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Ewiges Leben

«Ich habe keine Angst vor dem Altern, ich will es nur vermeiden»

Der visionäre Forscher Aubrey de Grey will das Altern abschaffen. Er ist überzeugt, dass alle Menschen jung und gesund bleiben können. Man müsse den Körper nur wie ein Auto regelmässig warten.

Am Swiss Innovation Forum in Basel sprach der Altersforscher Aubrey de Grey (54) über seine Vision: Er strebt eine Welt an, in der alle Menschen jung und gesund bleiben. Bild: Dominik Plüss

Mirjam Comtesse


Aubrey de Grey, Sie trinken gerade eine Cola. Wollen Sie nicht gesund leben, damit Sie möglichst alt werden?
Aubrey de Grey: Im Moment können wir noch gar nicht so viel Einfluss darauf nehmen, wie lange wir gesund bleiben. Ich setze lieber auf meine Stiftung, die daran forscht, dass Menschen nicht mehr an altersbedingten Krankheiten sterben. Im Übrigen schlafe ich auch nicht annähernd genug, was meine Lebenserwartung sicher ebenfalls verkürzt. Dafür treibe ich unsere Forschungen voran. Ich hoffe, ich gewinne.

Wie alt möchten Sie denn gerne werden?
Das ist völlig irrelevant. Sie könnten mich genauso gut fragen, wann ich gedenke, nächsten Sonntag auf die Toilette zu gehen. Meine Antwort ist: «Je näher wir dem fraglichen Zeitpunkt kommen, desto mehr Informationen werde ich darüber haben und mit desto mehr Wahrscheinlichkeit kann ich eine präzise Antwort geben.»

Sie betonen, es gehe Ihnen nicht um Unsterblichkeit, sondern darum, dass Menschen möglichst lange jung bleiben. Wo ist der Unterschied?
Im Prinzip gibt es natürlich keinen. Wenn die Leute länger jung und gesund bleiben, sinkt das Todesrisiko. So wird Langlebigkeit zum Nebeneffekt unserer Bemühungen.

Wie alt könnten die Menschen künftig werden, wenn Sie mit Ihren Forschungen einen Durchbruch erzielen?
Es gibt keine Grenze. Wie alt kann ein Auto werden?

Ich habe keine Ahnung.
Genau, Sie wissen es nicht. Es gibt Autos, die sind 100 Jahre alt. Als sie gebaut wurden, dachte niemand, dass sie länger als ein paar Jahrzehnte fahrtüchtig wären. Doch es stellte sich heraus, dass man mit sorgfältiger Wartung ein Auto in Schuss halten kann. Aber wird ein Auto, das heute 100 Jahre alt ist, nochmals 100 Jahre überdauern? Das muss sich erst zeigen. Genauso wird die Entwicklung bei der Lebenserwartung von Menschen verlaufen.

Sie können den menschlichen Körper doch nicht mit einer Maschine vergleichen!
Der Körper ist eine sehr komplexe Maschine, na und? Natürlich verfügen wir im Gegensatz zu einem Auto über ein Bewusstsein. Aber dieses hat keinen Einfluss darauf, wie lange wir leben. Dasselbe gilt für alle Bestandteile des menschlichen Körpers, die keine Ähnlichkeit mit einer Maschine haben: Sie haben keinen Zusammenhang mit der Lebenserwartung.

Wenn es einem psychisch schlecht geht, kann man doch krank werden und dadurch früher sterben?
Ja, aber der Prozess des Alterns bleibt der gleiche. Diesem wollen wir entgegenwirken.

Sie sagen, Menschen können im Prinzip ewig leben. Die meisten Wissenschaftler gehen davon aus, dass 120 Jahre die oberste Grenze sind.
Das ist Humbug. Natürlich existiert eine natürlich Grenze, wie lange Menschen leben können – ohne medizinische Hilfsmittel. Wir leben aber in einer Welt voller therapeutischer Möglichkeiten. Irgendwann wird es auch solche geben, welche die natürliche Begrenzung der Lebenserwartung verschieben.

In Ihren Vorträgen reden Sie immer wieder von e  iner möglichen Lebenserwartung von 1000 Jahren. Wieso gerade 1000?
Das ist eine einfache Rechnung. Wir nehmen die Wahrscheinlichkeit, dass jemand, der heute in der westlichen Welt 25 Jahre alt ist, seinen 26. Geburtstag nicht mehr erlebt. Sie beträgt 1:1000. Wenn es keine Alterung gibt, könnte er also noch 1000 Jahre leben. Aber natürlich ist das zufällig und wir vereinfachen radikal. Ob Menschen 1000 Jahre alt werden können, wird sich so oder so frühestens in 900 Jahren zeigen.

