Sie sind hier

Abo

Berlin

Wem gehört Berlin?

Das starke Wachstum in Berlin hat Folgen: Die Mietpreise steigen ins Unermessliche. An einem Podium zum Thema Mieten bekam Fernweh-Autor Donat Blum letzte Woche haarsträubende Geschichten zu hören.

Das Sport- und Erholungszentrum SEZ wurde 1981 im damaligen Ost-Berlin als Prestige-Bau eröffnet. Nach der Wende ging es an den Berliner Senat über, der es eingehen liess und 2003 für einen Euro an einen privaten Investor verkaufte. Bild: Donat Blum
  • Dossier

Donat Blum

Von aussen schwer vorstellbar: Die Glasfassade ist rundherum mit Absperrgittern und Brettern verrammelt. Die Vermutung liegt nahe, dass der Investor ein minimales Freizeit-Angebot reaktiviert hat, um der angedrohten Busse und Aufforderung zur Rückgabe des Grundstückes wegen Vertragsbruchs zu entgehen. Die beiden Parteien befinden sich seit Jahren im Rechtsstreit. Der Berliner Senat möchte das Gebäude und Grundstück zurück. Der Investor denkt nicht daran. In der Stadt Land zu besitzen, ist derzeit selbst ohne Nutzung äusserst lukrativ: Der Quadratmeterpreis ist in den letzten zehn Jahren um bis zu 1000 Prozent gestiegen.


Aus Bahntrassees wird Wohnraum
Solche Baugeschichten gehören zu Berlin wie der Fernsehturm, Brachen und leer stehende Gebäude. Noch. Eine Kollegin, die in einem Hausprojekt im Ostteil der Stadt aufgewachsen ist, bedauert, Berlin sei nicht mehr, was es früher gewesen sei: Alles werde zugebaut, es werde immer enger, eine neue Wohnung zu finden, sei zum Spiessrutenlauf geworden. Vor drei Jahren hat sie die Stadt verlassen.

Sie hat nicht unrecht. Vor allem im Vergleich zu vor 18 Jahren, als ich zum ersten Mal hergekommen bin, fällt auf: Es wurde und wird viel gebaut in Berlin. Die Deutsche Bahn hat unzählige Quadratmeter ungenutzten Trassees freigegeben. Überall entstehen Neubausiedlungen. Und während ich das hier schreibe, werden direkt gegenüber von meinem Fenster zwei Gründerzeithäuser mit Maisonettewohnungen aufgestockt.

Die Kollegin blendet aber auch aus: Vergleicht man die Menschendichte mit San Francisco oder London, ist es hier weiterhin sehr entspannt. Selbst die Mieten bewegen sich aus dortiger Sicht in einem äusserst entspannten Rahmen. Amerikaner und Engländer strömen hörbar zahlreich in die Stadt. Im Gegensatz zu den bereits ansässigen Berlinern sind sie gerne bereit, die Mieten zu bezahlen, die aus Berliner Sicht durch die Decke geschossen sind. In den letzten zehn Jahren haben sich die Mietpreise von 5.20 auf 9.50 Euro je Quadratmeter fast verdoppelt – im Gegensatz zu den Löhnen. Berliner geben heute rund 46 Prozent ihres Einkommens fürs Wohnen aus. Vor zehn Jahren waren es noch 40 Prozent.


Die Wogen gehen hoch
Entsprechend hoch gehen die Emotionen, wenn das Gespräch aufs Thema «Mieten» fällt. So geschehen letzte Woche an einer Veranstaltung mit dem Titel «Wem gehört Berlin?». Das Recherchezentrum Correctiv und die Berliner Tageszeitung Tagesspiegel haben eingeladen. Eine Auftaktveranstaltung zu einer grösser angelegten Crowd-
Recherche. Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt können den Journalistinnen und Journalisten auf einer Online-Plattform vertraulich ihre Mietverhältnisse offen legen: Wer ist der Eigentümer und wie viel wird diesem bezahlt. «Es geht nicht um eine Blossstellung von Investoren», betont einer der Initiatoren an diesem Abend: «Sondern um den Versuch, den Markt zu verstehen und so eine Grundlage zu schaffen, um befriedigendere Lösungen für die Stadt zu finden.»

