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Biel

«Es ist ein Hungerstreik bis zum Tod»

Peter Hans Kneubühl bestätigt in einem Brief an einen seiner Besucher, dass er seit drei Wochen die Nahrung verweigert. Mit dem Hungerstreik will der «Amok-Rentner» von Biel erreichen, dass er von der Anstalt Thorberg ins Regionalgefängnis in Thun verlegt wird.

Bereits im Jahr 2010 wandte sich Peter Hans Kneubühl per Brief an die Öffentlichkeit. Copyright / Bieler Tagblatt/ bt/a

Peter Staub

«Seit dem 19. Januar bin ich im Hungerstreik», schreibt Peter Hans Kneubühl in einem Brief, den er seinem Besucher Johannes Zweifel aus Meinisberg am Montag dieser Woche persönlich übergeben hat. «Es ist ein Hungerstreik bis zum Tod», schreibt Kneubühl weiter. Er werde erst damit aufhören, wenn er wieder ins Regionalgefängnis in Thun zurückgebracht werde.

Seinen Hungerstreik begann Kneubühl an dem Tag, an dem er von Thun in die Justizvollzugsanstalt Thorberg verlegt wurde. Dies sei für einen rechtskräftig Verurteilten die geeignetere Vollzugseinrichtung als ein Regionalgefängnis, begründete das Amt für Justizvollzug die Verlegung (das BT berichtete). Kneubühl schreibt in dem Brief, der dem BT vorliegt, dass er «mit Polizeigewalt» auf den Thorberg gebracht worden sei. Seinen vom 4. Februar datierten Brief beendet er damit, dass er eine parlamentarische Untersuchungskommission verlange, die «diesen Skandal untersucht».

In einem Leserbrief ans BT, dem er eine Kopie von Kneubühls Brief beilegte, schreibt Zweifel, dass es ihm bei seinem Einsatz um das Leben eines Bielers gehe. Wenn sich niemand für Kneubühls Situation interessiere, werde dieser «stillschweigend dem Sterben überlassen».

Freier Wille oder nicht

Das kantonale Amt für Justizvollzug (AJV) verwies gestern  auf das schweizerischen Strafgesetzbuch, wonach die Menschenwürde des Gefangenen zu achten sind. «Seine Rechte dürfen nur so weit beschränkt werden, als der Freiheitsentzug und das Zusammenleben in der Vollzugseinrichtung es erfordern.» Für Nicole Wey, Chefin Stabsdienste und Mitglied der Geschäftsleitung AJV, heisst das, dass das Recht auf Selbstbestimmung auch während des Freiheitsentzuges geachtet werden muss. Beim Hungerstreik bedeute dies, dass der Entscheid zur Durchführung eines Hungerstreikes akzeptiert wird, auch wenn dies für den Insassen Gesundheitsrisiken bedeute. «Dieser Entscheid kann von der Behörde solange mitgetragen werden, als dass die eingewiesene Person als urteilsfähig beurteilt werden kann», schreibt Wey.

Offene Fragen

Im Gesetz über Straf- und Massnahmenvollzug des Kantons Bern ist die Zwangsernährung geregelt. Dort heisst es im Artikel 61, dass im Fall eines Hungerstreiks die Leitung der Vollzugseinrichtung unter ärztlicher Leitung eine Zwangsernährung anordnen könne, sofern Lebensgefahr oder eine schwerwiegende Gefahr für die betroffene Person bestehe. Diese Massnahmen müssen für die Beteiligten allerdings zumutbar sein und dürfen für sie nicht mit erheblicher Gefahr für das Leben oder die Gesundheit verbunden sein. Falls aber «von einer freien Willensbestimmung der betroffenen Person ausgegangen werden kann, erfolgt von Seiten der Vollzugseinrichtung keine Intervention».

Unter Artikel 62 wird  beschrieben, dass eine Zwangsmedikation möglich sei, falls eine «richterlich angeordnete Massnahme» zu vollziehen ist. Dann könne eine Zwangsmedikation gegen den Willen der betroffenen Person durchgeführt werden. Ob darunter auch eine Zwangsernährung zu verstehen ist, wird nicht ausgeführt. Was dies im Fall von Peter Hans Kneubühl konkret bedeutet, ist offen. Kneubühl wurde vom Regionalgericht und vom Obergeicht wegen einer wahnhaften Störung als schuldunfähig erklärt.

Wie kann einem solchen Menschen «eine freie Willensbildung» zugesprochen werden? Das ist wohl die entscheidende Frage, welche die Berner Justiz in den nächsten Tagen klären muss.  

