Sie sind hier

Abo

Eurobike

Was 2018 alles herumfährt

In Friedrichshafen sind jeweils die aktuellen Velotrends auszumachen. Ohne Elektromotor geht nichts mehr – aber auch klassische Velos haben nach wie vor ihren Platz im Markt.

Bild: Tobias Graden
  • Dossier

Tobias Graden, Friedrichshafen

Die Eurobike, die in diesem Jahr zum letzten Mal Ende August stattgefunden hat, ist die wichtigste Messe für die Velobranche in Europa. Zwar hat sie mit Problemen zu kämpfen und kann nicht mehr für sich in Anspruch nehmen, die ganze Branche zu repräsentieren (vgl. Text unten), doch ist die Ausstellung nach wie vor der Treffpunkt von Händlern, Fachleuten und Velo-Aficionados, die sich hier über die neusten Entwicklungen informieren. Das «Bieler Tagblatt» fasst – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einige Trends zusammen.

 

Elektrifizierung
Keine grössere Marke, die etwas auf sich hält, verzichtet mehr auf Elektrovelos. Während bei den herkömmlichen Fahrrädern eher Evolution denn Revolution angesagt ist, stützen die E-Bikes die Verkaufszahlen der Industrie. Das zeigt sich auch in jüngst veröffentlichten Exportzahlen aus Taiwan, wo das Herz der globalen Veloproduktion schlägt. Treiber der Entwicklung ist derzeit das Segment der Mountainbikes. Die Integration von Motor, Antrieb und Akku ins Rahmendesign führt dazu, dass manche E-Mountainbikes auf den ersten Blick fast nicht mehr als solche erkennbar sind. Dies gilt beispielsweise für das Modell «Altitude» von Rocky Mountain, das dieses Jahr mit einem Eurobike-Award ausgezeichnet wurde. An vorderster Front mit dabei sind aber auch hiesige Hersteller wie BMC oder Scott. Stromer hat in Friedrichshafen das Modell ST5 gezeigt, eine Weiterentwicklung des Highend-Pedelecs ST2. Die Integration möglichst vieler Komponenten, die Fähigkeit zur Vernetzung und eine Erhöhung der Reichweite stehen bei solchen Velos im Vordergrund. Offenbar steht nun auch die Elektrifizierung der Rennvelos bevor, der Megatrend zeitigt allerdings auch seltsame Folgen (vgl. Auswahl rechts). Der Markt ist derzeit in starker Bewegung. Einerseits treten nach wie vor neue Player mit guten Produkten in Erscheinung, auch solche mit Sitz in der Schweiz. Anderseits zeigt der Verkauf der Branchenpioniere von Biketec (Flyer) an die deutsche ZEG, wie umkämpft der Markt ist.

 

Abgesang auf den Umwerfer?
Über 30 Jahre lang galt eine Kurbel mit drei Kettenblättern bei Mountainbikes als Standard. Das ist nicht mehr so. In den letzten Jahren hat die Zahl der Ritzel an der Kassette (hinten) ebenso zugenommen wie die Breite ihrer Abstufung, sodass immer mehr Bikemarken bei ihren Modellen vorne auf eine 
1-fach-Kurbel setzen. Das ergibt dann je nach Bestückung ein Velo mit 11 oder 12 Gängen, die zwar etwas weiter auseinanderliegen, aber im Prinzip fast die gleiche Bandbreite abdecken wie herkömmliche Schaltungen. Der US-Hersteller Sram hat darum den Umwerfer aus dem MTB-Sortiment gestrichen, der japanische Konkurrent Shimano bietet aber mit Überzeugung weiterhin sowohl 1- als auch 2-fach-Antriebe an.

 

Das Rennvelo ist mehr als das
Ein Rennrad, das war früher das Sportvelo für die Strasse, und für eigenartige Freaks gab es noch das Quervelo. Diese Velotypen sind mittlerweile sozusagen zusammengewachsen, und ihr Anwendungsbereich hat sich stark erweitert. So genannte Gravelbikes können mit breiteren Reifen gefahren und bisweilen auch mit Gepäck in speziellen Taschen beladen werden, sodass sie als eine Art «Mountainbike light» verwendet werden können. Sie sind – der zögerlichen UCI zum Trotz – mit Scheibenbremsen ausgestattet und machen mit dünnen Reifen auch als Rennrad eine gute Figur. Wer den Reifen- oder Radwechsel nicht scheut, hat also ein Velo für äusserst vielseitige Zwecke zur Hand.