Rund 50 Leute haben sich in den Räumlichkeiten von «Correctiv» eingefunden. Auf dem Podium sitzen ein Investor, ein Kommunal-Politiker der SPD und eine von Verdrängung betroffene Mieterin. Eine Journalistin moderiert. Nach dem zweiten Votum des Investors muss sie mässigend eingreifen: Ein jüngerer Mann und eine ältere Frau unterbrechen den Investor immer wieder mit einem lauten, höhnischen Lachen. «Bitte halten sie sich soweit zurück, dass niemand das Gefühl kriegt, er werde ausgelacht», sagt die Journalistin zu Beginn noch freundlich. Später sieht sie sich nach mehrfacher erfolgloser Aufforderung veranlasst, aufzuspringen und den kämpferischen Redefluss des jüngeren Herrn mit einer strikten Drohgebärde zu unterbrechen. «Stopp Zwangsräumung» steht auf seinem T-Shirt.

Er ist nicht der einzige, der dazwischenruft. Im Publikum sitzt eine ganze Reihe auf die eine oder andere Art betroffener Mieterinnen und Mieter, die kurz vor dem Rauswurf stehen oder die von ihren Vermietern gemobbt werden, indem ihnen das Heisswasser abgestellt und die Heizung im Winter nicht repariert wird. Aber auch eine Architektin, die die Bauqualität bemängelt und für die Vereinbarkeit von nachhaltigem und gleichzeitig raschem Bauen plädiert. Einer der Recherche-Leiter legt dar, dass in den ersten drei Wochen seit dem Aufruf rund 500 Beiträge von Mietern und Hausbesitzerinnen eingegangen seien. 120 davon erzählten von unhaltbaren Zuständen. Er schildert die Geschichte einer Partei, die in einer Dachwohnung lebt, deren Dach im letzten Winter abgedeckt und seither vom Vermieter einzig mit einer Plastikfolie bedeckt wurde.


20 Jahre für den Bau eines U-Bahn-Lifts
Der intakte Mieterschutz verhindert in Berlin Kündigungen zur blossen Renditesteigerung. Folglich greifen dreiste Vermieter zu anderen Mitteln, um die Bewohner loszuwerden. Der Berliner Mietmarkt ist äusserst angespannt. Auf dem Podium diskutieren der Investor und der SPD-Politiker über die Gründe. Sie sind sich einig, dass vor allem mehr gebaut werden müsse. Warum das nicht ausreichend passiert, können sie nicht sagen. Es dürfte ein komplexes Zusammenspiel von ausufernden Auflagen, überforderten und unterbesetzten Ämtern, Investoren mit mangelndem sozialem Verantwortungsbewusstsein und kämpferischen Mieterbewegungen sein, die sich gegenseitig lähmen.

Das SEZ oder der neue Berliner Flughafen, dessen Fertigstellung bereits um neun Jahre in Verzug ist, sind nur zwei der bekannteren Beispiele, wie schwierig Bauen in Berlin sein kann. Der Tagesspiegel erläuterte kürzlich, wie es dazu kommt, dass der Bau eines Fahrstuhls an einer U-Bahnstation in Berlin auch einmal 20 Jahre beansprucht oder die Errichtung eines Fussgängerstreifens im Schnitt rund drei Jahre dauert. Für Letzteren sind 16 gesonderte Amtsvorgänge nötig. Beim Berliner Flughafen kamen Regelverstösse der Auftragnehmer hinzu: Bei der laufenden Aufarbeitung ist die Verantwortung kaum festzustellen, da unzählige Sub- und Subsubsub-Unternehmen mitgebaut haben. Darüber hinaus wird den Berliner Politikern eine zu grosse Nähe zum Baugewerbe nachgesagt. Korruption wird vermutet. Die Ämter sind aber auch restlos überfordert. 6000 neue Wohnungen jährlich hat die rot-rot-grüne Regierung ursprünglich vorgesehen. Neuere Berechnungen zeigen nun einen jährlichen Bedarf von 25 000 Einheiten. Niemand hat mit einem derart grossen Ansturm auf die Stadt gerechnet, die zwar schon vor Jahren als «sexy» galt, aber eben auch als «arm». Letzteres ändert sich offensichtlich gerade: Trotz der explodierenden Grundstückpreise rangiert die Stadt laut Pricewaterhousecoopers bei Investoren im Vergleich zu anderen europäischen Metropolen weiterhin an vorderster Stelle.

Info: Der Schriftsteller Donat Blum ist Absolvent des Schweizerischen Literaturinstituts in Biel und pendent zwischen Berlin un der Schweiz. Aktuell ist er mit seinem Debüt-Roman «Opoe» auf Lesetour.

Nachrichten zu Biel »