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Erich Fehr

«Es ist nicht sinnvoll, das Projekt durchzudrücken»

Biels Stadtpräsident sieht in dem Umfrageresultat die Haltung des Gemeinderats bestärkt, beim A5-Westast auf den Dialog zu setzen. Das Ergebnis zeige: «Das Ausführungsprojekt kann nicht wie vorgesehen durchgezogen werden.»

Stadtpräsident Erich Fehr (SP): «Die Diskussion um die Autobahnumfahrung hat eine gesellschaftspolitische Dimension erreicht.» Bild: Peter Samuel Jaggi/a
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Interview: Lino Schaeren

Erich Fehr, eine vom BT in Auftrag gegebene repräsentative Umfrage zeigt: Nur rund jeder fünfte aus Biel und der Agglomeration unterstützt das offizielle Ausführungsprojekt zum A5-Westast. Fast die Hälfte hingegen die Alternatividee «Westast so besser». Was sagen Sie dazu?
Erich Fehr: Es ist ein deutliches Bild und darüber bin ich froh. Denn es macht die weiterführenden Gedankengänge einfacher, als wenn ein total eingemittetes 
Resultat vorliegen würde. Ich bin auch froh, dass die Unterschiede zwischen der Stadt Biel und der Agglomeration marginal sind. Es wurde ja immer wieder die Vermutung geäussert, es gebe total unterschiedliche Erwartungen zwischen der Agglomeration und der Stadt. Dem scheint nun aber nicht so. Und nicht zuletzt stelle ich fest, dass die Befürworter einer Nullvariante keine 20 Prozent ausmachen. Das heisst: Etwa 75 Prozent wollen eine Lösung in Form einer Autobahn.


Sind Sie überrascht von der Deutlichkeit des Resultats?
Ich und auch der Gesamtgemeinderat haben erwartet, dass es ein Bild dieser Art in Biel gibt. Weniger genau gespürt habe ich die Agglomeration. Das Ergebnis ist klarer, als man es aufgrund der individuellen Feedbacks auf der Strasse hätte vermuten können.


Sie haben die geringen Unterschiede zwischen Stadt und Agglomeration erwähnt. Die Umfrage zeigt auch, dass das Ausführungsprojekt bei den Autofahrern kaum mehr Kredit geniesst als bei jenen, die das Auto nicht nutzen. Das hätte man anders erwarten können.
Das ist extrem auffallend, ja. Was ich interessant finde, ist, dass es nur eine marginale Differenz gibt zwischen denen, die beruflich mit dem Auto unterwegs sind, und jenen, die das Auto nur privat nutzen.


Mitte Oktober schrieb der Bieler Gemeinderat in einer Medienmitteilung: «Eine lokale und regionale Unterstützung ist für ein Projekt dieser Grössenordnung absolut unerlässlich.» Die Umfrage zeigt nun: Die Unterstützung für das offizielle Projekt befindet sich auf einem Tiefpunkt. Müsste nun nicht auch die Bieler Stadtregierung einen Marschhalt fordern?
Diese Frage ist auf dem Tisch, das ist völlig klar. Das Umfrageresultat zeigt: Das Ausführungsprojekt kann nicht wie vorgesehen durchgezogen werden. Das hat der Gemeinderat zwar noch nicht beschlossen, er wird seine Haltung im Hinblick auf die Sitzung der Behördendelegation gegen Ende Jahr definieren. Aber dieses Ergebnis zeigt, dass es keine ausreichende Basis gibt für das Ausführungsprojekt so wie ursprünglich angedacht. Es zeigt aber auch, dass die Bevölkerung eine Lösung will. Und das spricht für den Ansatz des Bieler Gemeinderats, der schon länger fordert, dass man sich gemeinsam an einen Tisch setzen und einen ernsthaften Dialog führen muss. Wir müssen herausfinden, was die Bedürfnisse der Stadt und der Region sind, denn es ist ganz offensichtlich auch keine Nullvariante gewünscht.


Die Stadtregierung wird also die Kommunikation anpassen?
Nein. Diese Umfrage unterstützt die Haltung des Gemeinderats in seiner Forderung nach einem Dialog. Es ist kein Widerspruch zu unserer letzten Kommunikation, dass eine Lösung in Form einer Umfahrung gewünscht wird, das Ausführungsprojekt aber keine grosse Unterstützung findet.


Ich habe vom Stadtpräsidenten bis heute aber nie gehört, dass das offizielle Projekt in dieser Form nicht durchgezogen werden kann.
Das kommt darauf an, wie man die letzte Kommunikation interpretiert. Wenn wir sagen, es braucht eine lokale und regionale Unterstützung, dann heisst das indirekt ja auch, dass man das Projekt so nicht bauen kann, wenn diese fehlt. Jetzt haben wir zwar nicht eine Volksabstimmung, aber immerhin eine wissenschaftlich methodisch fundierte Umfrage, die zeigt, dass die Unterstützung für eine 
Lösung da ist, aber nicht für das Ausführungsprojekt.