Der Nidauer Rechtsanwalt Konrad Jeker, der in Solothurn als Strafverteidiger arbeitet, kennt Hungerstreiks aus seiner Praxis. Er verweist auf das Erwachsenenschutzrecht, in dem die Patientenverfügung geregelt ist. Danach haben Ärzte der Patientenverfügung einer urteilsfähigen Person grundsätzlich zu entsprechen. «Ausser wenn diese gegen gesetzliche Vorschriften verstösst oder wenn begründete Zweifel bestehen, dass sie auf freiem Willen beruht oder noch dem mutmasslichen Willen der Patientin oder des Patienten entspricht.» Gemäss Johannes Zweifel unterzeichnete Kneubühl vor einem Jahr eine Patientenverfügung, die beinhaltet, dass er lebensverlängernde Massnahmen ablehnt. Wobei sich auch hier die Frage stellt, ob er als urteilsfähige Person gelten kann.  

Bundesgericht stiess auf Kritik

«Dass ein Mensch das Recht hat, bis zu seinem Tod die Nahrung zu verweigern, erscheint mir als absolut klar», sagt Jeker. Das könne aber mit der staatlichen Fürsorgepflicht kollidieren, wenn der Betroffene in Gefangenschaft ist. Das Bundesgericht habe im Fall Rappaz (siehe Zweittext) die Zwangsernährung ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage befürwortet.

Gemäss Bundesgericht sei es zulässig, einen Arzt gestützt auf die polizeiliche Generalsklausel – notwendige Abwendung von unmittelbarer Gefahr – zu zwingen, eine Zwangsernährung durchzuführen. Diese Rechtsprechung und die Delegation polizeilicher Aufgaben an Ärztinnen und Ärzte seien völlig zu Recht auf heftige Kritik gestossen, und zwar von Medizinern und von Juristen, sagt Jeker.

 

Wirbel um Rappaz

Der Walliser Barnard Rappaz sorgte imJahr 2010 mit seinem Hungerstreik national für Schlagzeilen. Er, der wegen schweren Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz und weiteren Delikten inhaftiert war, wollte mit seinem Streik einen Haftunterbruch erzwingen. Sein Druckmittel: Ein möglicher Hungertod. Rappaz war der Meinung, zu Unrecht zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten verurteilt worden zu sein. Ein entsprechendes Gesuch wurde aber von allen Schweizer Instanzen abgelehnt.

Er beendete seinen Hungerstreik erst, nachdem ihn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, an den er gelangte, dazu aufgefordert hatte. Bis dahin befand sich Rappaz 120 Tage im Hungerstreik. Er nahm aber Vitamine, Salz und gezuckerten Tee zu sich.

Der Hungerstreik vonRappaz entfachte die Diskussion darüber, ob ein Inhaftierter zwangsernährt werden darf, neu. Das Genfer Universitätsspital war 2010 durch die Walliser Behörden unter Androhung einer Busse dazu verpflichtet worden, Rappaz wenn nötig zwangsweise zu ernähren. Dagegen gelangten die Ärzte allerdings ans Bundesgericht. Dieses schrieb das Verfahren aber offiziell als gegenstandslos ab, da Rappaz seinen Hungerstreik inzwischen beendet hatte. Die Fragen zur Zwangsernährung blieben also offen.

Zu Tode gehungert hat sich ein Häftling 2013 im Kanton Zug. Er wollte mit dem Hungerstreik seine Freiheit erzwingen. Den Behörden waren die Hände gebunden: «Gestützt auf das im Kanton Zug geltende Recht ordnen die Strafvollzugsbehörden keine Zwangsernährung gegen den Willen einer Person an», teilte die Sicherheitsdirektion des Kantons Zug im April 2013 nach dem Tod des Häftlings mit. Dieser hatte eine Patientenverfügung unterzeichnet, die es den Behörden untersagte, ihn unter Zwang zu ernähren.

Der Mann sass seit 2009 in einem Zuger Gefängnis. Er war wegen strafbarer Handlungen gegen Leib und Leben zu einer stationären therapeutischen Massnahme verurteilt worden.  lsg

Kommentare

ligerius47

Wenn Hr. Kneubühl gezielt auf den Polizisten schoss @chrimel ist die Sache rechtens. Das Kopflose handeln mit der Sprengung der Türe, und der Erfolgsdruck vor den Medien verleiteten die Behörden zu seltsamen Aussagen, und Beweisen. Eine Untersuchung des Fall Kneubühl vor dem Deutschen BKA (Bundes Kriminal Amt) in Wiesbaden würde einigen Beteiligten Schlaflose Nächte bereiten.


