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Bieler sollen wieder laut werden

Am Samstag findet die zweite Demonstration gegen den Westast statt. Vor einem Jahr haben über 3000 Menschen an der Kundgebung «Biel wird laut» teilgenommen. Die Befürworter werfen den Gegnern derweil ein unsachliches Vorgehen vor.

Die drei Demo-Organisatorinnen Sabine Kronenberg, Susanne Gafner und Sarah Fuhrimann (von links). Der Bau des Westasts wäre für sie ein Grund, um von Biel wegzuziehen. Peter Samuel Jaggi
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von Carmen Stalder

Mehr als 3000 Bielerinnen und Bieler sind im September 2017 auf die Strasse gegangen. Sie haben Plakate in die Luft gestreckt, durch Trillerpfeifen geblasen und Parolen geschrien – sie sind laut geworden. Mehr als ein Jahr ist vergangen, doch die Thematik ist aktueller denn je: Wann und wie der Westast gebaut werden soll, ja, ob er überhaupt gebaut werden soll, entzweit die Bevölkerung in der Region.

Nun haben die drei Bielerinnen, die die Demonstration vor einem Jahr organisiert haben, beschlossen, erneut auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen: Die Autobahnumfahrung nicht so zu bauen, wie es der Kanton vorhat, sondern die Planung durch eine Alternative zu ersetzen. «Wir wollen noch mehr Leute wachrütteln», sagt die 38-jährige Grafikerin Susanne Gafner.


«Wir fühlten uns nicht gehört»

Die Idee, eine zweite Demonstration – dieses Mal unter dem Motto «Biel bleibt laut» – auf die Beine zu stellen, geisterte schon länger in den Köpfen der drei Frauen herum. Sie wollten aber damit warten, bis die Prüfung der Vorstudie vorlag und sie an einem Runden Tisch mit Vertretern des Autobahnprojekts zusammensitzen konnten. «Dieses Gespräch war jedoch sehr unbefriedigend», sagt die 39-jährige Historikerin und Ausbildnerin Sabine Kronenberg, «wir fühlten uns nicht richtig gehört.»

Anschliessend folgten Bürgergespräche mit dem Bau-, Energie- und Verkehrsdirektor Christoph Neuhaus (SVP), die das Komitee «Westast so nicht!» als «Farce» bezeichnete. «Die Leute waren nach diesen Gesprächen sehr aufgebracht», sagt die 42-jährige Gymnasiallehrerin und Künstlerin Sarah Fuhrimann, die Anliegen der Gesprächsteilnehmer seien nicht ernst genommen worden. Für die Frauen war der Moment gekommen, zu einer zweiten Demonstration aufzurufen.

Fuhrimann, Gafner und Kronenberg glauben, dass sich die Stimmung in Biel seit letztem Herbst grundlegend verändert hat. Als sie für die erste Demonstration Flyer verteilt hätten, seien viele Bieler nicht wirklich über das Projekt informiert gewesen. Und diejenigen, die über den Westast Bescheid wussten, hätten oft gesagt, dass es zu spät sei, noch etwas zu ändern.

Heute sage das kaum noch jemand. «Die erste Demo war wie eine Initialzündung», so Kronenberg. Der Glaube daran, mit dem Protest etwas bewirken zu können, habe sich von ihnen auf die Bevölkerung überlagert. Ein Wandel, der auch dem Komitee «Westast so nicht!», der Interessensgemeinschaft «Häb Sorg zur Stadt» und dem Verein «Biel notre Amour» zu verdanken sei.

Neben der Demonstration hat es im vergangenen Jahr mehrere Protestaktionen gegeben: Im Oktober 2017 haben Mitglieder von «Biel notre Amour» eine Petition mit über 10'000 Unterschriften nach Bern gebracht – und dafür symbolisch einen Sarg mit der Aufschrift «Tragen Sie Biel nicht zu Grabe» mitgetragen. Im Mai fand vor dem Bieler Stadtratssaal eine Protestaktion mit gegen 500 Personen statt. Und im September haben sich nach einer Medienkonferenz mit Christoph Neuhaus Menschen mit Transparenten vor dem Kongresshaus versammelt.


