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Ried

Wenn Millionen von Jungpflanzen nur einen Bruchteil ausmachen

Ein Grossteil der Setzlinge, die in der Schweiz gepflanzt werden, wird importiert. Eine der wenigen Schweizer Firmen, die sich der Aufzucht von Jungpflanzen verschrieben hat, ist Etter Gemüse und Jungpflanzen in Ried. 
Von Frühling bis Herbst herrscht Hochbetrieb: Nach den Salat- und Kohlsetzlingen kommen nun auch die Tomatensetzlinge in den Handel.

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Andrea Butorin

Die Dimensionen überraschen: Bei Etter Gemüse und Jungpflanzen in Ried reiht sich Gewächshaus an Gewächshaus voller Setzlinge in bunten Kistchen. Die ganze Fläche umfasst 2,4 Hektaren. Manche Gemüsesorten werden gesät, andere gesetzt. Weil die Setzlingsaufzucht bei vielen Gemüsesorten sehr aufwendig ist, haben die Gemüsegärtner diesen Schritt ausgelagert. Die meisten Setzlinge, die in der Schweizer Landwirtschaft gepflanzt werden, stammen aus dem Ausland. Etter Gemüse und Jungpflanzen bewegt sich somit in einer Nische.

Das vor 51 Jahren von Fritz und Helene Etter gegründete Familienunternehmen ist von der zweiten Generation unter Hans und Maria Etter mit dem Fokus auf die Jungpflanzen weiter ausgebaut worden. Heute arbeiten auch deren Söhne Ramon und Lukas auf dem Betrieb mit, beides gelernte Gemüsegärtner. Der 27 Jahre alte Lukas Etter plant die Betriebsübernahme in den nächsten fünf Jahren.

«Nur Torf klebt so gut»

Am Anfang einer Jungpflanze steht ein Samenkorn. Die Samen lagern bei Etters in der Schatzkammer, dem rund acht Quadratmeter grossen und diebstahlsicheren Samenbunker. Hier hat es Tüten, Dosen und Mehrkilosäcke voller Samen. Manche sind nur wenige Millimeter klein, eine grosse Tüte Nüsslersamen etwa enthält somit 2,5 Millionen einzelner Sämchen. Etters beziehen diese via Schweizer Zwischenhändler grösstenteils aus dem Ausland (siehe Zweittext).

Damit ein Samen wachsen kann, benötigt er Wasser und Erde. Lukas Etter zeigt auf einen grossen Haufen Torf – ein umstrittener, da endlicher Rohstoff. Der Betrieb verarbeitet jährlich 5000 Kubikmeter davon. Etter bedauert die geringe Nachhaltigkeit von Torf, sagt aber: «Wir würden sofort umsteigen, wenn sich ein anderes Material finden liesse, das so gut klebt wie Torf.» Die Presstopferde, die Etters verwenden, stammt von der deutschen Firma Klasmann-Deilmann GmbH und wird laut Etter vorwiegend in Deutschland, aber auch im Baltikum abgebaut. Auf ihrer Website schreibt die Firma bloss, der Torf stamme aus «unterschiedlicher Herkunft».

Lukas Etter sagt: «Im Biobereich ist die Verwendung von Torf ein Grenzfall.» Vorschrift ist, dass die Erde maximal 70 Prozent Torf enthalten darf, die weiteren 30 Prozent bestehen aus Kompost.

Seit 20 Jahren produziert Etter Gemüse und Jungpflanzen ausschliesslich Setzlinge nach den Richtlinien von Bio Suisse. Das bedeutet, dass lediglich Bio-Saatgut verwendet werden darf: Die Samen dürfen nicht gebeizt, also nicht bereits mit chemischem Pflanzenschutz angereichert sein. Weiter müssen die Spritzmittel biologisch abbaubar sein, Herbizide sind verboten, und auch der Dünger muss organisch sein.

«Was uns am meisten zu schaffen macht, ist der Mehltau», sagt Lukas Etter. Der Pilz befällt vor allem die Kohlarten, und während er in der konventionellen Setzlings-Aufzucht mit Chemie bekämpft werden kann, dürfen Biobetriebe bloss vorbeugend spritzen. «Das schränkt uns natürlich ein und beschert uns teils grosse Verluste», sagt der Jung-Unternehmer.

Einen Schock verhindern

«Die Setzlings-Aufzucht bedeutet sehr viel Handarbeit», sagt Etter. Doch beim ersten Schritt auf dem Werdegang eines Setzlings kommt eine Maschine zum Einsatz: ein ratterndes orangefarbenes Ungetüm der Firma Unger. Der Torf wird mit temperiertem Wasser angereichert, «damit der Samen keinen Schock erhält», wie Etter sagt. Anschliessend wird er in sogenannte Erdpresstöpfe gepresst. Diese sind zirka vier auf vier Zentimeter gross. Ein scheinbar endloser Teppich dieser Erd-Quader läuft über das Fliessband, stets 15 nebeneinander. In der Mitte wird ihnen ein kleines Loch eingestanzt, in das im nächsten Schritt der Samen hineingegeben wird: maschinell, aber unter der Aufsicht eines Mitarbeiters.

