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Rahmenabkommen

Jeder pflegt sein eigenes Gärtchen

Die Wirtschaft müsse geeint für das Rahmenabkommen sein, fordert die Politik.
Die Forderung scheitert jedoch an der unterschiedlichen Ausrichtung der Unternehmen.

Ems-Chefin Magdalena Martullo-
Blocher
weibelt gegen das Rahmenabkommen und zeigt
damit die
Uneinigkeit in der Chemiebranche auf. 


Dominik Feusi

Die Wirtschaft müsse «mit einer Stimme sprechen», sagt die Baselbieter Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter, Präsidentin der Aussenpolitischen Kommission. Sie forderte dies schon vor einem Jahr in einem offenen Brief an die Wirtschaftsverbände. Seither ist viel geschehen, insbesondere ist jetzt der Text des Abkommens bekannt.

Zu einer einheitlichen Haltung der Wirtschaft zum Abkommen hat das aber nicht geführt. Während Economiesuisse Ende Januar ein «Ja, aber» verkündete aber trotzdem noch bis zur eigentlichen Vorstandssitzung vom März warten muss, lässt der Schweizerische Versicherungsverband verlauten, dass man das Abkommen in der vorliegenden Form nicht unterstütze.

Oder während UBS-Präsident Axel Weber fordert, die EU müsse Drittstaaten wie der Schweiz ein besseres Angebot machen, findet die Schweizerische Bankiervereinigung, das Abkommen sei «positiv zu bewerten». Selbst innerhalb eines Branchenverbandes ist man sich nicht einig: Während der Präsident von Swissmem, Hans Hess, vor Weihnachten von einem «mass­geschneiderten» Abkommen sprach, relativierte sein Verbandsdirektor einen Monat später, es brauche eine «Rechtssicherheit herstellende Klärung».

 

525 Millionen Mehrkosten

Während die Spitzenmanager der beiden grossen Pharmakonzerne Novartis und Roche in regelmässigen Abständen für das Abkommen weibeln, fordert Scienceindustries, der Verband der Chemie-, Pharma- und Biotechunternehmen, schon lange eine Ausstiegsklausel für die Schweiz beim Nachvollzug von EU-Recht. Der Verband fürchtet, dies könnte die Wettbewerbsfähigkeit seiner Mitglieder verschlechtern.

Dass dies nicht an den Haaren herbeigezogen ist, erlebt derzeit die Medizintechnikbranche. Der Nachvollzug der neuen EU-Regulierung verursacht gemäss der Regulierungsfolgenabschätzung des Bundes Mehrkosten von 525 Millionen Franken pro Jahr, weil die Firmen 1000 zusätzliche Leute für Regulierung und Compliance einstellen müssen. Das entspricht mehr als drei Prozent des Jahresumsatzes.

Die unterschiedliche Beurteilung des Abkommens liegt in den unterschiedlichen Auswirkungen, welche das Rahmenabkommen auf die Firmen hat. Dies zeigte sich an einer Veranstaltung von Avenir Suisse am letzten Freitag. Grob lassen sich vier Gruppen unterscheiden. Grosse Konzerne wie Roche oder Novartis sind flexibel genug, einer EU-Regulierung, welche die Kosten in der Schweiz erhöhen würde, auszuweichen.

Ähnlich sieht es für die Grossbanken und deren Marktzugang aus: Sie sind längst in der EU (und ausserhalb) mit Tochterfirmen vertreten. Bei ihnen fallen höchstens einmalig Kosten für die Umstellung auf eine neue Ausgangslage an. Der mögliche Nutzen eines ungehinderten Marktzugangs überwiegt den möglichen Schaden.

Ganz ähnlich ist die Situation in der Maschinenindustrie. Wer weltweit exportiert – und das sind vor allem die Grossen in der Branche –, der produziert auch weltweit. Der Transport vor allem von grossen Maschinen ist aufwendig und teuer. Die Unternehmen sind deshalb mit eigenen Fabriken oder Joint Ventures in ihren Absatzmärkten präsent. Der Maschinenbauer Bucher Industries zum Beispiel hat Standorte auf vier Kontinenten. Der Eisenbahnbauer Stadler Rail baut dort, wo er seine Züge verkauft, gerne auch Montagehallen und verkauft den Service seiner Züge gleich mit, so zum Beispiel vor drei Jahren in den USA. Die kleineren Unternehmen, die in der Schweiz produzieren, haben oft wenig Absatz ausserhalb der EU. Auch ihnen schadet die EU-Regulierung nicht. Die EU sei der «Heimmarkt», betonte Thomas Hafen, CEO von Bühlmann Laboratories, bei Avenir Suisse. Die Ausrichtung auf aussereuropäische Märkte sei teuer. Es erstaunt nicht, dass er durch den Nachvollzug von EU-Recht keinen Nachteil befürchtet.

 

Gegen Nachvollzug gewehrt

Anders sieht es aus, wenn ein Unternehmen vor allem global und nicht nur in die EU exportiert, aber seine Produktion zu einem grossen Teil in der Schweiz angesiedelt ist. Das prominenteste Beispiel dafür ist die Ems-Gruppe von SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher. Die Hochleistungskunststoffe und die Spezialitätenchemie der Ems-Gruppe werden rund zur Hälfte in der Schweiz hergestellt. Ein Nachvollzug von EU-Regeln würde die Wettbewerbsfähigkeit von Firmen schwächen, die mit Unternehmen von ausserhalb der EU konkurrieren. Die Branche wehrte sich denn auch erfolgreich gegen den Nachvollzug der EU-Chemikalienverordnung.

Und dann gibt es noch die Binnenwirtschaft, jene kleinen und mittleren Unternehmen, die nichts oder nur wenig exportieren. Sie sind weder von der Beeinträchtigung ihrer globalen Wettbewerbsfähigkeit durch den Nachvollzug von EU-Recht betroffen noch direkt von Sanktionen der EU, falls die Schweiz das Abkommen nicht unterzeichnet. Rudolf Minsch, Chefökonom des Wirtschaftsdachverbandes Economiesuisse, sagte, das Rahmenabkommen sei «eine politische Frage».

 

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Kantone sagen
«Ja, aber»

Die Kantone befürworten grundsätzlich ein Rahmenabkommen. Sie fordern aber, dass das Abkommen den flankierenden Massnahmen Rechnung trage und die Unionsbürgerrichtlinie nicht übernommen werden müsse. Dass die EU bei den staatlichen Beihilfen Regeln aufstellen wolle, die gar nicht Teil der bilateralen Verträge seien, sei jedoch «nicht akzeptabel».

Dies berichtete die «NZZ am Sonntag» aufgrund eines Papiers des leitenden Ausschusses der Konferenz der Kantonsregierungen. fi

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