Sie sind hier

Abo

Kunst

«I ha drum no öppis gseh»

Martin Ziegelmüller gibt in seinem neuen Buch «Der alte Maler» Einblick in seine Gedankenwelt. Mal persönlich, mal ernst – und manchmal durchaus amüsant.

Himmel über dem Seeland? Kondensstreifen, 2001/16. Bild: zvg/ Martin Ziegelmüller

Simone K. Rohner

Er malt noch. Der alte Maler. Für ihn lebt sie, die tausendfach totgesagte Malerei. Der alte Maler schreibt aber auch. Und wie! Martin Ziegelmüller (*1935) lässt mit seinem neuen Buch «Der alte Maler» tief in seine Gedankenwelt blicken.
Es hält Gedanken fest, die Ziegelmüller zwischen 2008 und 2018 gedacht hat. Vor allem Gedachtes über Kunst, Künstler und die Kunstwelt, auch den Kunstmarkt. Aber auch das Leben allgemein. Kein fettes Bilder-Buch also. Ein Lesebuch, das beweist, dass er nicht nur mit dem Pinsel umzugehen weiss, sondern auch mit dem Schreibgerät. Es sind messerscharfe Kurzgedanken, aber auch mal längere Ausführungen. Selbstanalysen und allgemeine Betrachtungen der (Kunst-)Welt. Mal ernsthaft und mal mit einem Augenzwinkern zu geniessen – so wie die Welt eben auch. Die Kunstwelt sowieso.

Ein Thema, das immer wieder durchscheint, ist unser Zeitalter der Bilder- und Informationsflut. Das scheint den alten Maler sehr umzutreiben. Zugegeben, es ist fast etwas zu klischeehaft. Aber dass er sich mit über 80 Jahren überhaupt noch mit solchen Themen auseinandersetzt, muss man ihm einfach zugute halten. Andere ruhen sich und ihren Geist längst in der Weisheit des Alters aus, führen ihren Intellekt stets auf schon sicher begangenen Wegen spazieren. Aus Trends machte er sich nie was. Auch davon berichtet er. Vom «zwischen Stuhl und Bank sein» in der Kunstwelt. Zwischen den Traditionalisten und der Avantgarde. Immer wieder aufgebrochen wird das mit sehr persönlichen Passagen. Da treten Kindheitserinnerungen auf (und die Brüste einer Tante), oder wie er als Kind jeweils begründete, wenn er auf dem elterlichen Hof einfach mal verschwand: «I ha drum no öppis gseh.» 

****************************************

«Ich habe als Witz nach dem Preis gefragt»
Meist bleiben sie stumm. Doch spielen sie eine essenzielle Rolle für die Kunstschaffenden. Verfolgen und begleiten sie. Und sie ermöglichen ihnen auch ihr Schaffen und Leben.

Der Sammlerfreund
Er besitzt über 100 Bilder von Martin Ziegelmüller. Wie viele es genau sind, weiss er nicht mehr. Heinz Trösch (*1934), Mitglied der Glas Trösch-Familie, lernte den Künstler um 1958 kennen. Im WK im Militär. Er war Leutnant, Ziegelmüller Korporal. Seither verbindet sie auch eine Freundschaft. Seine Frau ist Gotte von Ziegelmüllers Kindern. «Zuerst sagte mir die Malerei nicht so viel», erinnert sich Trösch an die Zeit zurück. Doch er besuchte Ausstellungen von Ziegelmüller. «Manchmal brauchte er auch Geld. Dann hab ich ihm ein Bild abgekauft. So habe ich seine Welt kennengelernt und schätzen gelernt.» An das erste Bild, das er kaufte, erinnert sich Trösch noch genau: «Die Einsame». «Warum ich es gekauft habe, weiss ich nicht mehr. Es hat mir wohl gefallen. Mir gefiel seine gegenständliche Kunst.» Und die Bodenständigkeit gefalle ihm an Ziegelmüller: «Er zog seine Linie durch, ungeachtet der Strömungen. Trotzdem hat er auch eine Entwicklung durchgemacht. Dass er sein Leben so durchgezogen hat. Und nicht schaute, wem er noch gefallen könnte. Das imponierte mir.» Dieses erste Bild hängt noch immer im Eingangsbereich in seinem Haus in Hergiswil. «Ich habe dort zwei, drei grosse Räume mit seinen Bildern. Er ist der Künstler, von dem ich die meisten Bilder aufgehängt habe.»

Die Jungsammlerin
«Ich habe eigentlich als Witz nach dem Preis gefragt. Dachte, dass ich mir das ja sowieso nicht leisten kann.» Stefanie Christ (*1981), ehemalige Journalistin, die sich mittlerweile in der Kommunikationsbranche selbständig gemacht hat, hatte sich da grob verschätzt. Das war 2017 bei Ziegelmüllers Ausstellung im Kunstkeller in Bern. Es war die letzte Ausstellung von Dorothe Freiburghaus und ihrer Galerie. Christ schrieb darüber für die «Berner Zeitung», sie leitete damals das Kulturressort. Zum ersten Mal begegnete sie dem Künstler bei ihrer Arbeit 2011, in einer Doppelausstellung im Kunsthaus Langenthal und Kunstmuseum Bern. Überspitzt gesagt, ist sie die vielleicht jüngste Sammlerin von Ziegelmüllers Kunst. Es war ihr allererstes Ölbild. Ein bisschen grösser als A4. In seinen Bildern löse sich gegenständliche Malerei in Abstraktion auf. «Das gefiel mir von Anfang an und es schwingt immer eine Melancholie in seinen Bildern mit», sagt Christ. Doch sogleich bekam sie zu spüren, was es heisst, Sammlerin von Ölmalerei zu sein. Konservatorische Fragen wollen gelöst werden. «Als ich mit dem Bild nach Hause kam und es aufs Sofa legte, legte sich gleich meine Katze darauf! Überhaupt scheint sie das Bild anzuziehen. Sie sitzt oft so nah wie möglich daran.» Ziegelmüller hat also gleichzeitig auch noch einen tierischen Kunstfreund gefunden – Kater Fridu.

