigen Kursen wie Yoga und Pilates 15 Quadratmeter Platz hat.

Intensivere Kurse wie Body Pump oder Functional-Trainings finden deshalb meist noch draussen statt: «Wir können nicht mehr, als das Ansteckungsrisiko in unserer Infrastruktur zu minimieren. Wir appellieren daher auch sehr an die Eigenverantwortung unserer Besucherinnen und Besucher, beispielsweise den Abstand zu wahren und regelmässig die Hände und die Geräte zu desinfizieren», sagt Annette Douillet.

 

Hauptsaison ist vorbei

Wie viele andere Fitnesscentren hat auch das CTS zuvor ausschliesslich Live-Streaming und seit März Outdoor-Veranstaltungen angeboten: «Anfangs war der Zulauf noch verhalten, aber mit dem schönen Wetter waren vor allem die Outdoor-Kurse sehr gut angekommen», meint Douillet weiter. Den finanziellen Ausfall kann das gut besuchte Outdoor-Angebot allerdings nicht kompensieren. Die Jahresabonnemente wurden um die Zeit des Lockdowns verlängert. Zudem werden die meisten neuen Abos im Winter und Frühling abgeschlossen, weil im Sommer viele draussen Sport machen, Velo fahren und wandern gehen: «Wir haben bislang ein einziges Abo verkauft. Normalerweise hätten wir bis jetzt 40 bis 50 neue Kunden», sagt etwa Rolf Hugi vom Lyssspark Fitness. Allerdings seien nun schon drei Probetermine gebucht worden. «Vielleicht gibt es einen Nachholeffekt. Wir sind da aber sehr zurückhaltend», sagt er.

Ob es sich bei den Fitnesscentren um Corona-Hotspots handelt, ist umstritten. Rolf Hugi meint: «Auf mehr als 450 Fitnesscentren in der Schweiz haben sich gerade mal vier Personen mit Covid infiziert.» Er könne genau sagen, wer, mit wem, wie lange trainiert habe. «In 15 Minuten sind alle betroffenen Personen informiert», betont er und meint, dass Fitnesstrainings dazu beitragen, das Abwehrsystem zu stärken und Stress abzubauen. «Ein gesunder Mensch wird weniger krank. Zudem darf man die psychische Belastung eines Lockdowns nicht vergessen», sagt er.

Die Fitnessbranche erwirtschaftet jährlich einen Umsatz von 1,2 Milliarden Franken. Über das letzte Jahr gesehen, sind den Fitnessstudioinhaber laut dem Branchenverband 400 bis 600 Millionen Franken entgangen. «Mit ein paar Fitness-Videos hat man diesen Verlust nicht eindämmen können», sagt Claude Ammann, Präsident des Schweizerischen Fitness- und Gesundheits-Center Verbandes. Er geht davon aus, dass bis acht Prozent aller Fitnessstudios ihre Rechnungen wie Mieten, Geräte-Leasings oder Sozialleistungen nicht mehr bezahlen können und deshalb nicht überleben werden. Für den Ertragsausfall hat der Verband im Februar eine Schadenersatzklage beim Bund eingereicht. «Angesichts der Platzbeschränkungen wird es auch jetzt für die Fitnesscentren schwierig, ihre Kosten zu decken», so Ammann.

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