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Biel

Jenseits von «Métro, boulot, dodo»

Die Berufsschüler des BBZ Biel-Bienne haben sich selbst in Szene gesetzt. Ab heute kommt das Projekt mit erstklassigen Filmausschnitten in der Aula auf die Bühne – und wird manch einen umhauen.

Intensiv, emotional, grossartig inszeniert: Das Projekt «Identität? …Bonne question?» zeigt Menschen von der Bieler Berufsschule von einer ganz anderen Seite als der beruflichen. Bild: zvg / Isabelle Freymond

Clara Gauthey

Er verliert nicht viele Worte, lieber tanzt er sein Leben zu den Beats aus der Boombox und sieht dabei enorm gut aus. Tanzt zu englischsprachigen Zeilen, aus denen lässig vorgetragenes Leiden tropft. Stösst die Gefühle mit der Fussspitze an und schwebt dann locker darüber hinweg und durch den Raum, in dem wir sitzen. Zwar ist dieser Tänzer nur eine Videoprojektion, aber er war hier. Damals waren die Stühle im Zuschauerraum leer. Jetzt sind sie es nicht. Er ist Berufsschüler am BBZ Biel-Bienne. Er ist Coiffeur. Aber eben nicht nur. Das hier ist sein Auftritt.

Es kommen andere, die lieber sprechen: Konditorinnen, Mechatroniker, Uhrmacher, Polymechanikerinnen, sie sind zwischen 16 und 23 Jahre alt. Und sie sind noch ganz vieles mehr, und darum geht es. Videograf «Kove» Srdjan Kovacevic und Schauspielerin Isabelle Freymond haben in Interviews und Bildern das eingefangen, was im Schul- und Arbeitsalltag der Bieler Berufsschüler kaum Platz hat. Sie haben sich mit dem Projekt «Identität? ... Bonne question?» auf die Suche gemacht nach dem, was diese Menschen im Innersten zusammenhält, antreibt, verwundbar macht. Entstanden ist ein Kunstprojekt, das von Leidenschaften erzählt, von Wünschen und Ängsten. Dazu kommen atmosphärische Geräusche und Sounds aus den Werkstätten von Tontechniker Matthias Daprà.


Grosses Kino
Manche Momente würden auf eine Kinoleinwand gehören, so grossartig sind sie. Weil sie das Leben selbst zeigen, die Blüte der Jugend in ihrem drängenden Ungestüm und ihrer Kraft und zugleich mit all ihrer Unfertigkeit, Unsicherheit, Unordnung. Es ist eine Phase fehlender Endgültigkeit; die gedachte, absolute Möglichkeit, deren Grenzen aber zugleich enger gesteckt sind, als man meinen könnte. Einige dieser Menschen haben schon manches ausgehalten. Eine junge Frau sagt trocken: «Glück? Das Gefühl habe ich noch gar nicht kennengelernt. Aber ich glaube, es wird noch kommen.» Regisseurin Freymond und Kameramann Kove suchen für ihr Kunstprojekt den Moment, in dem aus der Pose zweier imposant und cool catwalkender Männer mit einem Lachen etwas Wahrhaftes wird. In dem die Maske durch ein paar suchende Blicke ins Menschliche kippt und plötzlich die Seele für einen Augenblick aus dem Dunkel ans Licht tritt.


«Auf der Strasse landen? Nie wieder»
Der junge Mann, der Angst hat, seine Grossmutter zu verlieren, bei der er aufgewachsen ist. Die anderen, die Angst haben, klar, vor Spinnen, aber auch davor, «irgendwo nicht mehr reinzupassen und dann das Erbe nicht weiterführen zu können», oder davor, «dass alles schnell vorbei sein kann.» Angst «vor der Leere», vor der verhauenen Abschlussprüfung und vor den Präsidenten, die doch etwas gegen das, was schlecht ist, tun müssten – die das aber offenbar alles gar nicht kümmert. Angst davor, «alles zu verlieren und auf der Strasse zu landen», denn das hat er schon einmal erlebt, da will er nie wieder hin.


Intimität und Offenheit
Diese Menschen sagen vielleicht auf die Frage nach ihren Wünschen kühl: «’nen fetten Mercedes». Aber dann sagen sie auch: «Ich wünsche mir, meine biologische Mutter zu sehen.» Oder: «Ich würde so gerne Frieden mit meiner Familie haben, wir haben uns gestritten, jetzt wohne ich bei Freunden.» Matthias Dick, Abteilungsvorsteher BGB am BBZ Biel sagt denn auch: «Was mich an diesem Projekt stark bewegt hat, ist die Intimität und die Offenheit. Man erhält wirklich einen Einblick in den Alltag und die Emotionen der Lernenden, in ihre Ängste, Wünsche, Zukunftsvisionen.» Die Interviews und Videoeinspieler werden gewürzt mit einer performativen Brücke auf der Bühne, die für Interaktion zum Zuschauer sorgt. Das Licht ist aus. Und immer noch fühlen wir uns ein bisschen wie dieser Mann, der vor den leeren Rängen seine Gefühle tanzt und dabei ganz bei sich zu sein scheint – jenseits von «Métro, boulot, dodo».

Info: «Identität? ... Bonne question?» wird ab heute bis am Freitag täglich zweimal in unterschiedlichen Konstellationen mit Schülern des BBZ gespielt; Vorstellungen je 10.30 Uhr und 13.30 Uhr in der Aula der BBZ; Dauer: ca. 50 Minuten.

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