Rückhalt für Politiker

Mit der Demonstration wollen die drei Frauen dem Widerstand der Bevölkerung eine Plattform bieten. Da es zum Bau der Autobahn keine Abstimmung geben wird, sei das die einzige Möglichkeit, um Druck aufzubauen. «Uns geht es auch darum, den Politikern in Biel den Weg zu ebnen», erklärt Fuhrimann. Die Demo soll ihnen den nötigen Rückhalt geben, um sich selbst zu engagieren. Die Organisatorinnen möchten gerne einen Marschhalt erreichen: Alles sei besser als das derzeit geplante Projekt.

Für ihr Vorhaben brauchen die Frauen von «Biel wird laut» Demonstranten – viele Demonstranten. Ob sie wie im Vorjahr mehrere Tausend Menschen auf die Strasse locken können, sei schwer einzuschätzen – hängt doch der Besucheraufmarsch auch vom Wetter ab. Fuhrimann, Gafner und Kronenberg jedenfalls lassen nichts unversucht, um möglichst viele Bielerinnen und Bieler auf die Kundgebung aufmerksam zu machen: Sie haben Flyer verteilt, Helfer zum Plakat-Aufhängen durch die Stadt geschickt, ein Inserat geschaltet und ihre Social-Media-Kanäle bewirtschaftet. Nur mit der geplanten Bus-Werbung hat es nicht geklappt (siehe unten).

Als Herausforderung bezeichnen die Organisatorinnen, junge Menschen zu mobilisieren. An der letzten Demo habe es vor allem Familien und ältere Bieler gehabt. Nun haben sie eigens ein Youtube-Video produzieren lassen, das auch Jugendliche mobilisieren soll.


«Verbissen und populistisch»

Wenig Freude am zu erwartenden Aufmarsch von Westast-Gegnern haben die Befürworter. Peter Moser, Co-Präsident von «Pro A5-Westast» und FDP-Grossrat, kritisiert, dass die Gegner die wesentlichen Argumente, wieso es eine Lösung für den Verkehr brauche, fast gänzlich ausklammern. «Die Stimmung bei den Gegnern ist nach wie vor verbissen und populistisch, weder sachlich noch lösungsorientiert.» Dass das von den Westastgegnern propagierte Projekt viel koste und keine markante verkehrliche Wirkung erziele, stehe nicht zur Diskussion und werde auch nicht hinterfragt.

Die Verkehrspolitik der Gegner – keine Autos, dafür viele Velos – würde die Wirtschaft und die Stadtentwicklung zurückwerfen. Dabei bringe ja gerade das vorliegende Ausführungsprojekt viele Verbesserungen für Velofahrer – «aber auch das wird geflissentlich ignoriert». Moser räumt jedoch ein, dass es die Stadt Biel im Gegensatz zu den umliegenden Gemeinden verpasst habe, offen und klar aufzuzeigen, wieso man sich damals für die heute vorgesehene Variante entschieden habe. «Das verunsichert natürlich die Bevölkerung.»

Info: Die Demonstration beginnt am Samstag um 13.30 Uhr auf dem Walserplatz und endet auf der Esplanade. Dort gibt es Konzerte, Getränke und Essstände.

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Keine Demo-Werbung in Bieler Bussen

Das Komitee «Westast so nicht!» hätte in den Bussen der Bieler Verkehrsbetriebe (VB) gerne Werbung für die Demonstration platziert. Konkret hat es drei kurze Videos, sogenannte Gifs, vorbereitet, die auf den Bildschirmen in den Bussen hätten abgespielt werden sollen. Darin werden neben Infos zur Demonstration auch die wichtigsten Argumente der Westastgegner vorgestellt.

Von den Videoclips will man bei den VB jedoch nichts wissen. «Wir lassen derzeit ein Rechtsgutachten erarbeiten, wie wir in Zukunft mit politischer und religiöser Werbung umgehen», lässt VB-Direktor Christophe Kneuss verlauten. Dieser Entscheid steht in direktem Zusammenhang mit dem Bibelzitat auf einem Bieler Bus. Wegen dieser religiösen Botschaft hat Stadtrat Mohamed Hamdaoui (PSR) eine Diskussion lanciert, die in den vergangenen Wochen hohe Wellen geschlagen hat (das BT berichtete). Jedenfalls ist man bei den VB vorsichtig geworden und will jetzt erst einmal das Gutachten abwarten – bevor man die nächste Kontroverse lostritt.

Im Gegensatz zu religiöser Werbung haben die VB politische Werbung aber bisher ausnahmslos nicht zugelassen. Das sei mit dem Plakatunternehmen APG vertraglich geregelt. «Wir haben schon mehrere Anfragen abgesagt», so Kneuss. Beispielsweise bei Wahlen würde es schwierig, allen Parteien Werbeflächen zu bieten.

