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«Die Alternative löst das Problem nicht»

Vertreter der Bieler Wirtschaft plädieren für einen raschen Bau des offiziellen Westast-Projekts. Ohne 
die Anschlüsse werde keine Verkehrsentlastung erzielt.
Doch ein altgedienter Unternehmer sieht das anders.

Personen protestieren während einer Demo gegen den Bau des A5-Westasts in Biel am 3. November 2018. Bild: Keystone
  • Dossier

«40 bis 50 Autos verlassen täglich unseren Standort im Industriegebiet Orpund zu Reparaturaufträgen oder zu Baustellen in die Innenstadt», sagt Hans-Ruedi Minder, Inhaber der Fischer Electric und Vizepräsident des regionalen Handels- und Industrievereins (HIV). Dank des Ostasts seien sie schnell weg, reihten sich aber Richtung Stadtzentrum in den Stau ein.

Zu den stehenden Firmenwagen werden sich künftig auch mehr Pendlerautos gesellen, wie Heinrich Grünig meint. Getrieben durch den Mobilitätsdrang werde der Verkehr weiter zunehmen und ohne geplante Westast-Umfahrung zu einer zunehmenden Verkehrsbelastung im Zentrum wie auch in den umliegenden Quartieren führen, sagt Grünig, Inhaber der Firma Narimpex und Vorstandsmitglied des HIV.

Die Bieler Wirtschaftsvertreter sind die grossen Befürworter der Westast-Umfahrung, zumindest mehrheitlich. Ihnen ist vor allem der überlastete Nahverkehr ein Dorn im Auge, weshalb sie sich gegen den Vorschlag der Gegner stemmen.


Wichtiger Standortvorteil
«Ein Tunnel allein löst das Problem nicht», sagt etwa Andrea Roch, Präsidentin der Wirtschaftskammer Biel-Seeland. Die Autobahn ohne die beiden Anschlüsse bringe für den klar dominierenden Binnenverkehr keine Entlastung, weil sie nur den Durchgangsverkehr unterirdisch leiten würde. Und dieser sei deutlich geringer als der Nahverkehr rund um die Stadt.

Dieser Meinung ist auch HIV-Präsident Fabian Engel. Die Idee der Gegner erfülle die Anforderungen an die geforderten Ziele der Verkehrsentlastung nicht. Namentlich die Bernstrasse, die laut Roch bereits heute von mehr als 30 000 Autos pro Tag befahren wird, wie auch die Aarbergstrasse und die Ländtestrasse würden weiterhin unter dem starken Verkehrsaufkommen leiden.

Auch sein Unternehmen, die
F. + H. Engel AG, leide unter den Staus an verschiedensten Orten in der Stadt, mit Kostenfolgen. Der Ostast habe die Situation zwar entschärft, jetzt fehle aber noch der Westast, um die Situation gänzlich zu verbessern. Gemäss dem HIV-Präsidenten hat die verkehrliche Entlastung einen direkten Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung der Region, die unter Fachkräftemangel leide.


Ohne Lasten geht es nicht
Gute Rahmenbedingungen wie eben die Verkehrsinfrastruktur seien wichtige Standortvorteile. Die Aarbergstrasse neben dem künftigen Campus der Fachhochschule werde beispielsweise zurzeit von 10'000 Autos befahren. «Das sind doch keine idealen Voraussetzungen», sagt er.

Dass mit dem Bauvorhaben Bäume aus dem Boden gerissen, Häuser zerschlagen und gewisse Stadtteile für Jahre blockiert würden, müsse man angesichts der daraus entstehenden Vorteile in Kauf nehmen, betont nicht nur Grünig. Beim Eisenbahnbau beispielsweise hätten einige unserer Vorfahren auch grosse Einbussen hinnehmen müssen, argumentiert er: «Dennoch sind wir heute froh um das Eisenbahnnetz.»

Schlussendlich werde die Autobahn dann mehr benützt, wenn es auch Anschlüsse gebe. Es brauche deshalb die Auf- und Abfahrtsstrassen in Zentrumsnähe, um den Verkehr in der Innenstadt zu entlasten. Das zeigten schon die zahlreichen Studien und die Analysen der Stöckli-Arbeitsgruppe. «Klar wäre es schöner, sie kleiner zu machen», fügt Grünig hinzu. Man müsse hier aber auch die Sicherheitsanforderungen beachten.


