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Automobil

Nah dran und doch so fern

Neel Jani startet zum zehnten Mal in Le Mans. Nach vier Jahren im Porsche sitzt er wieder im Rebellion. Unter normalen Umständen wird Toyota den Sieg feiern. Doch der Rennklassiker hat seine eigenen Gesetze.

Neel Jani fährt wieder in einem Rebellion auf den legendären Circuit in Le Mans, der auch über (im Rennbetrieb abgesperrte) öffentliche Strassen führt. zvg/copyright: Eric Fabre

Moritz Bill

Eine Episode illustriert die Umstellung, mit der sich Neel Jani konfrontiert sieht. Beim ersten freien Training vor dem Saisonauftakt in Spa-Francorchamps steuerte er in der Boxengasse aus Gewohnheit die Garage an, in der die letzten vier Jahre Porsche stationiert war. Erst im letzten Moment bemerkte er, dass ihm sein Unterbewusstsein einen Streich gespielt hat und er parkierte sein Auto doch noch in der Rebellion-Box. «Das ist halt dasselbe, wie wenn man plötzlich einen neuen Arbeitsweg nehmen muss», sagt der Jenser Rennfahrer und schmunzelt.
Auch vor dem zweiten Meisterschaftslauf vom Wochenende, den 24 Stunden von Le Mans, sei vieles «einfach anders», sagt Jani. Nach dem Rückzug von Audi und Porsche verbleibt Toyota als alleiniges Werksteam in der höchsten Kategorie (LMP1) und bildet mit dem einzigen Hybrid-Antrieb im Feld quasi eine eigene Klasse. Jani ist mit dem Schweizer Privatteam Rebellion dementsprechend Aussenseiter. Der Sieger von 2016 sagt:«Im Direktduell können wir nicht mithalten. Wenn Toyota nicht schwächelt, haben wir wohl keine Chance. Darum müssen wir versuchen, sie so gut wie möglich unter Druck zu setzen.»

Eingeschränkte Dominanz
Die Voraussetzungen für dieses Vorhaben scheinen gar nicht so schlecht zu sein. Mit dem Wissen um Toyotas Dominanz haben die beiden Veranstalter-Verbände FIA und ACO ein Regelwerk geschaffen, das die Privatteams näher an die Rundenzeiten des Top-Favoriten bringen soll. Zum Beispiel müssen die beiden Toyotas mehr Gewicht auf die Waage bringen und es stehen ihnen eine geringere Benzinmenge pro Runde zur Verfügung.
Nach dem ersten Saisonrennen in Spa wurde das Reglement aber wieder ein wenig zuungunsten der Privaten angepasst, obwohl die Japaner den prognostizierten Doppelsieg geholt hatten. Dennoch sind die Privatteams dieses Jahr in Le Mans viel näher an den Siegesanwärtern dran, als dies in vergangenen Jahren der Fall gewesen war. Früher verloren die privaten LMP1 auf eine Runde rund neun Sekunden auf die Hybrid-Fahrzeuge, nun liegt der Rückstand der besten Privatteams, zu denen Rebellion zählt, nur noch bei rund einer Sekunde.
Dennoch, so nah dran das pro Runde auch ist;über 24 Stunden Renndauer wird aus wenig viel. Auch deshalb, weil die Toyota voraussichtlich pro Stint eine Runde mehr absolvieren können, ehe sie die Box aufsuchen müssen.  

Toyota will Fluch beenden
So muss Jani zusammen mit seinen Teamkollegen André Lotterer (De) und Bruno Senna (Bra) auf Missgeschicke der Favoriten hoffen. Und solche unterliefen Toyota in der Vergangenheit einige. Den Japaner klebte in Le Mans bisher das Pech an den Reifen. Unvergessen war die Niederlage 2016, als der führende Toyota auf der letzten Runde stehen blieb. Auch letztes Jahr endete die scheinbare Siegesfahrt jäh mit einem technischen Defekt.
Deshalb wäre alles andere als der erstmalige Triumph beim Rennklassiker an der Sarthe eine grosse Enttäuschung. Zumal mit Fernando Alonso heuer ein Formel-1-Fahrer engagiert worden ist, der die Siegeschancen und die mediale Aufmerksamkeit erhöhen soll. Alle Toyota-Fahrer sind von Alonsos Verpflichtung aber nicht begeistert. In Spa, notabene dem ersten Saisonrennen, wurde bereits eine Stallorder verhängt, damit das Auto mit Alonso und dem Westschweizer Sébastien Buemi gewinnt. Das führte zu Zoff unter den Piloten. Zwei verfeindete Toyota-Autos könnten zum Vorteil der Aussenseiter werden.
Und nicht zuletzt wird auch das Wetter entscheidend sein. Jani weiss: «Bei Regen würden sich unsere Chancen verbessern.» Aber vielleicht kommt auch alles ganz anders. Jani weiss das nach seinem unverhofften Sieg 2016 bestens: Le Mans kann man nicht gewinnen, Le Mans lässt dich gewinnen.

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Kürzere Strecke
Bei der 86. Ausgabe der 24 Studen von Le Mans ist der legendäre «Circuit de la Sarthe» nur noch 13,626 Kilometer lang. Damit ist der Kurs drei Meter kürzer als zuletzt. Der Grund dafür ist ein Umbau in den hinteren beiden Porsche-Kurven, wo es immer wieder zu schweren Unfällen kam.
Erwaretet werden wiederum über 250 000 Zuschauer.
Die erste von drei Qualifying-Sessions endete gestern nach Redaktionsschluss. Heute wird die Poleposition mit zwei weiteren Läufen ermittelt.
Das Rennen beginnt am Samstag um 15 Uhr. bil