Ist es überhaupt erstrebenswert, so alt zu werden?
Wen kümmerts? Es ist erstrebenswert, gesund zu bleiben.

Selbstverständlich. Aber wenn wir deutlich älter würden, hätte das weitreichende Folgen: Überbevölkerung wäre etwa ein Problem. Und wir müssten unsere Lebensläufe völlig neu gestalten.
Solche Überlegungen sind für mich kein Grund zu zögern. Jeder fundamentale technologische Fortschritt hat Gesellschaften verändert. Die industrielle Revolution verlief beispielsweise ziemlich turbulent. Wir sind im Nachhinein trotzdem froh, dass sie passierte.

Wer würde vor allem von Ihren Forschungen profitieren? Nur junge Leute, die rechtzeitig damit beginnen, sich gegen das Altern zu wappnen? Oder auch bereits Ältere?
Unser Ziel ist es ja, die Schäden, die sich im Verlauf eines Lebens im Körper akkumulieren, rückgängig zu machen. Ich kann das wieder mit einem Auto vergleichen: Sie können auch ein altes Auto verjüngen, indem sie es reparieren. Es läuft dann vielleicht nicht mehr ganz so gut wie in seinen Anfangsjahren, aber doch deutlich besser als vorher.

Aber wenn man bei einem Körper wie bei einem Wagen Ersatzteile austauscht und tief in den Stoffwechsel eingreift, ist man nachher noch derselbe Mensch?
Sind Sie noch derselbe Mensch wie mit acht Jahren?

Teilweise schon, aber nicht zu 100 Prozent.
Genau so wird es sein.

Glauben Sie denn, dass es eine unsterbliche Seele gibt?
Das ist nicht mein Problem. Vielleicht gibt es eine Seele, vielleicht nicht. Solange wir leben, hat die Seele sicher keinen Zusammenhang mit dem Altern.

In wie vielen Jahren können Sie vermelden, dass es gelungen ist, den Alterungsprozess deutlich zu verlangsamen?
Ich glaube, die Chance beträgt 50 zu 50, dass wir in den nächsten 20 Jahren eine entscheidende Entdeckung machen. Aber eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass unsere Stiftung genug Unterstützung erhält.

Eine Chance von 50 zu 50 ist nicht gerade viel.
Es ist genug, dass es sich lohnt, dafür zu kämpfen.

Google forscht über das Start-up Calico ebenfalls daran, das Leben zu verlängern. Wieso tun Sie sich nicht zusammen?
Calico ist eine riesige Enttäuschung. Sie haben entschieden, auf niemanden zu hören, der sich mit dem Thema auskennt, und verschwenden dadurch eine riesige Menge Geld.

Was ist der Unterschied zwischen dem, was Sie tun, und dem, woran das Biotechnologieunternehmen Calico forscht?
Calico geht von der falschen Annahme aus, dass wir nichts über das Altern wissen. Jetzt machen sie zuerst einmal Basisforschung. Dabei ignorieren sie all die harte Arbeit, die andere – darunter ich – in den vergangenen Jahrzehnten bereits geleistet haben.

Was treibt Sie an?
Mir gefällt die Idee nicht, dass Leute krank werden. Mich überrascht, dass es Leute gibt, die finden, das Altern sei kein Problem, das man dringend angehen müsse.

Haben Sie Angst davor, alt und krank zu werden?
Angst ist das falsche Wort. Ich versuche einfach, es zu vermeiden.

Sie sehen nicht aus wie ein typischer, topseriöser Wissenschaftler. Ecken Sie damit an?
Ich glaube, ich sehe ziemlich genauso aus wie ein typischer Wissenschaftler. Wie einer, dem es egal ist, wie viel Geld er verdient.

Sie tragen eine sehr teure Uhr am Handgelenk für jemanden, der sagt, Geld bedeute ihm nichts.
Sie ist ein Geschenk meiner Verlobten. Zuvor hatte ich eine Uhr, die 10 Dollar gekostet hat. Ich war völlig zufrieden damit.

Ist die Schönheitsindustrie eigentlich interessiert an Ihren Forschungen?
Der Grund für die Existenz der Schönheitsindustrie ist ja, dass, wenn das Innere im Körper nicht mehr richtig funktioniert, auch das Äussere leidet. Man kann ein bisschen was dagegen unternehmen. Aber je älter man wird, desto schwieriger wird es, jung auszusehen. Sobald es uns gelingt, die inneren Abläufe zu reparieren, wird das Äussere automatisch mitziehen. Wir würden die Schönheitsindustrie also überflüssig machen.