Sprechen wir als über den von Ihnen geforderten Dialog. Dieser müsste ja im Optimalfall auf einen Kompromiss hinauslaufen. Doch handelt es sich hier nicht um die Quadratur des Kreises? Die Gegner des offiziellen Projekts haben ihren Kompromiss in der Variantenidee «Westast so besser» präsentiert, für die Westast-Befürworter dürfte dies aber keiner sein, weil der Einfluss auf den Stadtverkehr viel kleiner sein dürfte.
Man kann das Diskussionsergebnis nicht vorneweg nehmen. Bereits bekannt aus den identischen Einsprachen der Gemeinden Biel und Nidau ist, dass die Frage der Bauphase sehr wichtig ist, ebenso wie jene der Bäume und vor allem diejenige nach den Anschlüssen. Diese Fragen werden wir thematisieren. Wir werden uns mit den Gemeinden der Agglomeration, dem Kanton und dem Bund auf das Vorgehen verständigen müssen.


Der Vorschlag «Westast so besser» findet vor allem deshalb breite Zustimmung, weil er auf die beiden Anschlüsse Bienne-Centre und Seevorstadt verzichtet. Demnach müssen die Stadtanschlüsse im Vordergrund der Diskussion stehen?
Am Anfang des Ausführungsprojekts stand die verkehrliche Wirkung. Wenn eine klassische Autobahn gebaut wird, beinhaltet das gewisse Regeln. Wird eine Strasse anders ausgestaltet, werden automatisch auch andere Verkehrsführungsvarianten möglich. Das geht bis hin zur Frage, was es für Massnahmen zur Verkehrslenkung auf dem städtischen Strassennetz braucht. Aber es ist völlig klar, dass bei den anstehenden Diskussionen auch die Frage mitspielen wird, welches Verkehrsaufkommen in Zukunft zu erwarten ist. Dabei spreche ich auch auf die Verkehrszahlen zum A5-Ostast an, die im «Bieler Tagblatt» zwar zum Teil bereits publiziert wurden, die aber erst diese Woche offiziell vorgestellt werden.


Sind die Annahmen zur Verkehrsentwicklung, denen die Westast-Planung zugrunde liegt, denn überholt?
Für mich hat die Diskussion um die Autobahnumfahrung inzwischen eine gesellschaftspolitische Dimension erreicht. Es wird über die Stadt der Zukunft und über die Mobilität der Zukunft debattiert, während noch vor Jahren die Verkehrsbelastung im Vordergrund stand. Die bevorstehenden Veränderungen im Bereich der Mobilität scheinen so einschneidend wie seit Jahrzehnten nicht mehr, niemand weiss aber genau, wohin das führt. Es gibt verschiedene Szenarien, wir befinden uns heute an einem Wendepunkt. Auch deshalb hat die Diskussion um den A5-Westast mittlerweile ein ganz anderes Ausmass erreicht, das weit über die rein verkehrliche Wirkung hinausgeht.


Wenn Sie heute die Wahl hätten: Würden Sie die zweifellos vorhandenen Verkehrsprobleme der Stadt Biel mit einer Autobahn lösen wollen?
Die Wohnquartiere müssen möglichst stark vom Verkehr befreit werden, damit die Lebensqualität steigt. Wenn man davon ausgeht, dass man das Autofahren per Dekret verbieten kann – was ich nicht denke –, dann stehen andere Möglichkeiten zur Verfügung, als wenn man davon ausgeht, dass man das Verkehrswachstum dämpfen und vor allem auch lenken kann. Und wenn man den Verkehr lenken will, braucht es alternative Möglichkeiten zum heutigen Strassennetz.


Sie sprechen die Entwicklung des Diskurses weg von der reinen verkehrlichen Wirkung an. Diese war auch in der Kommunikation des Gemeinderats festzustellen: Noch vor einem Jahr bekräftigte die Stadtregierung nach der ersten Grossdemonstration die Forderung, wonach eine Alternative dieselbe verkehrliche Wirkung haben müsse, wie das offizielle Projekt. Davon ist inzwischen nichts mehr zu hören. Hat sich der Gemeinderat von dieser Haltung verabschiedet?
Das Ziel hinter dieser Forderung, die Quartiere vom Verkehr zu entlasten, gilt unverändert. Aber es hat ein Prozess stattgefunden, im Gemeinderat selber, in der Diskussion mit der Öffentlichkeit, aber auch im Stadtrat. Heute ist klar: 
Die verkehrliche Wirkung kann nicht alleine über den anderen Elementen thronen. Sie muss auf Augenhöhe mit der städtebaulichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkung stehen. Da hat eine Entwicklung stattgefunden. Das Ausführungsprojekt wurde vor zehn Jahren von der regionalen Arbeitsgruppe mit dem Fokus erarbeitet, eine optimale verkehrliche Wirkung zu erreichen. So gesehen ist es eigentlich schade, ist der Widerstand, der sich nun im letzten Moment manifestiert, nicht schon damals klarer zum Ausdruck gekommen. Das hätte der damals zuständigen Behörde vielleicht einen anderen Fingerzeig gegeben.


