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Kolumne

Der Vorrang für die Inländer

Ganz klar, den braucht’s. Die wenigen Arbeitsplätze müssen zuerst mit Schweizern aufgefüllt werden. Erst wenn das Fass überläuft, dürfen die Ausländer auch mitspielen. Switzerland first.

Benedikt Loderer

Einverstanden, murmelt der Stadtwanderer, aber was ist mit den Ferien? Denn wenn man den Inländervorrang zu Ende denkt, dann geht es nicht um Menschen, es geht um die Arbeitsplätze. Die müssen den Schweizern vorbehalten bleiben, haben sie einen, so dürfen sie ihn nicht mehr preisgeben. Also gehören sie an die Arbeit und nicht in die Ferien. Das nennt man Vollbeschäftigung und die ist ein Zustand des Wohlstands und des Glücks.

Ist die Beschäftigung nicht voll, so ist das Nationalgefühl leer. Darum muss man einen Ausländer finden, der die Ferien des Vollbeschäftigten übernimmt. Gewiss, bei gewissen Mangelberufen wir man eine Ausnahme machen müssen und auch Schweizer an den Strand fahren lassen, doch es dürfen nur hoch qualifizierte Spezialisten sein, unverzichtbare Leute, die unsere Wirtschaft im Schwung halten. Doch für die andern, die arbeitende Mehrheit, die senkrechten Schweizer ist klar: Selberferienmachen, gehört sich nicht.

Aber, ist dieser ausländische Ersatzschweizer auch qualifiziert, echt eidgenössische Ferien zu machen? Denn von allen Stränden hören wir die frohe Botschaft, so gut wie die Schweizer macht das niemand sonst auf der Welt. Wir tragen die Schweizerische Leitkultur an alle Küsten und verkörpern dort das wahrhaft eidgenössische Wesen.

Wir sind unsere eigenen Beweisstücke und zeigen der Welt, was das Erfolgsmodell Schweiz ausmacht. Darum können wir nicht irgendwen als Lückenfüller dorthin schicken. Da braucht es eine sorgfältige Auswahl. Der Kandidat muss zuerst eine strenge Prüfung bestehen. Er muss beweisen, dass er glaubwürdig schweizern kann, in jeder Lage, in jedem Zustand, zu jeder Zeit, immer muss er im Stande sein, so zu tun wie wir. Das ist auch dringend nötig, denn wenn so ein Ersatzangestellter sich im Ausland nicht so schlecht aufführt, wie man es von echten helvetischen Touristen erwarten darf, wie soll sich dann unsereins noch fremdschämen können, wenn wir ihm am Strand begegnen?

Stellen sie sich vor, geneigte Leserin, was, wenn der Feriengastarbeiter zum Beispiel aus Deutschland stammt und unser heimeliges Liedgut im späteren Abend und unter erheblichem Alkoholeinfluss nicht akzentfrei grölt? Dann meinen die Einheimischen und die Touristen des anwesenden Auslands, der sei ein Deutscher, obwohl er «I bin ä Bueb vom Trueb» mit Wärme und Überzeugung vorträgt.

Tatsache aber ist, dieser angeheuerte Sänger vertritt zum Beispiel den vollbeschäftigten Hansruedi Rüdisüli aus Hintergiglen und stellt darüber hinaus noch stellvertretend die Schweiz dar. Er ist unser Botschafter. Er faulenzt und pöbelt in unserem Namen als falscher Vollschweizer. Macht er das nicht überzeugend, schweizert er nicht echt genug, so schadet er unserem Ruf. Er ebnet uns ein, treibt Raubbau am Sonderfall, zersetzt das Einzigartige, macht uns gewöhnlich. Am Schluss sind wir von den übrigen Touristen überhaupt nicht mehr zu unterscheiden. Die Ausländer am Strand werfen uns in denselben Topf wie die Belgier, Österreicher, Liechtensteiner, Bundesdeutschen, Schweden.

Was ist dann mit unserer Identität, was? In den Sand gesetzt.

Info: Benedikt Loderer ist Journalist, Architekt und Stadtwanderer.

 

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