Wird die Grösse des Portemonnaies künftig darüber entscheiden, wie lange jemand jung, gesund und schön bleiben kann?
Das glaube ich nicht. Alle werden diese neuen medizinischen Möglichkeiten nutzen können. Schliesslich wäre es ökonomischer Selbstmord, wenn eine Gesellschaft zulassen würde, dass Menschen krank werden, obwohl sie dies verhindern könnte.

Gilt dies auch für ärmere Länder?
Es würde wahrscheinlich nicht allzu lange dauern, bis auch Leute in ärmeren Ländern Zugang zu den Methoden hätten. In der Vergangenheit gab es oft Verzögerungen, bis neue Medikamente in solche Regionen gelangten. Das Problem dabei war, dass die westlichen Politiker die Relevanz oft nicht sahen. Zum Beispiel sitzen wenige Leute in Regierungen, die den HI-Virus haben. Aber alle Politiker wissen, wie es ist, wenn man älter und kränker wird. Deshalb bin ich optimistisch.

Die Menschen könnten weiterhin bei Unfällen sterben. Würde überhaupt noch jemand in ein Flugzeug steigen, wenn er sein ewiges Leben dabei aufs Spiel setzt?
Es gibt zwei Arten, das Risiko zu reduzieren, bei gefährlichen Aktivitäten zu sterben. Die eine ist, die gefährliche Aktivität zu meiden. Die andere, die Aktivität weniger gefährlich zu machen. An Zweitem arbeitet unsere Gesellschaft ständig. So werden beispielsweise selbstfahrende Autos dafür sorgen, dass es keine Verkehrsunfälle mehr gibt. Ich denke also nicht, dass die Leute in Zukunft nur noch in ihren Betten liegen werden, weil sie kein Risiko mehr eingehen wollen.

* * * * *

Aubrey de Grey im Gespräch

Mit seinen langen Haaren und seinem Bart wirkt der Altersforscher Aubrey de Grey eher wie ein Hippie als wie ein Wissenschaftler. Und wie ein Hippie hat er einen Traum von einer besseren Welt: einer, in der die lebensverkürzenden Folgen des Alterns aufgehoben sind und wir bis zu 1000 Jahre alt werden können. Dabei sollen wir stets das biologische Alter von 25 bis 30 Jahren beibehalten. Der 54-Jährige sprach diese Woche am Swiss Innovation Forum in Basel über seinen Traum.

Bekannt ist de Grey unter anderem für sein Buch «Niemals alt!: So lässt sich das Altern umkehren».Er erklärt darin, dass im Körper von Geburt an ständig Schäden am Erbgut und an den Zellen entstehen. Bei jungen Menschen werden diese Schäden schnell ausgebessert, bei älteren akkumulieren sie sich und führen schliesslich zu dentypischen Alterskrankheiten. Dazu gehören Krebs, Diabetes, Alzheimer sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Diese sind für zwei Drittel aller Tode weltweit verantwortlich.

De Grey hat sieben Arten solcher Schäden definiert, die das Leben verkürzen. Dazu zählen nebst anderen Zellverlust im Gehirn, giftige Ablagerungen und unerwünschte Zellteilung, also Krebs. Der Biogerontologe sieht als Mittel dagegen Stammzellentherapien, die kaputte Zellen ersetzen, gentechnische Eingriffe, Nanoroboter und Spezialimpfungen, die alternde Zellen fit spritzen.

Der Brite liess sich ursprünglich in Cambridge zum Informatiker ausbilden, später hat er in Biologie dissertiert. Im Jahr 2009 gründete er zusammen mit mehreren Partnern die Sens-Stiftung mit Sitz in Kalifornien. Diese treibt die molekularbiologische Altersforschung voran. Einer der prominentesten Unterstützer ist der Paypal-Gründer Peter Thiel.

Aubrey de Grey, der in der ­Nähe von San Francisco wohnt, nimmt im Gespräch die typische Silicon-Valley-Haltung ein: Vom Fortschritt werden alle profitieren. Unangenehmen Fragen wie etwa der nach den gesellschaftlichen Konsequenzen, wenn er mit seiner Forschung erfolgreich ist, weicht er aus. Seine Lieblingsfloskeln sind dann: «Who cares?», «What the damn?» oder «That’s not my problem.» mjc
 

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