Sie sind hier

Abo

Gesundheit

Feuer in den Adern

Wer entzündliches Rheuma hat, muss starke Medikamente nehmen. Ärzte am Inselspital haben jetzt eine schonende Therapie entwickelt. Profitieren werden Patienten, die an der seltenen und gefährlichen Riesenzell-Arteriitis leiden, wie der Bieler Christian Longatti.

Erfolgreiche Nachkontrolle: Die Inselspital-Ärzte Peter Villiger und Sabine Alder mit dem Bieler Patienten Christian Longatti. Bild: Andreas Blatter

Stefan Aerni

Christian Longatti liegt auf dem Schragen. Links und rechts neben ihm zwei Ärzte in weissen Kitteln. Mit dem Stethoskop horchen die Mediziner die Arterien an Hals und Schläfen ihres Patienten ab. «Alles in Ordnung», sagt dann Sabine Adler, eine der beiden Ärzte. Sichtlich erleichtert steht Longatti auf und blickt lächelnd zu seiner Frau, die ihn zum Kontrolltermin ins Inselspital begleitet.

Vor anderthalb Jahren war dem 63-jährigen Bieler nicht mehr zum Lachen zumute. Von einem Tag auf den anderen hatte er höllische Kopfschmerzen. Dazu schwollen seine Schläfenadern dramatisch an. «Steinhart waren sie», erinnert sich der selbstständige Grafiker, der bisher nie ernsthaft krank gewesen war. Also ging er zum Hausarzt – der fand im Blut erhöhte Entzündungswerte und verordnete ein Antibiotika.

Als das nichts half, überwies ihn der Hausarzt an eine Bieler Privatklinik. Dort stellten die Ärzte fest, dass Kortison die Rätselsymptome linderte. Sie entnahmen dem Patienten eine Gewebeprobe der verhärteten Schläfenarterie und liessen sie im Berner Inselspital untersuchen. Das Resultat bestätigte die vermutete Diagnose: Riesenzell-Arteriitis.

Seltene Autoimmunkrankheit

Eine Krankheit, die so unheimlich ist, wie sie tönt: Riesenzell-Arteriitis gehört zu den gefährlichsten entzündlichen Rheumaformen (siehe Infobox). Die Erkrankung entzündet die Blutgefässe des Kopfes, manchmal auch des Bauchs oder der Brust und kann zu lebensbedrohenden Blutungen und zur Erblindung führen. Mit 30 bis 40 neuen Fällen pro Jahr in der Region Bern ist die Krankheit zwar relativ selten, doch ab dem 50. Altersjahr nimmt das Erkrankungsrisiko zu. Und die Autoimmunkrankheit kann alle treffen.

Allzweckwaffe mit Handicaps

Bisher gab es nur eine Waffe gegen die gefürchtete Rheumakrankheit: hoch dosiertes Kortison (Steroide). Mit dem Hormon können die gefährlichen Entzündungen in Schach gehalten werden, bis sie nach einer gewissen Zeit «erlöschen». Allerdings zu einem hohen Preis: Die Liste der Nebenwirkungen ist lang. Sie reicht von Diabetes über Muskelschwund, Osteoporose, Augenerkrankungen (grauer und grüner Star) bis zu einer Beschleunigung der Arteriosklerose. Kein Wunder, sucht die Medizin weltweit schon lange nach Alternativen zum Kortison. An der Forschungsfront mit dabei auch ein Team des Berner Inselspitals unter Leitung von Peter Villiger (60), Chefarzt Rheumatologie, Allergologie und klinische Immunologie.

Ein Glücksfall für Christian Longatti. So konnte er an einer Studie teilnehmen – und als einer der ersten Patienten von einer neuen Therapie profitieren.

Schon vor Jahren begannen nämlich die Berner Rheumatologen, Kortison mit einem zusätzlichen Medikament zu kombinieren. «Die Entzündungscharakteristik der Riesenzell-Arteriitis liess darauf schliessen, dass wir mit einer kombinierten Behandlung die Krankheit an der Wurzel angreifen können», erklärt Villiger.

Und so funktioniert die neue Kombitherapie: Das zusätzliche Medikament, ein Antikörper, neutralisiert den Botenstoff, der für die Gefässwandentzündung verantwortlich ist. Zusammen mit dem herkömmlichen Kortison kann so die Entzündung rasch eingedämmt werden.

«Breaking news» in den USA

Dass die neue Therapie tatsächlich wirkt, belegt die Ende letzten Jahres abgeschlossene Studie: Von den 20 Probanden hatten nach zwölfwöchiger Behandlung 17 keine Beschwerden und auch keinen Rückfall mehr (entspricht 85 Prozent). Zum Vergleich: In der Kontrollgruppe mit zehn Patienten, die Kortison mit einem Placebo erhielten, waren nur vier beschwerdefrei (40 Prozent) und acht erlitten gar einen Rückfall. Noch eindrücklicher sei das Nebenwirkungsprofil, betont Oberärztin Sabine Adler, die die Studie hautnah begleitet hat: «Im Vergleich mit der reinen Kortisontherapie haben wir nur gerade drei Prozent der Nebenwirkungen festgestellt.» Als die Berner Rheumatologen ihre Studie kürzlich in Washington ihren US-amerikanischen Berufskollegen vorstellten, sorgten die Ergebnisse denn auch als «breaking news» für Aufsehen.

Bevor die neue Kombitherapie hierzulande zugelassen wird, ist freilich noch eine Kontrollstudie nötig. Doch die kümmert Christian Longatti, den Teilnehmer der ersten Studie, nicht mehr gross. «Mir hat das neue Mittel geholfen, und ich bin froh, dass ich damit das Kortison schneller zurückfahren konnte.»

Nachrichten zu Fokus »