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Empa

Eine Anstalt sorgt für Erleuchtung

Ingenieur Anand Verma hat sich organischen Leuchtdioden und Solarzellen verschrieben. Austoben kann er sich an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt Empa. 
Ein Einblick in eine lichtscheue Welt, die zwischen Enttäuschungen und Endorphinschüben oszilliert.

Der indische Forscher Anand Verma hochkonzentriert bei seiner Arbeit in seinem Labor an der Empa in Dübendorf. Bild: Beat Geyer

Gregor Poletti

Er hat einen auffällig schönen und dunklen Teint. So ganz anders als seine Kolleginnen und Kollegen – sie sehen meist käsig aus. Aber sonst unterscheidet sich der Inder Anand Verma kaum von den vielen ziemlich vergeistigten Gestalten, welche durch die unzähligen unter- und oberirdischen Gänge der Anstalt in Dübendorf huschen – meist verschanzen sie sich aber in ihren Labors und Büros. Die Anstalt heisst Empa – die Wissenschaftler nennen sie lieber Swiss Federal Laboratories for Materials Science and Technology. Geforscht wird ausser in Dübendorf auch in St. Gallen und Thun. Aber die meisten der rund 940 Angestellten arbeiten in der Zürcher Agglomeration. Etwas mehr als die Hälfte ist wissenschaftliches Personal, und ein beachtlicher Teil, nämlich über 40 Prozent, kommt aus dem Ausland.

So einer ist der 32-jährige Verma aus Patna, einer der ältesten Städte Indiens. Dort war der Junge aus der Mittelschicht wie so viele dieses Subkontinents vom Spirituellen angetan. Doch als er mit den Naturwissenschaften in Kontakt kam, war es um ihn geschehen. Die Erleuchtung sucht Verma nun auf ganz anderem Weg: Er bringt Flächen zum Strahlen und verpasst Solarzellen eine Schlankheitskur. Nach einem Bachelor of Engineering in Printing and Media Technology startete er eine Karriere als Produktionsingenieur bei der Zeitung «India Today». «Ich hätte dort die Hierarchieleiter hochsteigen können, um dann gutes Geld zu verdienen», blickt Verma zurück.

 

Die Lichtspender der Zukunft
Doch er wollte mehr, er wollte die Drucktechnik auf andere Materialien ausweiten. Das Rüstzeug dafür holte er sich im deutschen Chemnitz und im holländischen Eindhoven. Aus der Begeisterung fürs Drucken ist eine Leidenschaft geworden. Deshalb nennen sie ihn in Dübendorf liebevoll nur «Mister Print». Sie könnten ihn auch Duracell nennen. Wenn sich der quirlige Inder in etwas verbissen hat, dann lässt ihn das nicht mehr los, und das fast bis zum Umfallen – ähnlich dem Hasen aus der Reklame für die aufladbaren Batterien.

So geschehen, als er letztes Jahr organischen Leuchtdioden (Oleds) einen Innovationsschub verpassen wollte. Diese Weiterentwicklung der LEDs sind die Lichtspender der Zukunft und finden sich bereits in leuchtenden Lackschichten von Autos, in farbig illuminierten Wohnzimmerwänden oder der neusten Generation von Fernsehern. Das Problem: Sie sind noch viel zu teuer und viel zu kompliziert in der Herstellung. Tag für Tag stieg Verma deshalb in sein Labor auf dem Empa-Campus an der Überlandstrasse – sieben Monate lang.

Dann hatte er die gesuchte Tinktur mit der richtigen Dichte, Spannung und Konsistenz in den Händen. Sie sorgt dafür, dass eine Fläche auf einem ganz bestimmten Material zum Leuchten gebracht werden kann. Weil eine sehr dünne Schicht gefragt ist, rund 100-mal dünner als ein menschliches Haar, war dies eine äussert knifflige Aufgabe: Es dürfen sich keine Blasen oder Schlieren bilden. «Das war eine faszinierende Zeit, geprägt von fokussiertem Arbeiten und Schlafen», resümiert der sichtlich euphorisierte Inder. Die zahlreichen Rückschläge vermochten Verma jedoch nicht zu bremsen: «Fehler sind die besten Lehrmeister.»

 

Als vor allem Prüfen angesagt war
Verma beschäftigt sich noch mit etlichen anderen Forschungsthemen. So war er entscheidend mitbeteiligt am europäischen Projekt «Treasores». Dieses vereint das Know-how von neun Firmen und sechs Forschungsinstituten aus fünf europäischen Ländern – koordiniert wurde es von Vermas Chef in Dübendorf. Dieses letztes Jahr abgeschlossene Projekt legt unter anderem den Grundstein für kostengünstige Solarzellen, welche sehr dünn und biegsam sein werden. Das Projekt zeigt exemplarisch, wie heute an der Empa gearbeitet wird: international vernetzt, in direktem Austausch und Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und auf die Zukunft ausgerichtet. Das führt zu einem beachtlichen Output: Allein im letzten Jahr haben Empa-Forscher und -Ingenieure knapp 600 wissenschaftliche Publikationen veröffentlicht und 14 Entwicklungen zum Patent angemeldet.

Das war nicht immer so: Gestartet wurde 1880 als Anstalt für die Prüfung von Baumaterialien. Bis tief ins letzte Jahrhundert reagierte die Empa vorwiegend auf Ereignisse. So zum Beispiel 1963, als 80 Menschen beim Absturz einer Caravelle kurz nach dem Start im aargauischen Dürrenäsch ihr Leben verloren. Empa-Forscher setzten die Bruchstücke zusammen und führten verschiedenste Untersuchungen durch. Ihre Erkenntnis: Der Pilot vergass, die Parkbremse während der Fahrt auf dem Rollfeld richtig zu lösen, dies war der Auslöser für die Tragödie. Seitdem gehören Temperaturfühler für die Bremsen zur Standardausrüstung von Passagierflugzeugen.