Die Sammlerfamilie
«Seine Bilder sind uns nie verleidet», so der Neurologe Hans-Peter Ludin (*1936). Aber die Bilder mussten stets beiden gefallen – ihm und seiner Frau. Sie haben 20 Bilder von Ziegelmüller. Wobei einige schon an die Kinder vererbt wurden. Die Sammlergeschichte geht weit zurück und kam über mehrere Ecken und Umwege zustande. Als Ludin 1968 in Tschugg (SG) in der Klinik Oberarzt war. «Da hatte ich Nachbarn, die waren mit dem Künstler Ernst Müller befreundet. Er wiederum war mit Martin Ziegelmüller befreundet.» So fanden sie zueinander. Und bald schon entdeckten er und seine Frau ein Bild, das ihnen gefiel. Doch das Paar konnte es sich damals nicht leisten. Es kostete 1800 Franken. «Martin schlug vor, wir könnten es in Raten bezahlen. Aber wir wollten es erst kaufen, wenn wir auch selbst das Geld dazu hatten. Darum sparten wir. Bei jeder Ausstellung, die er machte und das Bild ausstellte, hatten wir Angst, dass es uns jemand wegkauft», erinnert er sich. Das geschah aber nie.Das Bild mit dem Titel «Dämmerung» ist an einer Wand in ihrem Esszimmer. Es zeigt die Berner Altstadt an der Aare unten. Aber Ziegelmüller hat es so oft über- und umgemalt, dass man den Fluss nicht mehr erkennt. Ihre Kunstleidenschaft ging auch auf die nächste Generation über – eines ihrer Kinder sammelt Kunst von Wölf Zät, des Sohnes von Martin Ziegelmüller.

Der alte Maler und sein Buch – Martin Ziegelmüller erzählt
9. November 2009 – Wo ist man, wenn man schläft? Natürlich bin ich hier im Bett. Aber was ist mit meinem Bewusstsein? Gibt es das Bewusstsein einfach nicht, wenn ich schlafe, oder bewegt es sich irgendwohin, wo ich es nicht mehr erkennen kann? Aber vielleicht gibt es mein Bewusstsein auch dann noch, wenn ich bewusstlos schlafe. Was tut es dann? Und wo ist es dann? Bringt es womöglich etwas zurück, wenn es wieder in mein Hirn schlüpft? (...) Etwas ist aber auffällig. Wenn mein Bewusstsein im Halbschlaf wieder zu mir zurückkommt, bringt es Bilder mit. Und dann wartet Arbeit auf mich.

17. Oktober 2012 – Auf der Kunst haftet ein Fluch. Es geht um den Sockel, auf den man sie gestellt hat. Weiss der Teufel von wem. In der Hölle soll er braten, der Schurke! (...) Kunst ist wie 
die Liebe, sie kann jedermann 
packen. Aber wegen dem Sockel kann es zu Potenzschwierigkeiten kommen.

26. September 2012 – (...) Mit missratenen Bildern ist es 
einfacher als mit missratenen Kindern. Bilder kann man übermalen.

8./9. April 2013 – (...) Ist Wahrnehmung tatsächlich das, was ich sehe, oder läuft da immer noch anderes mit? Hat mein Unterbewusstsein ein Leck? Woher kommen denn die unberechenbaren Fantasien? Werden Bilder von Emotionen ausgelöst oder Emotionen von Bildern? Und was sind das für Kettenreaktionen, von denen ich behaupte, sie seien 
folgerichtig?

10. Juni – Die irren Preise berühmter Bilder berühmter Maler haben jeglichen Realitätsbezug verloren. Und Spekulanten versuchen, noch unbekannte Künstler mit Prognosen ins Blickfeld der Käufer zu rücken. Der Spekulationswahn treibt Blüten. 
Rekordgewinne, Rekordkäufe, Rekordrisiken! Dass Kunst und Künstler eventuell einen Beitrag zur Weiterentwicklung und zur Lebenserhaltung unserer Zivilisation zu leisten hätten, steht überhaupt nicht zur Diskussion.

9. November [ergänzt am 17. August 2016] – Vielleicht ist Malen meine Möglichkeit, mit Haltung dem Tod entgegenzugehen. Wenn’s hoch kommt, könnte 
sogar Interesse für die Vergänglichkeit und dafür, wie die Natur ihre Abfälle immer wieder 
verwendet, dahinterstecken.

10. Januar 2016 – (...) Ich erinnere mich daran, wie mich Cuno Amiet immer wieder darauf 
aufmerksam gemacht hat, welch schöne Ornamente Baumäste und Gartenblumen machen. 
An diese Ornamente müsse man sich als Maler halten.

Info: Martin Ziegelmüller, «Der alte Maler, Notizen 2008 - 2018», 
herausgegeben von Konrad 
Tobler, Edition Haus am Gern.
Vernissage der Ausstellung und Buchpremiere ist heute von 18 bis 20 Uhr in der Galerie Da Mihi (ehemaliger Kunstkeller) in Bern mit einer kurzen Einführung von Barbara Marbot und Hans Ryser. Der Künstler ist anwesend.


 

Nachrichten zu Kultur »