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«Ear We Are»

Fernöstliche Poesie und wildgewordener Blues

Die neunte Ausgabe von «Ear We Are» war reich an Höhepunkten und hinterlässt bei Machern, Publikum und Musikern zufriedene Gesichter.

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von Rudolf Amstutz

Da ragte sie nun empor, scheinbar undurchdringbar, als hätte Richard Serra eine seiner wuchtigen Skulpturen inmitten der Alten Juragarage errichtet. Wenn Keiji Haino mit seiner Gitarre Klangarchitekturen baut, dann wird dies für das Publikum auch zum physischen Erlebnis. Mit seinen silbergrauen, langen Haaren stand er, der in der internationalen NoiseSzene vergöttert wird wie kein Anderer, inmitten dieser von ihm geschaffenen voluminösen Architektur und begann sie in der Folge wie ein Magier Stück für Stück zu bearbeiten, in dem er subtil Akkorde setzte und diese dann fein säuberlich auf der Oberfläche dieses gewaltigen Monstrums skizzierte.

All jene, die mit der Überzeugung an diesen Auftritt kamen, dass Noise in der Musik schlicht nur Lärm bedeute, wurden eindrücklich eines Besseren belehrt. Keiji Haino ist ein Lyriker, der der rohen Gewalt wundersame Poesie entgegensetzt; Stille und Demut an musikalischen Orten formuliert, die man nicht für möglich gehalten hätte. «Eigentlich bin ich kein Gitarrist, sondern Sänger» hat er immer wieder verlauten lassen. Keiji Haino ist beides und noch viel mehr: wie er völlig unvermittelt seine gigantischen Klangmauern fallen liess, um mal tief rochelnd oder mit glasklarem Falsetto seinen von ihm geschaffenen Monolithen atmosphärisch neu aufzuladen, gehört zu den ganz grossen Momenten der diesjährigen Ausgabe von «Ear We Are».

Auf Kontraste setzen
Es sind eben diese Momente, in denen die Gegensätze Freundschaft schliessen, die dieses Festival so aufregend machen. Das ist auch der Programmierung zu verdanken, die sich nicht an stilistischen Schubladen orientiert, sondern ganz bewusst auf Kontraste setzt. Weil sich für den übermächtigen Keiji Haino kein japanischer Dolmetscher fand, sprang kurzerhand Morishige Yasumune ein. Gemeinsam verbrachten die beiden die drei Tage, die das Festival dauerte, in Biel und Yasumune verwandelte sich vorübergehend vom Künstler zum treuen Assistenten und Tontechniker Hainos bis Samstag, als dann Yasumune selbst an der Reihe war und sie die Rollen tauschten. Der japanische Cellist näherte sich der Poesie von der gegensätzlichen Richtung. Aus der Stille heraus modellierte er Lyrisches und verwandelte sie zu Musik, in dem er sein Instrument als Klangkörper in alle Richtungen auslotete.

Auch er ein Höhepunkt an einem Anlass, der an Höhepunkten alles andere als arm war. Dass sich dabei zwischen Haino und Yasumune in Biel eine Freundschaft entwickelte, lässt sich denn auch als Symbol werten für ein musikalisches Event, das der Engstirnigkeit und dem Schubladendenken keinen Einlass gewährt.

Das Festival sei musikalisch gar noch besser geworden, als von ihnen erwartet, meinten die künstlerischen Leiter Gaudenz Badrutt, Christian Müller, Martin Schütz und Hans Koch einhellig, und unterstrichen damit noch einmal, dass diese Art von Musik gerade dadurch lebt, weil sie sich auf dem schmalen Grad zwischen Erleuchtung und Scheitern bewegt. Die Summe dieser Gratwanderungen bildet in ihrer Gesamtheit letztlich eine Geschichte, die das «Ear We Are» jeweils in immer neuen Perspektiven seinem treuen Publikum erzählt, und in der es dieses Jahr nur selten dunkle Stellen gab.

Kasper Toeplitz und Myriam Gourfink verwirrten mit ihrer Brachial Elektronik, Robin Haywards fragile Tuba-Luftspiele eigneten sich nicht für diese Art von Live-Auftritt und Wolf Eyes verloren in dem von ihnen konstruierten David LynchRoadmovie-Soundtrack die Orientierung und fanden nie zu sich selbst. Allesamt Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Denn die wahre Geschichte begann am Donnerstag mit dem eindrücklichen Prolog des Saxophonisten David Murray tief verwurzelt in der Jazzgeschichte und endete in der Nacht auf Sonntag mit den Klängen des japanischen Frauentrios Nisennenmondai, das Dance, Punk und Minimal-Music hypnotisch kondensierte. Dazwischen zeigte sich die Musik grenzenlos und gutgelaunt, verblüffte beim Auftritt des Steve Lehman Octets mit der Komplexität des Kompositorischen, bei Steamboat Switzerland mit ungeheurer Dichte und Intensität, mit Gerald Cleaver’s Black Host mit einer Form wildgewordenem Blues mit Grossstadtneurose, beim Trio von Alexander von Schlippenbach mit einem improvisatorischen Urknall, beim Schlagzeugsolo von Joey Baron mit Groove-Variationen eines unvergleichlichen Virtuosen oder beim elektronischen Tüftler Philip Jeck mit liebevoll austarierten Klanglandschaften.

800 Besucher
So erstaunt es nicht, dass auch die 9. Ausgabe von «Ear We Are» mit 800 Besucherinnen und Besuchern ein Erfolg war, wie Mit-Organisatorin Gabi Wäckerle zufrieden zur Kenntnis nahm. Die diesjährige Geschichte hinterliess in der Tat bei allen strahlende Gesichter, weil sie für das Publikum Unerhörtes hörbar machte, weil sie den vielgereisten New Yorker Gerald Cleaver von der Alten Juragarage schwärmen liess und weil sie zwei grossartigen japanischen Protagonisten die Freundschaft ermöglichte. Die Fortsetzung davon gibt es in zwei Jahren. Man kann sie kaum erwarten.

 

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