Aktuell werden Fenchelsamen gesät: Ein Eilauftrag für einen Seeländer Bauern, der seine Setzlinge zu spät bestellt hatte. Anschliessend werden je 150 dieser Quader in eine Kiste verpackt und auf ein Palett gestapelt: Es dauert nicht lange, und ein weiterer Arbeiter holt sie mit dem Gabelstapler ab und führt sie in einen der Vorkeimräume.

Die Produktionsdauer ist sortenabhängig: Beim eben gesäten Fenchel wird es rund einen Monat dauern, ehe die Setzlinge abholbereit sind. Im Vorkeimraum ist es angenehme 18 bis 20 Grad warm, und die Luftfeuchtigkeit beträgt 90 bis 95 Prozent: Augenblicklich beschlägt die Linse des Fotografen. Die Keimräume sind das Reich von Piotr Wal: Der Pole arbeitet als Bereichsleiter Jungpflanzen und ist verantwortlich dafür, dass jedes Pflänzchen, das gekeimt hat, sofort in einen weniger feuchten Raum verlegt wird. Denn verbliebe es im tropischen Klima, würde es zu stark wachsen, was sich wiederum negativ auf die Optik der Pflanze auswirken würde. «Und der Kunde, insbesondere im Hobby-Bereich, kauft nun mal mit dem Auge», sagt Lukas Etter. Somit muss Piotr Wal die Keimlinge täglich kontrollieren.

Tomaten bescheren viel Arbeit

Nun tritt Lukas Etter in ein Gewächshaus, in dem angenehme 20 Grad, aber eine geringere Luftfeuchtigkeit als im Keimraum herrschen: Ideale Bedingungen für die sogenannten Warmpflanzen wie etwa Tomaten oder Auberginen. Etter greift sich einen bereits stattlich gewachsenen Tomatensetzling und sagt: «Hier erreichen sie die nötige Dicke.» Nach zirka drei Wochen kommen sie in einen etwas kühleren Raum. In dieser «Abteilung» liegt Kistchen an Kistchen an Kistchen: Viele Meter voller unterschiedlicher Setzlinge.

Um den Überblick zu behalten, ist die Produktion der verschiedenen Abnehmer – Gemüsegärtner und Grosskunden – möglichst getrennt. Die Setzlinge, die beim Grossverteiler im Hobbybereich angeboten werden, kommen etwa in runde statt eckige Töpfe, auch die Kistchen haben unterschiedliche Farben.

Das Verlegen der Kisten ist bei Etter jeweils Handarbeit, ebenso das Entfernen der überschüssigen Triebe. «Lauch, Kohlrabi und Tomaten bescheren uns am meisten Arbeit», sagt Lukas Etter und zwickt bei einem Lauchsetzling zwei Keimblätter ab: «Daraus würden sonst später unerwünschte gelbe Blätter entstehen.»

Nächste Woche geht es los

Bei den Tomatensetzlingen geht der Verkauf bereits nächste Woche los. Salate, Kohl und Krautstiele sind bereits im Verkauf. Im April und Mai gibt es am meisten zu tun, weil da der Hobbybereich boomt. Für diesen wird bis in den September produziert. Herbst und Winter bedeuten für die Gemüsegärtner in erster Linie: Nüssler pflanzen.

Um die Jungpflanzen transportfertig zu machen, liess Etter Gemüse und Jungpflanzen einen Prototyp einer Abschalmaschine bauen: Hier werden bei die Erdpresstöpfe entfernt, damit die Setzlinge in das verkaufsfertige Gebinde umgepackt werden können. Auch bei dieser Maschine geht es nicht ganz ohne menschliche Unterstützung, denn die Maschine macht gelegentlich Mätzchen, wie Etter sagt. Und trotzdem nehme sie seinem Betrieb viel Arbeit ab .

Froh über eigene Quelle

Lukas Etter hofft, den Betrieb dereinst im gleichen Stil weiterführen zu können: «Natürlich weiss ich nicht, wie sehr sich bis dahin der Markt verändern wird.» Er kann sich aber vorstellen, vermehrt auf Spezialitäten zu setzen wie die Pro-Specie-Rara-Gemüsesorten oder Süsskartoffeln. Ein Projekt für ein zusätzliches Gewächshaus steckt bereits in der Pipeline. Für weitere Ausbauten sieht er aufgrund des neuen Raumplanungsgesetzes aber eher schwarz. Froh ist er über die hauseigene Wasserquelle: «Die haben wir just 2003 angeschlossen, was uns in jenem Hitzesommer wohl gerettet hat», sagt er. Schliesslich brauche sein Betrieb in der Hochsaison täglich 150 000 Liter Wasser.

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www.bielertagblatt.ch/etter