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Abstimmung

Wirtschaftsimpulse oder Mogelpackung?

Demnächst wird über die Abschaffung der Stempelsteuer abgestimmt. Bieler Akteure nehmen Stellung.

Am 13. Februar stimmt die Schweiz über die Abschaffung der Stempelsteuer ab. Keystone
Manuela Habegger
 
Am 13. Februar stimmt das Schweizer Stimmvolk unter anderem darüber ab, ob die Emissionsabgabe abgeschafft werden soll oder nicht. Es handelt sich dabei um eine Stempelsteuer, die auf Beteiligungen anfällt. Das heisst, will ein Unternehmen Kapital aufnehmen, zum Beispiel bei seiner Gründung, in Krisenzeiten oder um neue Investitionen zu tätigen, zahlt es auf diesen zugeflossenen Betrag ein Prozent Emissionsabgabe. 
 
Unsinnig, finden die Befürworter aus Wirtschaftsverbänden und bürgerlichen Parteien. Mit dieser Sonderabgabe würden Unternehmen genau dann belastet, wenn sie ohnehin auf Geld angewiesen sind. Die Rahmenbedingungen nicht nur für den Finanzplatz, sondern auch für den Werkplatz und die Innovationskraft würden so geschwächt und damit genau jene Akteure, die Arbeitsplätze sicherten und schafften.
 
Eine Mogelei, findet dagegen die Gegnerschaft von linken Parteien und Gewerkschaften. Sie befürchtet, dass die Steuerausfälle letztlich über eine andere Steuer kompensiert werden müssen, namentlich über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer: «Die Balance zwischen Steuern auf Kapital und Steuern auf Arbeit ist bereits heute aus den Fugen», sagt Johannes Wartenweiler vom Gewerkschaftsbund (SGB) Kanton Bern. Die Abgabe von einem Prozent sei nicht einmal ein fairer Ausgleich angesichts der Tatsache, dass die Mehrwertsteuer aktuell 7,7 Prozent betrage. Finanzgeschäfte seien weitgehend von der Mehrwertsteuer ausgenommen. Es dürfe nicht sein, dass man den Service Public einseitig aus den Steuereinnahmen der natürlichen Personen finanzieren müsse. 
 
2300 Unternehmen betroffen
 
Eine grosse Frage in dieser Debatte ist, wer denn überhaupt von der Emissionsabgabe belastet wird. Es gilt dabei eine Freigrenze von einer Million Franken; erst ab diesem Betrag müssen die Abgaben entrichtet werden: «Die Abgabe belastet vor allem die grossen Akteure des Finanzplatzes», sagt der Gewerkschafter – und verweist auf die Zahlen des Bundesamts für Statistik. Demnach haben in der Schweiz zuletzt etwa 2300 Firmen Emissionsabgaben zahlen müssen. Wartenweiler schätzt die Gesamtzahl der Schweizer Unternehmen auf 600 000.
«Die Freigrenze gilt nicht pro Kapitalerhöhung, sondern bezieht sich auf die ganze Lebensdauer der betroffenen Gesellschaft. Diese Grenze hat eine Firma schnell erreicht», sagt dagegen Fabian Engel, Präsident des Handels- und Industrievereins (HIV), Sektion Biel-Seeland. Gemäss den Zahlen fliessen zwar mehr als die Hälfte der rund 250 Millionen Franken, die jährlich an Emissionsabgabe bezahlt werden, von Grosskonzernen an den Bund. Zahlenmässig sind aber auch viele kleine und mittlere Unternehmen betroffen. Konkret sind 90 Prozent der betroffenen Unternehmen KMUs, also ungefähr 2000. 
 
Die Stempelsteuer schade den KMU, und belaste insbesondere auch forschungsintensive Start-ups, noch bevor diese überhaupt Gewinn erzielen, sagt Fabian Engel. Die Region sei als Hotspot von Innovationen bekannt. «Solche Steuerrelikte schwächen die Innovationskraft, den Wirtschaftsstandort Schweiz und die Region Biel-Seeland-Berner Jura ganz speziell», sagt er.
 
