Tobias Graden
«Das Ziel von dieser Erde, das ischt eine Ebene», liess die Band Stop The Shoppers in den Neunzigerjahren einen Förster im Song «Gürbe» sagen. Hier, im riesigen Steinbruch Tscharner ob Péry, hilft ihr der Mensch dabei. Lastwagen kraxeln den Berg hoch wie Insekten. Die Volvos haben den Kopf keck nach vorne gestreckt, die Caterpillars und Komatsus haben ein flacheres Gesicht, sind dafür bulliger. Im Steinbruch selber beisst sich ein Bagger in den Berg wie eine Gämse, die am Steilhang grast.
Hier ist der Ursprung von Brücken, Einfamilienhäusern, Turnhallen und Stützmauern. Hier wird der Berg abgetragen, Kubikmeter für Kubikmeter. Aus dem Berg wird Zement. Sisyphus ist hier Lastwagenfahrer. Er rollt den Stein nicht hoch, sondern runter, dutzende Tonnen pro Fahrt. Doch abertausende warten noch, Millionen gar.
Still, aber kraftvoll
1,2 Millionen Kubikmeter Material werden hier pro Jahr abtransportiert und zu Zement verarbeitet. Der Transport dieser Masse benötigt einiges an Energie. Kein Wunder: Ein leerer Transporter wiegt 58 Tonnen, die er pro Leerfahrt 180 Höhenmeter hinaufwuchten muss. Ist er mit 65 Tonnen beladen, muss die Maschine bergab ein Gesamtgewicht von 123 Tonnen bremsen. 50000 bis 100000 Liter Diesel verbraucht so ein Muldenkipper pro Jahr. Dabei weiss man doch aus den frühen Stunden des Physikunterrichts: Eine Masse auf einer schiefen Ebene, das ist Energie.
Und die könnte man doch nutzen, dachten sich diverse Akteure aus Zementindustrie, Fahrzeugbauern, Batteriespezialisten, Hochschulen und Bundesämtern. Sie ermöglichten den Bau des E-Dumpers, des grössten Elektroautos der Welt, der gestern offiziell auf den Namen «Lynx» getauft wurde.
Luchs? «Wir haben uns mit grossem Mehr dafür entschieden», sagt Bernard Keller, Leiter des Steinbruchs:«Der Luchs lebt in unseren Wäldern, wir haben ihn hier oben auch schon gesehen. Und er ist ein diskretes Tier. Er ist still, aber kraftvoll.»Das gilt in der Tat auch für den E-Dumper: Anders als bei den Dieselfahrzeugen hört man ihn kaum, wenn er kommt. Erst wenn er in der Nähe ist, sind zuerst die Abrollgeräusche der Reifen mit zwei Metern Durchmesser wahrnehmbar, und dann ein leises Surren.
Interesse aus aller Welt
In Auftrag gegeben wurde der E-Dumper durch die Firma Vigier, die den Steinbruch betreibt. An der Entwicklung beteiligt waren dann auch Akteure aus der Region. Von der Berner Fachhochschule waren dies das Zentrum Energiespeicherung und das Institut für Mobilitätsforschung. Seitens der Firma Lithium Storage, die spezialisiert ist auf Batterietechnologie, kümmerte sich der Bieler Andreas Sutter um das Projekt (das BTberichtete).
Die Symbolkraft dieser Einweihung könne gar nicht hoch genug eingeschätzt werden, sagt Beat Vonlanthen, Präsident des Verbandes Cemsuisse. Denn nicht nur zeige sich hier ein innovatives Produkt hiesiger Ingenieurskunst, die Bedeutung sei auch vor dem energiepolitischen Hintergrund zu sehen. In der Tat ist das Interesse am grössten und stärksten Elektrolastwagen der Welt gross. In 117 Sprachen sei die entsprechende Medienmitteilung inzwischen übersetzt worden, sagt Franz Kissling, CEOdes Baumaschinenspezialisten Kuhn AG, und er habe Anfragen aus aller Welt zu beantworten. Beim E-Dumper handle es sich um eine der bedeutendsten Entwicklungen des Jahrzehnts: «Die Batterisierung ist nicht mehr aufzuhalten, die Dieselfahrzeuge werden aussterben.»
Die Bergfahrt stört
Die blossen technischen Daten des umgebauten Lasters sind zwar beeindruckend: Umgerechnet leistet der Elektromotor 1332 PS, das Drehmoment beträgt 9500 Nm. Entscheidender aber ist der Umstand, dass der Lastwagen im Idealfall als Plusenergiefahrzeug funktioniert. Das Bremssystem rekuperiert beim Runterfahren mit Beladung mehr Energie, als das leere Fahrzeug beim Hochfahren verbraucht. Bei 20 Fahrten täglich könnte der E-Dumper am Abend 200 kWh ins Netz einspeisen, was den Energiebedarf von 150 Haushalten deckt. Der Lastwagen ist also gleichzeitig ein Kraftwerk.
Im bisherigen Betrieb war dies allerdings noch nicht der Fall. Der Grund dafür ist einfach: Derzeit wird der Laster an einem Ort im Steinbruch beladen, von dem er zuerst 60 Höhenmeter aufwärts bewältigen muss, bevor die Abfahrt beginnt. Diese Bergfahrt ist ein Energiefresser. Mit einer angepassten Abbauplanung wird dies aber optimiert werden. Abhängig ist die Rekuperationskapazität auch vom Zustand der Piste (je ebener die Fahrbahn, desto besser) und der Witterung (mit Schneeketten ist mehr Energie nötig). Lukas Epple, CEOvon Vigier, ist jedenfalls vom Fahrzeug überzeugt: Wenn sich dieses bewähre, werde es nicht bei dem einen bleiben, schliesslich habe man sich das Ziel gesetzt, den fossilen Brennstoffverbrauch zu reduzieren
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Péry
Sisyphus fährt nun elektrisch
Der grösste Elektrolastwagen der Welt ist nun im Steinbruch Tscharner im Einsatz. Er hat sich bislang bewährt, speist aber noch keine Energie ins Netz ein. Dazu muss das Unternehmen Vigier erst den Abbauplan optimieren.
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