heidy70

Bitte um Entschuldigung, habe irrtümlich am falschen Punkt gedrückt


heidy70

chrimel Der Rentner will ja nicht aus dem Gefängnis, er möchte nur nach Thun zurück. Und er soll ja schuldunfähig sein. Kann mir jemand erklären warum man Kneubühl nach Thorberg verlegt hat? Er ist doch ein alter verwirrter Mann. Wäre er ein illegaler Asylant, würden ihm sofort alle Wünsche erfüllt.


heidy70

chrimel Der Rentner will ja nicht aus dem Gefängnis, er möchte nur nach Thun zurück. Und er soll ja schuldunfähig sein. Kann mir jemand erklären warum man Kneubühl nach Thorberg verlegt hat? Er ist doch ein alter verwirrter Mann. Wäre er ein illegaler Asylant, würden ihm sofort alle Wünsche erfüllt.


heidy70

chrimel Der Rentner will ja nicht aus dem Gefängnis, er möchte nur nach Thun zurück. Und er soll ja schuldunfähig sein. Kann mir jemand erklären warum man Kneubühl nach Thorberg verlegt hat? Er ist doch ein alter verwirrter Mann. Wäre er ein illegaler Asylant, würden ihm sofort alle Wünsche erfüllt.


Biennensis

@chrimel: Der Herr Kneubühl war's? Frage: Waren Sie bei der Schussabgabe als Zeuge gleich vor Ort? Zu den Fakten: Ein Grossaufgebot seitens der Polizei hat die Liegendschaft des Rentners massiv umstellt. Dabei die Eingangstüre für eine Zwangsräumung (pure Gewalt seitens der Behörde) in die Luft gesprengt! Und was ist dabei passiert? Der damals 67-jährige Rentner konnte im Licht der Scheinwerfer "unbehelligt" und "bühnenreif" durch seinen Garten flüchten. Dazu die Polizei: Der Herr Kneubühl hat sehr gute Ortskenntnisse! Aber Hallo! Braucht ein Rentner tatsächlich gute Ortskenntnisse um im Scheinwerferlicht der Polizei durch seinen eigenen Garten zu rennen? @Chrimel: Ihre "Erklärung" (der Kneubühl war's) passt dazu! Weiter: Nach über einer Woche der "Heli-Treibjagd" (Helikopter gegen den Herrn Kneubühl!) wird der Herr Kneubühl zufällig von einer Passantin auf der Taubenlochbrücke gesichtet. Meldung! Danach kommt es zum finalen Aufeinandertreffen mit der Polizei. Ein Polizeihund aus dem Baselbiet beisst dem wehrlosen Rentner auf offenem Feld "einfach so" ins Bein... kurz darauf folgt eine Pressemitteilung: Wir sind die "Heroes of the Storm"...


chrimel

Der Herr Kneubühl hat aus nächster Nähe einem Menschen in den Kopf geschossen. Ich denke, der Thorberg ist schon richtig! So sehr die Behörden auch Fehler gemacht haben - diese Straftat ist mit nichts zu Entschuldigen.


Demokrat

Beschämend wie damals von den verantwortlichen Organe gegen den Rentner vorgegangen wurde. Das BT deckte damals viele ungeklärte Fragen auf die bis heute nie untersucht und beantwortet wurden! Schämt Euch!


heidy70

Warum muss Kneubühl unbedingt auf den Thorberg? Schwerverbrecher bekommen in der Schweiz Einzelzimmer und Asyl. Die Humanität reicht in der Schweiz scheinbar nur für llegale ohne Papier einreisende wann wird un der Schweiz endlich wieder gerecht gehandelt.Pfui Teufel noch mal was haben wir in der Regierung für ein miserables .... Das sind ja alles Sadisten. Einem alten Mann einen kleinen Wunsch erfüllen scheint hier unmöglich! Bitte B.Tagblatt setzt Euch für Kneubühl ein! bevor er tot ist.


ligerius47

Die Bezeichnung "Amok - Rentner" im Bieler Tagblatt kann man nehmen wie man will. Tatsache ist, dass in diesem Fall auch Berufstätige "Amok" (wütend rasend) gelaufen sind. Warten wir ab wie unser Hausblatt diese Gruppe bezeichnet.


Biennensis

Die Psychologin (mittlerweile in Pension) mit ihrem persönlichen Gutachten und der Gerichtspräsident mit seinem persönlichen Urteil: Menschen, die mit sich selbst wohl "zu sehr" beschäftigt sind richten über einen Menschen! Ihnen Herr Kneubühl alles Gute!


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