 

Verbindung von Klassik und Moderne
Die allermeisten Velos ab einem Preissegment von etwa 2000 Franken (oft auch darunter) haben mittlerweile einen Rahmen aus Carbon. Diese Rahmen werden zumeist bei grossen Fertigungsspezialisten in Asien hergestellt (vgl. Text rechts). Ein Rundgang auf der Eurobike 2017 zeigte aber, dass Handwerk nach wie vor goldenen Boden respektive seinen Markt hat. Italienische Rennvelomarken wie Colnago oder De Rosa führen beispielsweise oft weiterhin ein liebevoll gestaltetes Stahlmodell im Sortiment, das zwar mit den neusten Komponenten ausgestattet ist, im Design aber an die frühen 90er-Jahre anknüpft. Auffallend oft kommt auch das Material Titanium zum Einsatz.

* * * * *

Herausforderndes Messewesen

Es war auch dieses Jahr offensichtlich: Die Eurobike als Messe hat zu kämpfen. Mehrere Hersteller bleiben dem Branchentreffpunkt mittlerweile fern. Dass für eine Marke wie die deutsche Canyon die Eurobike nicht mehr so attraktiv ist, wenn sie sich zunehmend wieder ans Fachpublikum richtet, erstaunt nicht sehr – schliesslich richten sich die Koblenzer als Direktversender auch im Vertrieb gleich an die Endkunden. Interessant ist es dann aber durchaus, wenn die Marke bei der Vergabe der Eurobike-Awards gleich doppelt in die Ränge kommt. Mit demselben Argument blieb übrigens auch der kleine Hersteller Bold Cycles aus Lengnau der Messe fern, auch wenn die Marke zu ihrer Markteinführung 2015 ebenfalls einen der durchaus Aufmerksamkeit generierenden Awards erhalten hatte. Die Messeleitung hat diese Entwicklung aber auch mitverantwortet: Gab es 2016 noch zwei Publikumstage, so war es dieses Jahr nur noch einer. «Sehr schade, aber so macht eine Veranstaltung für Direktversender keinen Sinn», liess sich ein Vertreter der deutschen Marke Propain in der entsprechenden Diskussion auf mtb-news.de vernehmen, dem grössten deutschsprachigen Mountainbike-Internetportal. Mit Cannondale, Specialized, Trek, Cube und weiteren fehlen an der Messe aber mittlerweile auch einige Schwergewichte der Branche, die über den Fachhandel verkaufen. Das schmerzt insbesondere die interessierten Endkunden. «Die Eurobike verkommt zur E-Bike-Schau für Senioren und zum Anbauteile-Grabbeltisch», lautete denn ein Diskussionsbetrag im erwähnten Forum. Jene Marken, die nicht mehr an der Eurobike zugegen sind, setzen stattdessen entweder auf eigene Veranstaltungen oder achten auf Präsenz an den mittlerweile zahlreichen Festivals, wie es sie auch in der Schweiz gibt.

Die Messeleitung hat bereits vor der diesjährigen Ausgabe die Weichen gestellt für die künftige Messe. Sie wird zu einem früheren Zeitpunkt stattfinden, nämlich bereits vom 8. bis 10. Juli. Dies komme den Fachhändlern entgegen, heisst es. Auf einen Publikumstag wird komplett verzichtet. Es ist also absehbar, dass Versendermarken nachhaltig auf eine Messepräsenz verzichten werden. Das Echo aus der Branche auf das neue Konzept sei aber positiv, liess die Messeleitung verlauten. Interessant dürfte aber durchaus sein zu beobachten, welche Folgen es auf den Handel hat, wenn die Neuheiten der kommenden Saison bereits im Juli vorgestellt und von den Fachmedien entsprechend breit rezipiert werden. tg

Nachrichten zu Vermischtes »