Berns Regierungspräsident Christoph Neuhaus hat zuletzt im «Bund» erneut gefordert, dass der Bieler Gemeinderat endlich klar Farbe für oder gegen das offizielle Projekt bekennen müsse. Mit Ihren Äusserungen in diesem Gespräch dürfte er seine Antwort erhalten haben.
Wie gesagt, der Gemeinderat hat noch keinen Entscheid gefällt. Wir werden uns positionieren müssen. Wenn Sie aus meinen Ausführungen herauslesen, dass es nicht realistisch und auch nicht sinnvoll ist, das Ausführungsprojekt einfach durchdrücken zu wollen, dann sehen Sie das richtig. Ich erlaube mir zu sagen, dass der Gemeinderat relativ gut gespürt hat, dass das offizielle Projekt heute nicht mehr überzeugt und dass man nicht einfach blind geradeaus gehen kann. Man muss die begründeten Bedenken ernst nehmen.


Sie sagen, es gehe nun darum, herauszufinden, was die Region tatsächlich will. Die repräsentative Umfrage ist aber nur eine Momentaufnahme. Wäre jetzt nicht die Zeit gekommen, eine Konsultativabstimmung ins Auge zu fassen?
Diese Umfrage ist in der Tat keine Abstimmung. Sie hat aber den Vorteil, dass sie die ganze Agglomeration umfasst. Das Resultat erscheint mir recht klar. 
Ob wir nun in Biel eine Konsultativabstimmung durchführen sollten – die restlichen Gemeinden können dies aus rechtlichen Gründen ja gar nicht –, da bin ich mir gar nicht sicher. Die Frage nach einer Abstimmung scheint mir im Moment überholt, denn das Bild zwischen der Demonstration und dieser Umfrage ist stimmig.


Erwarten Sie nun vom Kanton ein Innehalten?
Ich kann nicht für den Kanton sprechen. Ein Projekt bei dieser Stimmungslage durchzudrücken, ist politisch aber schlicht nicht realistisch. Wichtig für Bund und Kanton dürfte aber auch sein: Nach dieser Umfrage will die Region nicht den Netzbeschluss verhindern. Im Gegenteil. Der Netzbeschluss wird gestärkt, indem fast 75 Prozent eine Lösung mit einer Autobahn wollen.


Sie haben in der Vergangenheit mehrfach betont, dass eine reine Tunnellösung nicht sinnvoll sei, da sie der Stadt Biel nicht viel bringe.
Die Ziele bleiben dieselben. Und man muss festhalten, dass «Westast so besser» heute nicht über die Bearbeitungstiefe eines Projekts verfügt. Ich gehe nicht davon aus, dass die endgültige Lösung in diesem Vorschlag zu finden sein wird. «Westast so besser» ist für mich eine Art Platzhalter. Genau deshalb brauchen wir nun den Dialog, um herauszufinden, welche Möglichkeiten es gibt, die Anliegen der Gegner des offiziellen Projekts und eine möglichst gute verkehrliche Wirkung für die Stadt Biel zu verbinden.


Die regionale Wirtschaft steht hinter dem Ausführungsprojekt. Aus diesen Kreisen dürfte Ihnen nun vorgeworfen werden, dem Druck der Demonstrationen nachgegeben zu haben. Was sagen Sie den Projektbefürwortern?
Diese Kritik war zu erwarten, aber sie trifft nicht zu. Der Gemeinderat hat bisher in dieser Frage sehr umsichtig agiert und die Entwicklung der Stimmung in der Bevölkerung gut gespürt. Politische Arbeit bedeutet immer wieder, eine Güterabwägung zwischen langfristigen Bedürfnissen und aktuellen Stimmungen vorzunehmen und vor allem nicht überhastet zu reagieren. Die gute Botschaft für die Befürworter ist, dass nur eine kleine Minderheit keine Lösung mittels einer geeigneten Hochleistungsstrasse will. Auch die Befürworter können kein Interesse daran haben, auf eine Variante zu setzen, die viel zu wenig Unterstützung findet. Denn der Kanton hat bereits früher gesagt, dass er nicht gegen den Willen der Region das Ausführungsprojekt realisieren wird.

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