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«… und gingen dann total 
übernächtigt in die Stifti»

50 Jahre The Livings: Daniel Stöckli, Philippe Knuchel und Kurt Hauser gehörten zu einer der ersten Berner Rockbands überhaupt. Morgen treten sie in Mühlethurnen auf. Ein Stammtisch-Gespräch.

Sind wieder auf Tour: (v.l) Philippe Knuchel, Daniel Stöckli, Kurt Hauser. Bild: chp

Martin Burkhalter

Polo Hofer ist nie weit weg. Auch heute nicht. Donnerstagmorgen, 9 Uhr, Café des Pyrénées. Er hängt oberhalb seines früheren Stammtisches an der Wand. Vom Foto aus schaut er hinab auf jene, die noch übrig geblieben sind – Vertreter einer vergangenen Zeit, die doch immer wieder in die Gegenwart hineinzüngelt: die Anfänge des Berner Rock.

«Das Gleiche wie immer?», fragt die Wirtin. Daniel Stöckli nickt. Philippe Knuchel und Kurt Hauser müssen sagen, was sie wollen. Kaffee, Cappuccino. Ab jetzt aber nur noch: Dänu, Phile, Küre. Alles andere wäre unpassend für Musiker, die zur Berner Rockhistorie gehören wie Polo zum Pyri.

«Meine Güte, haben wir uns gefreut auf das Proben, auf die Konzerte. Wir haben gespielt und gespielt und gespielt und gingen dann total übernächtigt in die Stifti. Für uns war das das Grösste», sagt Dänu.

Dänu, Phile und Küre haben etwas zu feiern. 50 Jahre auf der Bühne. 50 Jahre Rock ’n’ Roll. 50 Jahre Freundschaft. Im Sommer 1969 gaben sie als The Livings ihr erstes Konzert im Freizeitzentrum Tscharnergut in Bern, kurz «Tscharni». Und morgen lassen sie es als Roots 66 mit einem Jubiläumskonzert in der Alten Moschti in Mühlethurnen krachen, die ebenfalls ihr 25-jähriges Bestehen feiert. Zwischen den beiden Bandnamen liegen eine typische Berner Rockgeschichte und so viele Anekdoten, dass man den ganzen Tag zuhören könnte.

«Wenn wir in der Tanzdiele in der Matte gespielt haben, kamen 600 und mehr Leute. Die konnten sich gar nicht mehr bewegen, so viele waren das. Der Eintritt kostete 2 Franken», sagt Dänu.

The Livings also. Das waren Sänger Dänu Stöckli, Phile Knuchel an der Gitarre, Beat Weibel an den Keyboards, Giancarlo Buletti am Bass und Küre Hauser am Schlagzeug. So hatte das damals 1969 angefangen. In einer Zeit, in der der Rock und die damit einhergehende Jugendrevolte aus Amerika und England auch das Leben in Bern zu verändern begannen.

«Wenn es dir den Ärmel reingenommen hat», sagt Phile, «hat es dich nicht mehr losgelassen, und du hast alles gemacht dafür, hast jedem Musiker nachgeeifert, hast die Frisur modelliert, dass du so aussahst wie deine Idole, hast dir die gleichen Hosen gekauft. Und dann kamst du dir auch so vor und bist durch die Stadt stolziert.»

«Wir waren dabei, als diese Stimmung herüberschwappte, und es war eine grossartige Zeit. Schon nur die Fernsehprogramme. Das bekannteste war damals der ‹Beat Club› mit Uschi Nerke. Das kam am Samstagnachmittag, und da haben wir jeweils durchgedreht», sagt Dänu.

«Ich weiss noch, wie wir im Spatz, dort, wo heute das Santa Lucia ist, mit unseren langen Haaren an einem Tisch sassen», sagt Küre. «Und dann hiess es: ‹Hier werdet ihr nicht bedient.› So sind wir halt wieder gegangen.»

«Es war vor allem eine Auflehnung gegen die Erwachsenenwelt, gegen die Eltern», sagt Phile. «Da kommen plötzlich die Jungen mit dieser Leck-mich-am-Arsch-Attitüde. Für die ältere Generation war das natürlich schockierend. Sie sahen jene Werte, auf denen sie seit Jahrzehnten ihr Leben aufgebaut hatten, nach und nach davonschwimmen.»

In Bern gab es damals nur eine Handvoll Bands, die um die Gunst der Rockfans buhlten: The Black Lions etwa, The Lives und The Delation. Das Konkurrenzdenken und der Neid waren gross in dem kleinen Bern. Revierkämpfe wurden auch schon mal auf dem Fussballplatz ausgetragen.

«The Delation coverten unter anderem Beatles-Songs. Über uns hat man gesagt, wir seien die beste Stones-Coverband westlich des Ural», sagt Dänu.

Wer mehr Erfolg hatte, ist nicht so ganz klar. Was aber klar ist: The Livings schafften durch Dänu Stöcklis Geschick und familiäre Bande etwas, wovon keine andere Band damals auch nur Träumen konnte: Sie brachten eine Langspielplatte heraus, herrlich glänzendes Vinyl. Es ist die einzige LP aus den ersten zehn Jahren Berner Rock.

