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Musik

«Fühle mich im Kosmos aufgehoben»

Der Bieler Musiker, Komponist und Interpret Urs Peter Schneider wird heute 80. Ein Gespräch über interessante Musik, gemachte Fehler und die Angst vor dem Tod.

Zum 80. Geburtstag 13 Fragen: Urs Peter Schneider in seinem Haus in Biel. Bild: Julie Lovens/ a

Interview: Raphael Amstutz

Urs Peter Schneider, wie ist es, das Alter, was macht es mit einem, was gewinnt und was verliert an Wichtigkeit?
Urs Peter Schneider: Mich macht es etwas gemächlicher und ziemlich viel tiefsinniger. Ich lebe im jeweiligen Alltag und geniesse ihn. Ich bringe mehr Sorge und Sorgfalt auf, wenn ich mich in einer Ganzheit fühle.

Womit haben Sie abgeschlossen oder wovon haben Sie sich verabschiedet?
Ich mache einfach mit Freude weiter. Das Pädagogische, lange Zeit an der Musikhochschule Bern ein zentrales Anliegen, beschränkt sich jetzt auf sanfte Belehrungen, mit denen ich hoffentlich meine Mitmenschen nicht allzu sehr irritiere, etwa meine Frau Marion. Als Pianist und Kammermusiker spiele ich fast nur noch Johann Sebastian Bach, Joseph Haydn, Carl Philipp Emanuel Bach und Wolfgang Amadeus Mozart, das heisst, die schweren Brocken überlasse ich nun den Chinesinnen und Brasilianern, all den Stars, die so zügig und gleichmässig spielen, was ich sowieso nie anstrebte.

Welche Musik interessiert Sie weiterhin, an welcher haben Sie das Interesse verloren?
Mich hat immer alle bedeutungsreiche Musik von Gregorianik bis ins Heute interessiert, als Spielender und vor allem auch als Analysierender. Mit den Jahren bekommt man ein Gespür, eine Einsicht, fällt nicht mehr auf jeden Verkaufstrick rein. Heute interessiert mich immer noch die Avantgarde, das jeweils Neueste, aber im gleichen Masse nehme ich Abschied von der Unterhaltungsmusik, die mich, wiewohl als Skeptiker, ausgiebig beschäftigt hatte und jetzt nicht mehr reizt.

Was geht Ihrer Meinung nach musikalisch schief heute?
Dass die Konsumierenden praktisch nur noch Songs, immergleiche Akkordfolgen und dummdreiste Texte hören wollen, ohne Bewusstsein süchtig werden und nicht mehr differenziert unterscheiden. Ein Amüsierbetrieb, Eventmarkt und Mehrheitenterror überschwemmt uns, Musik zynisch gegenüber Intelligenz und Aufklärung, echtem Interesse und wünschbarem Sensibilisierungszuwachs. Ein nur momentanes Glück, solange der Song von Freiheit, Liebe und Menschlichkeit ertönt, gar Neues und Änderungsbedürftiges beschwört, ist mir zu wenig, da kenne ich ein tieferes, ein andauerndes Glück.

Welche Musik ist total überschätzt?
Da stellt sich mir die Frage, wer denn Musik einschätzen kann und wen es überhaupt interessiert, gut und weniger gut zu beurteilen. Vermeintlich subjektiv, sind Schätzung oder Überschätzung durch Konventionen und Marktgewöhnung längst vorgegeben, werden nachgebetet in völlig sinnlosen Diskussionen. Boshaft sagte ich mal, was Mehrheiten findet ist bereits überschätzt, hat sich durchgesetzt und will auf Argumente verzichten.

Welche Musik legen Sie den Menschen ans Herz?
Eine, die ihnen etwas zumutet, respektvoll und freisetzend mit ihnen umgeht, sie nicht überwältigt und aufputscht, vielleicht eine, die neben herzlichen Gefühlen auch Haupt, also Denken, und Hand, also Willen in Gang setzt. Strukturerkenntnis, das Kennenlernen schöner Ordnungen, dazu wäre eine solche Musik in der Lage, ich meine Mozart oder Webern. Und mit Haydn oder Xenakis erfahren Menschen, die sich ansprechen lassen, was Energie sein könnte, ein Anruf, tatkräftig an der Welt mitzuwirken.

Welche Probleme löst die Musik?
Eine Musik, die, wie ich zu sagen beliebe, funktioniert, zeigt auf, wie eine spezielle Frage geschärft wird, sich ausdifferenziert und in der einzig gültigen, eleganten Lösung sich erfüllt. Ich glaube nicht, dass Musik die Klimaerwärmung und die Hungersnöte thematisiert, es sei denn als textliche Proklamation, also in unmittelbarer Absichtlichkeit, so aber ist sie hilflos und ineffektiv, man löst Probleme der grundsätzlichen Art vielmehr mittelbar, durch Sensibilisierung, Hinterfragung, Weckung. Ich spreche hier von meiner Praxis als Komponist und Interpret.

Welche Projekte stehen zuvorderst auf der Wunschliste des heute genau Achtzigjährigen?
Ich bin, mich stetig vorbereitend, in ein Jahr zahlreicher Aufführungen und Uraufführungen sowie Rezitals und anderer öffentlicher Aktionen eingetaucht. Einige Auftragskompositionen sind in Arbeit, wobei ich immer wieder, ein von Ideen Geplagter, zu Disziplin und Relevanz finden muss. Wenn ich das alles bewältigt haben werde, woran ich erfahrungsgemäss nicht zweifeln muss, werde ich nächstes Jahr eine Jesusmusik in Angriff nehmen.

Worauf freuen Sie sich?
Auf alles, was kommt. Jedem Tag, jedem Alltag, sehe ich mit Spannung entgegen, nicht nur den künstlerischen Tätigkeiten und Höhepunkten. Auch Marion, meine Frau, freut sich mit mir.

Auf was sind Sie am meisten stolz?
Auf das, was ich Lebensbewältigung nennen möchte. Auf meine durch nichts zu erschütternde Authentizität, meine Disziplin, meine Daseinslust. Auf meinen Fleiss und meine Schaffenskraft, über zwölf Dutzend Kompositionen, Textkombinationen, performative Aktionen, bei fast dreitausend Aufführungen.

Welche Fehler und Missgeschicke würden Sie lieber nicht erlebt haben?
Ich war früher oft zu freimütig bis hin zur Aggressivität, was mehrere Personen gekränkt haben muss, das bereue ich. Auch habe ich zahllose Umwege gemacht, Irrläufe, indes stets vorwärts. Jedes Missgeschick, jedes Unheil und jeder Misserfolg haben mir letztlich mehr Bewusstsein verschafft und eine segensreiche Vergangenheit beschert.

Haben Sie Angst vor dem Tod?
Nur ein leises Bangen, nicht mehr lange genug dabeisein zu dürfen. Einem christlich geprägten Quäker wird man wohl glauben, dass er sich auf die heranrückende Transformation mit Gelassenheit, wohl auch mit Neugierde vorbereitet, ein Bürger zweier Welten. Ich fühle mich im Kosmos aufgehoben.

Wie gelingt schliesslich das Leben?
Ich weiss nicht, ob es gelungen sein wird, angesichts der Bedingungen meiner Existenz. Für die vielen Glücklichen und Unglücklichen vermag ich nicht zu sprechen, ich versuche bloss, mich ihnen gegenüber offen und verständnisvoll zu verhalten, freudig und traurig. Eventuell geht es um Akzeptanz, Demut, Optimismus.

Info: Das Interview wurde teilweise schriftlich geführt.

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