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Biel

60 Fahrzeuge stehen ständig bereit

Das Start-up Enuu macht vorwärts: Sowohl die Finanzierung wie auch der Pilotversuch in Biel sind auf gutem Weg. Bereits im März stellen die Jungunternehmer ihr System in Deutschland und den USA vor. Zuerst startet nun aber eine Crowdfunding-Kampagne.

Gehört bald zum Bieler Strassenbild: Das erste Exemplar eines Fahrzeugs von Enuu, wie es im dritten Quartal ausleihbar ist.  copyright: matthias käser/bieler tagblatt
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Tobias Graden

Es ist tatsächlich extrem einfach. Mit dem Drehgriff beschleunigen, mit dem Lenker steuern, mit den Bremshebeln bremsen. Zusätzlich gibt es Blinker und eine Handbremse. Fertig. Das Wägelchen fährt 25 Stundenkilometer, schneller gehts nicht. Der Bremsweg ist kurz, die Lenkung steuert rasch und präzise, Federung und Dämpfung sind – zumindest bei diesem Vorserienmodell – eher straff abgestimmt. Grundsätzlich gilt: Einsteigen und losfahren, ohne Vorkenntnisse, es ist einfacher als Velofahren. Und in wenigen Monaten soll dies für alle Bielerinnen und Bieler möglich sein, und das erst noch gratis.

Im Mai geht es um Millionen
Möglich macht dies das Team von Enuu. Das von Luca Placi und Yoann Loetscher gegründet Start-up hat zum Ziel, mit einer neuartigen Mobilitätslösung die Städte der Welt zu erobern. Das Unternehmen ist nicht nur daran, ein Leichtelektrizitätsfahrzeug (LEV, Light Electric Vehicle) zu entwickeln, sondern auch das Verleihsystem und das Geschäftsmodell dazu: Den Nutzern steht eine bestimmte Anzahl der Fahrzeuge zur Verfügung, diese können bis zu einer bestimmten Anzahl Fahrten gratis ausgeliehen werden, gesteuert wird das dezentrale System über die entsprechende App, finanziert wird es über Werbung – einerseits an den Fahrzeugen selber, vor allem aber in der App der Nutzer.
Nun benötigt die Entwicklung und Vermarktung eines solchen Systems einiges an Kapital. Zwar hat es mit einer auf nachhaltige Mobilitätslösungen spezialisierten Londoner Kapitalgesellschaft Verzögerungen gegeben. Dennoch sagt Placi: «Wir stossen auf internationales Interesse.» Das eigentliche Seed-Funding, bei dem es darum geht, Geld für die weitere Expansion zu sichern, wird im Mai erfolgen, die Diskussionen mit Interessenten verliefen positiv, berichtet Placi. Es wird um Millionenbeträge gehen.
Nächsten Monat erfolgt die Umwandlung von Enuu in eine  Aktiengesellschaft– ein Schritt, der für die weiteren Finanzierungsrunden unabdingbar ist. Aktionäre werden die beiden Gründer, Unterstützer aus ihrem Umfeld und ab Mai dann die weiteren Investoren sein. Geben Placi und Loetscher also bald die Kontrolle über ihre Firma ab? «Im operativen Geschäft geben wir das Steuer nicht aus der Hand», sagt Placi, «und wir wollen auch mindestens bis zur dritten Finanzierungsrunde die Mehrheit halten.»

Umkippen geht nicht
Mittlerweile hat der chinesische Fertigungspartner die ersten drei Fahrzeuge geliefert, die im Pilotversuch zum Einsatz kommen werden. Dieser Tage erfolgt die Integration der Elektronik, danach werden die Fahrzeuge ins Flottenmanagement-System aufgenommen. Am 7. März soll der so genannte «technological showcase» bereit sein: ein fahrfertiges LEV, die App, also der ganze Prozess. Bis zum Start des Pilotversuchs in Biel wird das LEV noch weiter auf Herz und Nieren geprüft. Denn Sicherheitsprobleme in einer so frühen Phase des Unternehmens wären fatal. Ein erster Fahrversuch aber zeigt: Bei verantwortungsvollem Gebrauch – der natürlich die Einhaltung der Verkehrsregeln einschliesst – dürfte die Nutzung von Enuu risikoärmer sein als Velofahren. Die Geschwindigkeit ist begrenzt, und selbst abrupte Lenkmanöver bringen das Fahrzeug dank seines tiefen Schwerpunkts nicht zum Kippen. Für den Test in Biel hat Enuu auf bestehende Fahrzeuge zurückgegriffen. Im Hintergund aber läuft die Entwicklung des eigenen Modells – Details dazu lässt sich Placi noch nicht entlocken.
Zur Frage, wer mit Enuu fahren darf, laufen Abklärungen mit den entsprechenden Behörden. «Es sieht danach aus, dass jedermann ab 18 Jahren ausweisfrei wird fahren dürfen», sagt Luca Placi. Das Wägelchen ist nur wenig breiter als ein Fahrrad und wird wohl den Velostreifen benutzen dürfen.