«Wir haben ja keinen Fünfer verdient mit unseren Konzerten. Die Einnahmen flossen in die Miete für die Musikanlage», sagt Küre. «Da fragte man sich schon: Wovon willst du leben?»

Auch wenn sich das alles sehr vielversprechend anliess, eine eigene LP, 60 Auftritte im Jahr, war es mit The Livings bald wieder vorbei. Unstimmigkeiten mit dem Manager führten schon 1971 zur Auflösung. Einige Musiker verschwanden ganz von der Bildfläche. Andere schlossen sich neuen Bands an. Küre etwa war später mit Ocean ziemlich erfolgreich. Und Dänu Stöckli gründete 1972 Grünspan mit, die sich später zur äusserst erfolgreichen Mundartrockband Span entwickelte. Der legendäre Span-Song «Bärner Rock» stammt zum Teil aus seiner Feder.

«Als wir jung waren, haben wir schon gedacht, wir würden weltberühmt», sagt Dänu. «Zu Hause hat es aber auch geheissen: Zuerst lernst du etwas Anständiges.»

Und das haben sie alle drei. Neben dem Musikmachen haben sie alle einen Beruf gelernt. Dänu und Küre das KV. Dänu war später 15 Jahre lang Polo Hofers Manager und organisierte für das ACS-Reisebüro Klassik-Musikreisen. Phile hat es nach einer Vermessungszeichnerlehre zum Finanz- und Personalchef gebracht. Küre half mit, das Zürcher Radio Z aufzubauen, und arbeitete zum Schluss im Musikvertrieb. Immer aber spielten sie in der einen oder anderen Formation, hörten nie auf mit der Musik.

«Nur etwa zwei von hundert schaffen den Durchbruch», sagt Dänu. «Mit Grünspan hatte ich schon geglaubt, dass wir es schaffen würden.»

1996, ein Vierteljahrhundert nach dem ersten Konzert im «Tscharni», hatte dann Phile Knuchel die Idee, die Livings nochmals zusammenzubringen. Es war an der ersten Ausgabe der von ihm initiierten und später sehr erfolgreichen Konzertreihe «Weisch no», als es zur Reunion kam. Ab dem «Weisch no» 1998 spielten sie dann unter dem Namen Roots 66.

2001 erhielt die Band ein zusätzliches Mitglied: Polo Hofer. Neun Jahre zogen Dänu und Phile mit Polo und einem Repertoire aus Sixties-Songs und Perlen der Mundartmusik durch die Konzertsäle der Schweiz.

«Als wir mit den Roots in der TV-Spielshow ‹Risiko› auftraten, hatten wir 800

Im Herbst 2017 gab es nach einer Pause von drei Jahren wieder einen «Weisch no»-Abend. Und auch die Roots 66 gehörten wieder dazu. Zur aktuellen Formation gehören neben Phile, Küre und Dänu auch Michael Sulzer, Peter Enderli, Marc Gerber und Mario Capitanio. In dieser Konstellation begehen sie nun das Jubiläumsjahr – mit einem ersten Konzert morgen in Mühlethurnen.

Inzwischen leben wir in Post-Polo-Zeiten, und Dänu, Phile und Küre tragen ihre Haare kurz. Sie geben sich an diesem Morgen im Pyri putzmunter, gesund und sind guter Laune. Und doch ist da ein unterschwelliges Brodeln zu spüren. So, als wären sie fast, aber nicht ganz mit allem im Reinen: Vielleicht, weil mehr Konzerte hinter als vor ihnen liegen. Vielleicht, weil es nicht die ganz grosse Karriere geworden ist. Vielleicht auch, weil jene Zeit, um die es an diesem Morgen geht, vorbei ist. Früher war nicht alles besser, sagen sie. Natürlich nicht. Und doch.

«Früher», sagt Küre, «standen wir vor dem Musikhaus Krompholz noch Schlange, wenn die Beatles eine neue Platte herausbrachten.»

«Heute», sagt Dänu, «sind die Leute nur noch hitfixiert. Es gibt nur noch Eintagsfliegen.»

«Es gibt auch nicht mehr diesen Sammeleffekt», sagt Küre.

«LP-Covers waren ja früher richtige Kunstwerke», sagt Dänu.

«Ich habe gelesen, dass die elektrische Gitarre langsam verschwindet», sagt Küre.

«Ja, Gibson Guitars hat Insolvenz angemeldet», sagt Phile.

«Ich glaube, Rockbands sind auf dem Rückzug», meint Dänu. «Obwohl, ich hab da schon ein paar Bands gehört, die mich aus den Socken gehauen haben. Pablo Infernal zum Beispiel.»

«Oder The Souls aus Thun», sagt Küre.

«Oder Modern Day Heroes aus Biel», sagt Dänu.

«Und Bubi Rufener natürlich. Der auch», sagt Küre.

Jubiläumskonzert: Freitag, 8.3., 20.30 Uhr, Alti Moschti, Mühlethurnen.

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