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Brexit

Über dem Seeland herrscht Unsicherheit

Exponenten der regionalen Wirtschaft sind «schockiert und enttäuscht» ob dem EU-Austritt der Briten. Ein weiterer Tiefschlag für den Export. Diesmal haben sich die Firmen aber darauf vorbereitet.

Fahrni Fassadensysteme in Lyss zeigt sich vom Brexit unbeeindruckt: Die Firma hat ihre Währungen ohnehin abgesichert. Copyright: Olivier Gresset/a

von Esthy Rüdiger

Als er gestern Morgen die Nachrichten hörte, glaubte Thomas Vock erst, er habe sich verhört. Grossbritannien entschied in der vorigen Nacht den Austritt aus der EU. «Ich hätte nie mit diesem Resultat gerechnet. Die Überraschung war gross», so der CIOder Berner Kantonalbank.

«Ich hatte gehofft, der Entscheid würde anders ausfallen», sagt auch Andreas Rickenbacher, Volkswirtschaftsdirektor des Kantons Bern. Die Schweiz werde davon stark betroffen sein. «Für die wirtschaftliche Entwicklung ist das kurzfristig nicht förderlich.»

Es handle sich um einen weiteren Tiefschlag innert wenigen Jahren. «Man kriegt das Gefühl, dass stets dann ein neuer Tiefschlag folgt, wenn der vorherige erst gerade ein wenig verdaut ist.»Der Brexit schaffe Unsicherheit, «und das ist nie gut für die Wirtschaft».

Britischer Markt gewachsen

Der Verband der Schweizerischen Uhrenindustrie teilt diese Meinung. Der Entscheid sei «eine schlechte Nachricht mehr» für die Schweiz und insbesondere für den Uhrenmarkt. «Wir hatten ohnehin schon genug Unsicherheiten», so Präsident Jean-Daniel Pasche. Es drohten eine Senkung des Bruttoinlandprodukts und Entlassungen. «Dabei hatte der britische Markt zuletzt ein grosses Wachstum, alleine letztes Jahr um die 19 Prozent», so Pasche.

Der Druck auf den Schweizer Franken sei eine zusätzliche Schwierigkeit für die Uhrenbranche, deren Exportzahlen sich in diesem Jahr stets im roten Bereich bewegen. «Wir hoffen, dass die Nationalbank sich einsetzt, um den Schaden einzugrenzen.»

Wie die einzelnen Marken reagieren, lasse sich jetzt aber noch nicht sagen, so Pasche. «Das ist sehr unterschiedlich, wie man bereits beim Frankenschock feststellen konnte.» Die Swatch Group hingegen will sich zum Brexit nicht äussern. Als Antwort nennt der Uhrenriese in unspektakulärer Manier lediglich drei Worte:«Wait and see» – warten und schauen.

Ähnlich klingt es beim Arbeitgeberverband Swissmechanic:Er appelliert an alle Beteiligten, «Ruhe zu bewahren». Gemäss Einschätzungen des Verbandes würden sich die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Grossbritannien und der Schweiz nicht fundamental ändern. Dennoch warnt er vor «gravierenden Folgen», sollte der überbewertete Franken über längere Zeit zusätzlich gestärkt werden.

«Die Frage ist, wo der Franken sich einpendelt», sagt Hans-Ruedi Minder, Vize-Präsident des Handels- und Industrievereins (HIV)Seeland. «Alles weniger als 1.10 gegenüber dem Euro ist schlecht.» Die Möglichkeiten der Industrie seien ausgereizt, bereits nach dem Frankenschock wurde vieles optimiert und rationalisiert. «Man muss sich fragen, wie viele Rückschläge die Exportindustrie noch überstehen kann», sagt Minder.

Auch er spricht von einer «grossen Unsicherheit» in der Region, die langfristigen Auswirkungen seien für niemanden absehbar. Mit dem Entscheid habe er nicht gerechnet. «Er wurde emotional, nicht rational gefällt», so Minder.

«Enttäuscht und schockiert»

Obwohl Exportfirmen mit dem Brexit gefordert sein dürften, geben sich einige betroffene Unternehmen der Region relativ unbeeindruckt. So etwa Feintool. «Der Austritt hat keinen nennenswerten Einfluss», so Mediensprecherin Karin Labhart. Es bestünden keine direkten Geschäftsbeziehungen. «Indirekte Auswirkungen – etwa Folgen aus den Exporten unserer Geschäftskunden – sind noch nicht abschätzbar.»