Kaspar Meuli von «Westast so nicht!» zeigt sich ob des Entscheids der Verkehrsbetriebe enttäuscht. «Wir wollten mit der Werbung diejenigen Menschen erreichen, die bisher noch nicht so viel von der Diskussion um den Westast mitbekommen haben.» Die Busse wären laut Meuli die ideale Plattform dafür gewesen. Zudem bezeichnet er die geplanten Videos als «Veranstaltungshinweis» und nicht als politische Werbung. Eine Ansicht, die man bei den VB nicht teilt. «Der Westast ist ein politisch kontrovers diskutiertes Thema. Werbung für die Demonstration ist für uns deshalb ganz klar kein normaler Veranstaltungshinweis», teilt Kneuss mit.

Grundsätzlich ist politische Werbung in öffentlichen Verkehrsmitteln kein Ding der Unmöglichkeit. In Basel beispielsweise ist solche in Trams und Bussen seit 2016 erlaubt, in Zug seit 2017. Auch die Postauto AG erlaubt politische Werbung auf den Bildschirmen. Bei den SBB ist politische Werbung innerhalb von Bahnhöfen erlaubt. Dies seit einem Bundesgerichtsurteil aus dem Jahr 2012 zum Thema «Plakatierung von Werbeflächen innerhalb des Bahnhofareals». Carmen Stalder

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Seeland-Tangente noch nicht aufgegeben

Diesen Moment, in dem plötzlich nicht mehr alles so sehr in Stein gemeisselt scheint und in Biel und den umliegenden Gemeinden emotional über den A5-Westast debattiert wird, will Jakob Etter nutzen: Der BDP-Grossrat bringt im kantonalen Parlament erneut die Seeland-Tangente ins Spiel. Diese würde Lyss mit Kerzers verbinden und laut Etter eine «sehr gute und wahrscheinlich konstengünstigere Variante» zum Westast darstellen. So steht es in einer dringlichen Interpellation, die Etter eingereicht hat.

Die Seeland-Tangente wurde bereits mehrfach diskutiert und verworfen. Auch Etter hatte sich bereits mehrfach für diese Verbindung eingesetzt, zuletzt 2012 ebenfalls mit einem Vorstoss im Grossen Rat. Die Antwort des Regierungsrats fiel damals negativ aus, doch die Konstellation hat sich seither verändert, weshalb Etter nun herausfinden will, «ob die Variante Seeland-Tangente noch in Erwägung gezogen wird», wie er sagt. Wie zumindest Regierungspräsident und Baudirektor Christoph Neuhaus (SVP) diesemThema gegenüber steht, hat er an einem Diskussionsanlass zum Westast in Nidau klargemacht: Die Umfahrung durch das Seeland sei spätestens seit der Umsetzung der Kulturland-Initiative keine Option mehr.

Das lässt Jakob Etter indes nicht gelten. Er gesteht zwar ein, dass die Tangente nicht gebaut werden könnte, ohne mit Kulturland in Berührung zu kommen, «man müsste halt einfach andere Flächen aufwerten». Etter nutzt die Chance um die entbrannte Diskussion zum Bieler Umfahrungsprojekt, um erneut für die Anliegen «seiner» Region einzustehen. Etter sorgt sich nicht in erster Linie um das Bieler Stadtbild oder die Verkehrsprobleme in der grössten Bieler Stadt, sondern um die Verkehrsbelastung seines Wohnorts Treiten und der umliegenden Ortschaften. Seine Sorge: Der A5-Ostast habe dazu geführt, dass der Verkehr ab Lyss über Land bis nach Kerzers zunahm. Er fordert vom Regierungsrat in seiner Interpellation denn auch Resultate zu Verkehrsmessungen zwischen Lyss und Kerzers, insbesondere auch in Bezug auf den Schwerverkehr.

Etter will aber auch wissen, ob der Regierungsart bereit sei, die Variante Seeland-Tangente erneut zu prüfen und mit dem Bund in Kontakt zu treten, um Finanzierungsmöglichkeiten zu diskutieren. Auch will der Treitener die Vor- und Nachteile der Tangente gegenüber dem A5-Westast aus Sicht der Regierung aufgelistet sehen. Wird dem Vorstoss von Etter die Dringlichkeit gewährt, wird die Antwort im kommenden März vorliegen. Lino Schaeren

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