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Konflikt

Der Bund schafft eine Ausbildung ab

Das hat es noch nie gegeben: Der Bund schafft eine Berufsausbildung ab, nämlich jene der Innendekorateure. Denn die Verbände müssten die Ausbildung überarbeiten, was sie nicht getan haben.

Bettina Bongard, Innendekorateurin (im Vordergrund), hofft, «dass dieser schöne Beruf nicht verschwindet». copyright: anne-camille vaucher/bieler tagblatt

von Lotti Teuscher

Für alle, die Innendekorateure beschäftigen, ist es eine Schreckensmeldung: Ab nächstem Jahr gibt es diese Berufslehre nicht mehr, der Bund schafft die Ausbildung ab: Etwas, was es in dieser Form noch nie gegeben hat. Nicht betroffen sind Jugendliche, die ihre Lehre diesen Sommer beginnen.

«Das ist ein Skandal», sagt Ruedi Brechbühl, Inhaber der Nidauer Brechbühl Interieur AG. «Innendekorateure braucht es auch in Zukunft», erklärt Marianne Staub, selbstständige Innendekorateurin aus Biel. «Es macht mich traurig, dass dieser schöne Beruf verschwinden soll», sagt Bettina Bongard, Inhaberin des Bieler Innendekorationsateliers Wohnsinn.

 

Vorgabe nicht erfüllt

Was ist passiert? Im Jahr 2002 wurde ein neues Berufsbildungsreglement in Kraft gesetzt. Als Folge muss die Ausbildung aller Berufe überarbeitet werden, um sie den heutigen Anforderungen anzupassen. Einige Berufe erlebten seither bereits zwei Revisionen. Das Berufsreglement für die Innendekorateure hingegen stammt noch aus dem Jahr 1999, im Jahr 2010 begannen die Vorbereitungen für die Revision.

Und damit die Probleme. «Innerhalb der Branche war man sich bezüglich der Änderungen nicht einig», sagt Jean-Pascal Lüthi, Vizedirektor am Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation. Zum einen geht es um die Finanzierung: Der Bund übernimmt zwar den Löwenanteil der Kosten, aber auch die Berufsverbände müssen einen Teil der Kosten bezahlen. Dazu müssen sie ein Budget erstellen, was die Verbände der Innendekorateure bis heute nicht geschafft haben.

Aber auch bezüglich der Ausbildung seien sich die Verbände nicht einig gewesen, sagt Lüthi. «Die Ausbildung der Innendekorateure passt nicht mehr zu den heutigen Berufsanforderungen.»

Tatsächlich ist dieser Beruf seit Jahrzehnten starken Veränderungen ausgesetzt. Die Sattler, wie die Innendekorateure 1936 hiessen, als der erste Berufsverband gegründet wurde, stellten ganze Möbel her und polsterten sie. Dies macht heute kein Innendekorateur mehr, die Möbel werden in Fabriken produziert. Aufgabe der Innendekorateure ist es heute, Polsterung und Bezüge von Möbeln aufzufrischen.

Vorhänge genäht haben die Berufsleute vor gut 70 Jahren hingegen fast nie; diese Arbeit übernahmen die Hausfrauen. Heute ist das Vorhangnähen ein wichtiger Teil der Arbeit von Innendekorateuren.

Tapeziererdekorateure dagegen, wie die Berufsleute ab den 60er-Jahren genannt wurden, polsterten häufig Sessel und Sofas mittels Rosshaaren. Bettina Bongard beherrscht dieses Handwerk immer noch, wendet es allerdings immer seltener an, obwohl sie sagt: «Traditionelles Polstern ist ein extrem schönes Handwerk.» Allerdings auch ein teures: Um ein Sofa mit Federn und Rosshaar zu polstern, sind rund zehn Arbeitsgänge nötig, dafür hält das Polster fast ein Leben lang. Wird das Möbel mit Schaumstoff gepolstert, braucht es nur drei Arbeitsschritte, was erheblich günstiger ist.

Allein das Handwerk zu beherrschen, genügt heute zudem nicht mehr: Innendekorateure müssen viel von Design verstehen, vom Zusammenspiel zwischen Licht und Schatten, Materialien und Farben. Kurz: Sie beraten ihre Kunden bezüglich Vorhängen, Tapeten, Bezügen und Bodenbelägen.

 

Arbeiten ausgelagert

Design-Möbelgeschäfte wie die Brechbühl Interieur AG beschäftigen zwar Innendekorateure, haben aber in der Regel keine eigenen Ateliers mehr. Dafür vergeben sie Aufträge an Ateliers wie jenes von Bettina Bongard oder Marianne Staub. In der Region Seeland werden zudem kaum noch Innendekorateure ausgebildet, in der Region Bern hingegen schon, wenn auch immer weniger: Seit dem Jahr 2010 ist die Zahl der ausgebildeten Berufsleute gesamtschweizerisch um 60 Prozent auf 210 Personen zurückgegangen.

Was allerdings nicht heisst, dass es Innendekorateure nicht mehr braucht: Bongards Atelier läuft gut, Staub hat erst kürzlich ein Restaurant eingerichtet. «Geschäfte wie die Brechbühl AG, die nicht nur mit Möbeln handeln, sondern auch einrichten, brauchen die Innendekorateure weiterhin», sagt Inhaber Brechbühl.

Angesprochen auf den Ausbildungsstopp des Bundes reagiert Peter Platzer, Geschäftsführer des Verbandes Interieursuisse, höchst verärgert: «Der Bund will Druck auf uns ausüben, weil er nicht selber entscheiden will, wie es weitergeht.» Das Verfahren für die Revision der Ausbildung sei ein höchst kompliziertes, formalistisches und langwieriges Prozedere.

Platzer kritisiert auch die «relativ hohen Kosten» für die Revision der Ausbildung: «Die Verbände aus der Romandie wollen zwar mitreden, haben aber Probleme, einen Teil der Kosten zu übernehmen.» Ihre finanzielle Beteiligung haben die Romands gemäss Platzer «anscheinend» noch nicht bestätigt.

 

Verband: Zuversichtlich

Dennoch ist Platzer zuversichtlich, dass auch nächstes Jahr neue Innendekorateure eine Lehre beginnen werden: «Wir werden eine Lösung finden, vermutlich bereits im Mai oder im Juni.»

Das letzte Wort ist also noch nicht gesprochen. Allerdings gibt es Innendekorateure möglicherweise selbst dann nicht mehr, wenn sich die Parteien einig werden. Denn es gibt Vorschläge, die Berufsbezeichnung zu ändern.

Kommentare

kaf1

An Meisterprüfungen erwarten die Experten von den Kandidaten Handlungskompetenz! Wie sieht die Handlungskompetenz der Verbandsspitze aus? Man weiss ja erst seit 2002, dass man das Reglement überarbeiten muss.


kaf1

An Meisterprüfungen erwarten die Experten von den Kandidaten Handlungskompetenz! Wie sieht die Handlungskompetenz der Verbandsspitze aus? Man weiss ja erst seit 2002, dass man das Reglement überarbeiten muss.


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