Mehr Raum, nicht weniger
Die Argumente der Gegner, die Anschlüsse würden wichtige Verbindungen des öffentlichen Verkehrs (öV) sowie der Fuss- und Velowege kappen, können die Befürworter nicht nachvollziehen. Das Gegenteil sei der Fall, meint etwa Minder. Man müsse das Vorhaben städtebaulich als Chance sehen. «Die Gräben sind zwar unschön», sagt er. Aber daneben und dazwischen ergebe sich viel mehr Raum für den Langsamverkehr. Es entstünde etwa ein besserer Zugang zum See. Das sei bei einem durchgehenden Tunnel ohne Stadtanschlüsse nicht gegeben. Denn der Nahverkehr bliebe dann oberirdisch und schneide den See von der Stadt ab. Dies bekräftigt auch der HIV-Präsident: Möglichst viel Verkehr soll in den Boden verlegt werden. Damit könne Lebensqualität und Platz für einen vielseitigen Mix an Mobilität geschaffen werden. Nur das Ausführungsprojekt werde dem gerecht.

Eine «sinnvoll ausgebaute Verkehrsinfrastruktur» ist laut Andrea Roch «für eine prosperierende und nachhaltige Wirtschaft unerlässlich». Es liege jetzt «in unserer Verantwortung, für die kommende Generationen weiterzudenken», sagt sie. Biel würde mit der geplanten Umfahrung durch die Verkehrsberuhigungsmassnahmen, das Schliessen und Umnutzen von Strassen, der Schaffung von neuen Velowegen sowie mehr Grünflächen zu einem «urbanen Lebensraum mit Weitsicht und hoher Lebensqualität».


«Katastrophal» für die Stadt
Ganz und gar nicht dieser Meinung ist Hans-Ulrich Gygax, der langjährige Patron und Gründer des Bieler Modehauses «Bijou les Boutiques». Die Stadt habe sich erst gerade von einer wirtschaftlichen Krise erholt, prosperiere aber noch nicht, sagt Gygax: «Sie jetzt mit einem 16-jährigen Bauvorhaben wieder kaputtzumachen, kann ich nicht verstehen».

Seiner Ansicht nach führen die Anschlüsse nicht zu einer Verkehrsentlastung. «Das ist doch den Leuten Sand ins Auge gestreut», sagt er. Beim geplanten Anschluss Seevorstadt zum Beispiel würde eine vierspurige Autobahn auf eine Landstrasse geführt. Das verursache unweigerlich Staus, ist er überzeugt. Gygax kann der West-Umfahrung grundsätzlich nichts abgewinnen. Auch der Gegenvorschlag müsse nicht sein, wie er sagt. Seiner Ansicht nach wäre es sinnvoller, die bestehende Autostrasse nach Lyss weiter auszubauen.

Ungeheuerlich findet er auch die Kosten für das Mammutprojekt. An den 2200 Millionen Franken für vier Kilometer Autobahn könne sich nur die Beton-Lobby erfreuen, sagt er. «Ich verdanke Biel sehr viel», fügt der Patron hinzu. Deshalb liege ihm die Stadt sehr am Herzen. Wie letztes Jahr sei er auch dieses Jahr bei den Kundgebungen am Start.


UBS: «Mit öV anreisen»
Der Uhrenriese Swatch Group, der seinen Hauptsitz direkt neben einem geplanten Anschluss besitzt, will nicht Stellung nehmen. «Wir äussern uns nicht zu Projekten, die den Horizont von 30 Jahren überschreiten», heisst es auf Anfrage.

Die UBS, die künftig ihr Service-Center mit rund 600 Mitarbeitern in der Nähe des Bahnhofs betreibt, sieht sich vom Westast wenig betroffen. Die meisten Mitarbeiter würden mit dem öV anreisen, schreibt Firmensprecher Igor Moser. Parkplätze gebe es wenige. Manuela Schnyder

Stichwörter: Westast, A5, Demo, Stimmen, Bau, A5-Projekt

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