Von Unsicherheit spricht zwar auch Jean-Marc Probst, Präsident von Handel Schweiz und Geschäftsführer der Probst Maveg in Lyss. «Ich bin enttäuscht und schockiert ob dem Entscheid.» Seine Firma habe sich dennoch seit vier Monaten auf den drohenden Brexit vorbereitet, Euro-Geschäfte abgesichert und das Lager abgebaut. «Wir haben aus dem letzten Jahr gelernt», so Probst. Handel Schweiz habe deshalb bereits seit Monaten für die notwendigen Massnahmen plädiert.

Auch Pascal Schwarz, Geschäftsführer der Lysser Firma Fahrni Fassadensysteme, betont, dass man sich auf dieses Szenario einstellen musste. Mehr noch:  «Der Brexit war keine grosse Überraschung.» Die Lysser Fassadenherstellerin ist direkt betroffen: Eine ihrer Niederlassungen befindet sich in London. Das Unternehmen war deshalb nah am Puls des Geschehens. «Von unseren Geschäftspartnern in London hatte der eine oder andere in den letzten Wochen mit einem Ausstieg gerechnet. Und London gilt sonst eher als EU-freundlich», so Schwarz.

Vom Börsenbeben trägt Fahrni Fassadensysteme keinen Verlust davon. «Wir sichern die Währungen ab, kurzfristig hat der Brexit für uns deshalb überhaupt keine Auswirkungen».

Mittelfristig sei entscheidend, wo sich das Pfund einpendle. «Ich habe mit gut zehn Prozent Verlust des Pfunds gerechnet, aktuell hält er sich aber in Grenzen.» Das Unternehmen habe 2008 «viel härtere Zeiten» durchlebt. Fahrni Fassaden werde nach wie vor in England bleiben und weder reduzieren noch abbauen. «Wichtig ist, nicht in Panik oder blinden Aktivismus zu verfallen. Man muss relativieren», so Pascal Schwarz.

Das Lysser Unternehmen befindet sich ohnehin in einem speziellen Marktsegment. Es baut Prototypen, keine Standardfassaden. «Deshalb kann man unsere Produkte preismässig nicht mit anderen aus dem Ausland vergleichen», so der CEO.

Der Geschäftsführer sieht den radikalen Entscheid der Briten auch keineswegs nur negativ:«Änderungen sind immer auch eine Chance.» Pascal Schwarz ist überzeugt:«Wer innovativ bleibt, hat auch Zukunftschancen.»


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Kommentare

ligerius47

Die Wirtschaftsexperten, die Börsengurus, und viele EU Politiker haben im Falle eines Brexit für ganz Europa einen Zusammenbruch der Wirtschaft voraus gesagt. Das wird nicht eintreten. Die Gier nach Geld und die Korruption in der EU wird ungeachtet des Brexit weitergehen. Auch die Drohungen von Deutschland über alles in Europa werden daran nichts ändern. Unsere zwei Europa Gurus Schneider-Ammann und Didier Burkhalter sollten sich jetzt auf das Volk besinnen.


heidy70

Die EU das sind Deutschland und Frankreich, ja und noch Junker. Die anderen EU Länder sin die Sklaven die immer schön machten was die beiden erst genannten sagten. Die Britten haben sich nun gewehrt, was sehr gut ist, und ich hoffe nun das die BR auch endlich zum Volk steht, und der EU sagt wo's lang geht. Es darf doch nicht sein das die Schweiz von einem so korrupten und maroden Gebilde regiert wird.


Biennensis

Korrigenda: Mit dem Brexit-NO (???) war natürlich der Ausstieg der Briten aus der EU gemeint!


Biennensis

Tristesse pur an der Börse: Die Bullen sind schon längst verschwunden und der Bär erhält mit dem Brexit-NO noch zusätzliche Nahrung! Die Swatch-Aktie fällt und fällt. Seit ihrem Hoch am 28.11.2013 (CHF 606.50) liegt die Aktie nun Aktuell bei CHF 279.80. (-54 %!). Soll man als Einsteiger in ein fallendes Messer greifen? Bodenbildung? Fehlanzeige! Besonders nach dem Brexit-Entscheid der Briten wird sich die Fallgeschwindigkeit noch zusätzlich erhöhen und verlängern. Abwarten, zusehen und den Chart analysieren scheint für einen möglichen Kleinaktionär der geliebten Uhren-Aktie die wohl beste Strategie derzeit zu sein.


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