 

Groove alter Zeiten ist noch spürbar
Diese Untersuchung erfolgte bereits am heutigen Sitz der Empa. Anfang der 50er-Jahre bewilligte das Schweizer Parlament 64 Millionen Franken für den Umzug der Empa von Zürich nach Dübendorf. Der bis dahin teuerste zivile Bau der Nachkriegszeit wurde 1962 eingeweiht. Heute wirken die meisten Gebäude, die immer noch so rustikale Namen tragen wie «Holzprüfhaus» oder «Metallhalle», etwas aus der Zeit gefallen. Sie erinnern mehr an eine Industriebrache als an einen modernen Campus. Diesen Eindruck vermögen auch neuere Gebäude wie das «move», wo die mobile Zukunft erforscht wird, oder das kürzlich eingeweihte, topmoderne Testgebäude «Nest» (siehe Infobox rechts) nicht wettzumachen. So fühlt man sich in vielen Labors in Dübendorf an die Zeiten erinnert, als man noch selbst den Chemie- oder Physikunterricht besuchte.

Das stört den indischen Forscher Verma nicht. Für ihn haben solche Äusserlichkeiten keine Bedeutung. Trotzdem schwillt ihm die Brust ein wenig, als er dem Besucher die neuste Errungenschaft der Empa zeigt, das hochmoderne und mehrere Millionen teure Coating Competence Center. In diesem Beschichtungszentrum finden massgeschneiderte Oberflächentechnologien den Weg aus den Forschungslabors zu marktfähigen Industrieanwendungen. Hier kann auch Verma seine Tinkturen auf verschiedenen Oberflächen austesten. Vielleicht bald auch seine neuste Vision, die er vorantreiben will: Batterien in eine hauchdünne, druckbare Form zu bringen.

 

Ein Wissenschaftsnomade
Ob die Zeit dafür reicht, ist indes ungewiss. Vermas Vertrag läuft nächstes Jahr aus. Dieser lässt sich noch bis 2020 verlängern, weil Verma maximal fünf Jahre an der Forschungsanstalt in Dübendorf arbeiten und forschen kann. Dann spätestens heisst es für die Empa Abschied nehmen von einem Forscher, der nicht nur vor Ideen sprudelt, sondern auch mit seiner Freundlichkeit und Wärme die Forschergemeinde in Dübendorf bereichert hat.

Obwohl er wortreich beteuert, wie gut es ihm hier gefällt, ist nicht davon auszugehen, dass er der Schweiz lange nachtrauert. Denn Anand Verma ist ein typischer Wissenschaftsnomade – ihn zieht es dorthin, wo er mit noch dünneren, noch effizienteren und noch umweltschonenderen Materialien die Welt zum Leuchten bringen kann.

 

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Die Empa 
kurz erklärt

  • Die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) verfügt über drei Standorte – Dübendorf, St. Gallen und Thun. Als Teil des ETH-Bereichs ist sie dem Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung zugeordnet.
  • Das Jahresbudget betrug 2016 rund 108 Millionen Franken an Bundesmitteln und rund 63 Millionen Franken an Drittmitteln, davon mehr als 50 Millionen Franken über Forschungsanträge. 10 Millionen fielen als Dienstleistungserlöse an.
  • Ende des vergangenen Jahres liefen an der Empa rund 100 vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierte Projekte, 85 Projekte wurden von der Kommission für Technologie und Innovation unterstützt, und knapp 60 sind EU-Projekte. gr

 

Das «Nest»

  • Wohnhaus, Bürogebäude und Versuchslabor: All das ist das letztes Jahr in Dübendorf eröffnete «Nest». Mit einem Nest, wo man sich ausruht und zurückzieht, hat das moderne Gebäude allerdings herzlich wenig zu tun: «Nest» steht für «Next Evolution in Sustainable Building Technologies», also für die Entwicklung von nachhaltigen bautechnologischen Innovationen. Betrieben wird es von der Empa und der Eawag, der Eidgenössischen Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz.
  • Vom Experimentalgebäude erhofft sich insbesondere das Bundesamt für Energie so einiges. Der damalige Direktor Walter Steinmann betonte an der Eröffnung, dass der Gebäudesektor für die bundesrätliche Energiestrategie 2050 zentral sei: «Dieser verursacht die Hälfte des Energieverbrauchs in der Schweiz.» Anfang Jahr hat der erste «Nest»-Bewohner eines der drei Zimmer bezogen. Er fungiert seither als Testperson für die verbauten Holzinnovationen von Empa- und ETH-Forschenden, indem er diese im Alltag nutzt.
  • Auch der ganz normale Besucher des «Nest», es dient auch als Empfangsgebäude der Empa, wird zum Versuchskaninchen: Auf dem stillen Örtchen werden mit der sogenannten No-Mix-Toilette Urin und Fäkalien getrennt. Der so separierte Urin wird dann in den Flüssigdünger Aurin umgewandelt. Davon merkt man beim Geschäft nicht viel, wird aber danach um ein paar Auskünfte gebeten. So wollen die Forscher wissen, ob man sich selbst eine No-Mix-Toilette anschaffen würde und wie viel man dafür zu bezahlen bereit wäre. gr

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