Keine fixen Stationen
Das genaue Startdatum für den Pilotversuch in Biel ist noch nicht festgelegt. Es wird im dritten Quartal (also zwischen Juli und September) liegen. Der Versuch ist auf zwölf Monate angelegt. Involviert sind 80 Fahrzeuge: 60 stehen ständig für den Betrieb bereit, die restlichen 20 werden von Enuu analysiert und kontrolliert. Die Reichweite sollte dabei gross genug sein, damit die LEVs nur einmal am Tag aufgeladen werden müssen.
Am Versuch teilnehmen und die Fahrzeuge nutzen kann jeder, der das erforderliche Alter erreicht hat, die App herunterlädt und sich damit anmeldet. Zu Beginn wird die Einsendung des Bilds eines Ausweisdokuments angefordert. Enuu prüft dieses, erst danach wird der Account freigeschaltet. Der Standort jedes verfügbaren Fahrzeugs wird in der App angezeigt. Anders als beim Fahrradverleihsystem Velospot sind also keine fixen Stationen nötig. Die ersten drei Fahrten pro Tag sind für die Nutzer gratis – finanziert wird dies durch Geld aus Marketingkampagnen, von denen Enuu für den Pilotversuch in Biel bereits drei der vorerst geplanten 24 verkauft hat.
Vor dem Pilotversuch in Biel testet Enuu das System auf dem Gelände der ETH Lausanne. Diese ist der Forschungspartner von Enuu, und zwar auf zwei Ebenen. Einerseits technisch: Mitte 2019 soll das erste Enuu-Fahrzeug autonom fahren – geht es nach Luca Placi, wird in zehn Jahren die ganze dereinstige Enuu-Flotte autonom funktionieren. Anderseits verkehrssoziologisch: Die Wissenschaftler analysieren die Daten, um Aussagen machen zu können, wie die Menschen ein solches System nutzen. Was stellen sie mit den Fahrzeugen an? Ist Vandalismus ein Problem? Versuchen sie, mit den Fahrzeugen ausserhalb des Perimeters zu gelangen?

Berlin, New York, Detroit
Ein halbes Jahr nach dem Start in Biel will Enuu bereits in anderen Städten mit Versuchen beginnen. Nicht nur in der Schweiz – Luca Placi nennt London, Berlin, Singapur und Shanghai als mögliche Orte. Denn es ist das erklärte Ziel von Enuu, international Fuss zu fassen. «Unsere Märkte sind europäische Grossstädte, die USA und Asien», sagt Placi. Bereits im März stellt er Enuu in Berlin, München und London interessierten Investoren vor, danach folgen New York, Detroit und San Francisco. In der Tech-Branche gilt es, Innovationen rasch auf den Markt zu bringen. Enuu sondiert darum wöchentlich penibel genau den Markt, um nicht plötzlich einen möglichen Konkurrenten zu verpassen.

150 Unterstützer gesucht
Bereits ist auch die Autoindustrie auf Enuu aufmerksam geworden. «Wir sind von einem der grössten Zulieferer Deutschlands kontaktiert worden», sagt Placi, «er verfügt zwar über ein schönes Prototypen-Fahrzeug, ist in der Umsetzung aber nicht so weit wie wir.» Die beiden Firmen fassen die Bildung eines Joint-Ventures ins Auge. Der Verkauf des Fahrzeugs an Endkunden ist aber nicht das Ziel von Enuu: «Man sollte wegkommen vom Prinzip des Besitzens», sagt Placi.
In diesen Tagen startet Enuu eine Crowdfunding-Kampagne. Sammelziel sind 8000 Franken. Warum ist das nötig? «Damit verdeutlichen wir künftigen Investoren, dass die Menschen unser Projekt auch wirklich wollen», sagt Placi. Er ist zufrieden, wenn sich für die Kampagne mindestens 150 Unterstützer finden, das wären zehn Prozent der angestrebten Nutzerzahl für das Pilotprojekt. Wie viele es dann tatsächlich sein werden? Das werden die Bielerinnen und Bieler in wenigen Monaten zeigen.

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