 «Wir sehen in der Praxis in der Tat Fälle, in denen die Emissionsabgabe eine Belastung darstellt», sagt dazu Regina Schlup, Steuerexpertin bei der auch in Biel tätigen Treuhandfirma BDO. Will ein Unternehmer eigenes Kapital in die Firma einschiessen, indem er zum Beispiel auf einen Teil seines Lohnes verzichtet, ist auf diesem Betrag die Emissionsabgabe geschuldet. Die immer wieder zitierte Freigrenze von einer Million Franken gelte nämlich nur auf dem Nominalwert von neuen oder zusätzlichen Aktien. Um keine Emissionsabgaben zu zahlen, müsste das Aktienkapital erhöht werden, maximal auf eine Million Franken, was jedoch wegen der dafür erforderlichen notariellen Beurkundung und Änderung im Handelsregister teuer und aufwändig ist.
 
Start-ups  wandern ab
 
Auch Jungunternehmen werden laut Schlup eingeschränkt. Sie gründen mit eigenem Geld oder Privatdarlehen eine Gesellschaft. Ist dann weiteres Kapital notwendig, um zum Beispiel ein Produkt zur Marktreife zu bringen, findet sich laut Schlup kaum eine Bank, welche einen Kredit gibt. «In dieser Phase steigen oft Investoren ein. Sind sehr hohe Investitionen notwendig, zum Beispiel für die Forschung, werde die Freigrenze von einer Million Franken schnell überschritten», sagt sie. Start-ups wandern nicht selten ins Ausland ab, wo notwendiges Kapital nicht mit Emissionsabgaben belastet wird, wie Schlup beobachtet.
 
Belastet werden auch krisengebeutelte Unternehmen, wie Schlup sagt. Bei in Schieflage geratenen Unternehmen mit meist aufgebrauchten Reserven lassen Unternehmer oft eigenes Geld einfliessen. Von der Emissionsabgabe befreit sei aber nur jener Betrag, der für die Deckung von Verlusten verwendet werde. Das führe dazu, dass Unternehmer und Unternehmerinnen die Verluste später nicht mehr mit allfälligen Gewinnen decken und sich ihr Kapital auch nicht mehr zurückzahlen können: «Damit wird der Gesellschafter quasi dafür bestraft, wenn er der Gesellschaft in einer Krise mit eigenem Vermögen hilft.»
 
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Kommentar: Was wir nicht messen können
 
Die Emissionsabgabe ist ein Teil der Stempelsteuer. Zu ihr gehört auch die Umsatzabgabe, die beim Handel mit Wertpapieren anfällt, sowie der Versicherungsstempel, der auf Versicherungsprämien verrechnet wird. Insgesamt fliessen dem Bund durch die Stempelsteuer jährlich rund 2,2 Milliarden Franken zu. Die Emissionsabgabe ist mit rund 250 Millionen eine verhältnismässig kleine Steuer und beträgt etwa drei Promille des Bundesbudgets. Dennoch muss darüber befunden werden, ob die Sonderabgabe volkswirtschaftlich sinnvoll ist oder nicht. Die Gegnerschaft aus dem linken Lager führt den Abstimmungskampf auf emotionaler Ebene und hat damit gemäss den Umfragen Erfolg. Als Hauptargument wird ins Feld geführt, dass die Steuerausfälle von 250 Millionen Franken letztlich von den Bürgern und Bürgerinnen getragen werden müssen, nämlich über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. 
 
Damit schauen die Gegner aber tief in die Glaskugel. Vernachlässigt werden die Mehreinnahmen, die die Abschaffung der Emissionsabgabe in sich birgt. Diese sind zwar nicht direkt messbar, was aber nicht heisst, dass sie nicht vorhanden sind. So hat das Basler Forschungsinstitut BAK Economics die Auswirkungen von Stempelabgaben und Verrechnungssteuern auf die Volkswirtschaft unter die Lupe genommen. 
 
Das Institut kommt zum Schluss, dass das gegenwärtige System von Stempelsteuern und Verrechnungssteuern ineffizient ist und die Finanzierungsentscheidungen von Firmen tatsächlich so beeinflusst, dass es mehr schadet als nützt. Zum Beispiel wandern Start-ups für die Finanzierung verstärkt ins Ausland ab. Umgekehrt werden ausländische Geldgeber gehemmt, in der Schweiz zu investieren. Gemäss ihrem Hauptszenario würde eine Revision das Bruttoinlandprodukt innerhalb der nächsten zehn Jahre um rund 1,4 Prozent steigern und 22'000 neue Arbeitsplätze schaffen.
 
Die Emissionsabgabe ist Teil dieses ineffizienten Systems, wenn auch nur ein kleiner. Um die Innovationstätigkeit von Unternehmen in der Schweiz zu fördern, gehören die Fehlanreize abgeschafft. Die Impulse werden die Steuerausfälle mittelfristig mehr als decken können.
 

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