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Yukon

Tapetenwechsel 
in ein anderes Klima

Seit 22 Jahren lebt die frühere BT-Journalistin Christine Mäder im Yukon. Im äussersten Nordwesten Kanadas dauert 
der Winter länger als Frühling, Sommer und Herbst zusammen. Doch bereut hat Mäder ihre Auswanderung noch nie.

Der Herbst ist mit seiner Farbenpracht die spektakulärste Jahreszeit im Yukon. Bild: zvg / Elfie Lenzin

Christine Mäder

Als ich 1993 das «Bieler Tagblatt» verliess, um zuerst in Zürich und dann in Baden als Musikredaktorin mein Hobby zum Beruf zu machen, hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich 25 Jahre später im hohen Norden von Kanada leben würde. Zwar hatte ich den Yukon schon in den 80er-Jahren bereist, doch erst bei meinem zweiten Aufenthalt im Herbst 1995 packte es mich so richtig. Da könnte ich leben, dachte ich mir, sehr angetan von der atemberaubenden, wilden Schönheit der unendlichen, oft kargen Landschaft und im Kontrast dazu der warmen Freundlichkeit der hier lebenden Menschen und dem vielfältigen kulturellen Angebot der Territoriums-Hauptstadt Whitehorse.

Dass dieser leise Wunsch schon neun Monate später Wirklichkeit werden sollte, war allerdings eine glückliche Verknüpfung von Zufällen (wenn man an so was glaubt). Ein Jobangebot für eine Sommersaison auf einer Wildnis-Lodge und anschliessendem Mitwirken im Schweizer Leitungsteam eines sich auf deutschsprachige Touristen spezialisierendes Hotel in Whitehorse sowie eine hürdenlose Einwanderungsabwicklung machten mir den Entschluss sehr leicht, mein Leben total umzukrempeln und auf einem anderen Kontinent etwas ganz Neues zu wagen.

 

Lange Winter, mückenreiche Sommer
«Wohin willst du?! Ins Land der Goldschürfer und Trapper?» Wer mich und meine Vorliebe für Feriendestinationen in tropischen Gefilden kannte, reagierte zunächst ungläubig und kopfschüttelnd. Ausgerechnet in eine Gegend, wo der Winter länger ist als die anderen drei Jahreszeiten zusammengenommen und wo sich die blutsaugenden Moskitos im Sommer mit unbändiger Begierde auf jedes Stückchen blosse Haut stürzen. Wo die Temperatur in der kalten Jahreszeit mehrfach unter minus 40 Grad Celsius absackt.

Doch ich war bereit, dem hektischen Grossstadtleben in der dicht bevölkerten, kleinen Schweiz endgültig Adieu (respektive Goodbye) zu sagen und meinen nächsten Lebensabschnitt in Kanada nördlich des 60. Breitengrades zu beginnen. Und ich habe diesen Schritt noch nie bereut.

 

Doppelt so viele Elche wie Menschen
Was es hier im Yukon in Überfülle gibt, ist Platz. Unendliche bewaldete Wildnis, unberührte Flusslandschaften, sanfte Hügelzüge, riesige Gletscherwelten und mit dem 5959 Meter hohen Mount Logan den höchsten Berg Kanadas. Das Strassennetz so minimal, dass man sich (fast) nicht verfahren kann! Ein Riesengebiet, in dem doppelt so viele Elche leben wie Menschen und wo man im Busch eher die Chance hat, einen Wolf heulen zu hören oder einem der Bären zu begegnen, als einer anderen Menschenseele.

Der Yukon, genauer gesagt das Yukon Territorium, ist flächenmässig fast zwölfmal so gross wie die Schweiz. 8,5 Millionen Menschen teilen sich den helvetischen Lebensraum – 1,5 Millionen mehr als zu der Zeit, als ich die alte Heimat verlassen habe – , und hier haben wir heute gerade mal 39 000 Einwohner. Was einer Bevölkerungsdichte von 0,8 Seelen pro Quadratkilometer entspricht, während sich in der Eidgenossenschaft 206 Leute auf einen Quadratkilometer drängen müssen.

Allein in den letzten zehn Jahren ist die Bevölkerung im Yukon um fast 6000 Personen gestiegen. Für hiesige Verhältnisse eine markante Zunahme; in der Schweiz dagegen wäre das «ein Tropfen auf einen heissen Stein». Whitehorse ist seit meiner Ankunft um 10 500 Leute gewachsen und hat jetzt knapp 30 000 Einwohner. Das heisst, dass über 77 Prozent der Yukoner in der Hauptstadt leben.

 

Immer multikultureller
Die Schweiz hat einen Ausländeranteil von gut einem Viertel, hier sind es momentan 12,6 Prozent. Als ich in den Yukon einwanderte, war Deutsch nach den beiden offiziellen Landessprachen Englisch und Französisch die am meisten zu hörende Sprache – sogar noch vor den verschiedenen Sprachen der First Nations, wie die indianischen Ureinwohner heutzutage bezeichnet werden. Inzwischen wird hier das philippinische Tagalog aber fast doppelt so häufig gesprochen wie Deutsch.

Der Yukon ist im 21. Jahrhundert sehr multikulturell geworden. Ein Viertel der Bevölkerung identifiziert sich als «Aboriginal»: First Nations (früher Indianer genannt), Métis (gemischtrassig indianischen und europäischen Ursprungs) und Inuit (ehemals Eskimos). Laut der Volkszählung 2016 kommen die 4410 Immigranten aus 65 verschiedenen Ländern, davon rund 23 Prozent aus den Philippinen. Die ethnische Vielfalt macht sich mittlerweile auch im Lebensmittelangebot bemerkbar – ein himmelweiter Unterschied zu 1996!

Während die meisten deutschsprachigen Auswanderer eher der Sparte Aus- oder Umsteiger zugeordnet werden können, hat die Vielzahl der erst vor kurzem in den Yukon gekommenen Neuzuzüger vor allem einen wirtschaftlichen Hintergrund. Für ein besseres Leben als in der alten Heimat, sei das nun ein asiatisches oder afrikanisches Land, wird das harsche Klima gerne in Kauf genommen – auch wenn die Stundenlöhne verhältnismässig bescheiden, die Lebenskosten hingegen relativ hoch sind. Dies nicht zuletzt, weil praktisch alle Konsumgüter auf dem Alaska Highway aus den mehr als 2000 Kilometer weit entfernten Zentren im Süden von Kanada kommen.

Die Freuden und Leiden des Einkaufens nördlich des 60. Breitengrades werde ich in einem der nächsten Male schildern.

Standort: Whitehorse, Yukon. Grafik: ML

 

Info: Christine Mäder, in Biel geboren und aufgewachsen, war nach Abschluss des Lehrerinnenseminars von 1977 bis 1993 Journalistin und Redaktorin beim «Bieler Tagblatt». Nach weiteren drei Jahren als Musikredaktorin in Zürich und Baden wanderte sie in die «hinterste obere Ecke» von Kanada aus: ins spärlich besiedelte Yukon Territorium, wo sie ihre Sprachkenntnisse zuerst im Tourismus anwendete, seit 2014 nun aber in Whitehorse als administrative Assistentin in der Finanzabteilung von Parks Canada tätig ist.

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