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Literatur

«Keine Heldinnengeschichte»

In ihrem Roman «Tage wie Hunde» schreibt Ruth Schweikert über ihre Krebserkrankung – auf ebenso brillante wie berührende Weise.

«Verbotene Angst erzeugt Angst im Quadrat», ist Ruth Schweikert überzeugt. Bild: zvg

Charles Linsmayer

1966, in «Ein Messer für den ehrlichen Finder», schrieb der Bieler Schriftsteller Jörg Steiner dagegen an, dass eine Geschichte verheimliche, «was wirklich geschieht: das tägliche, langsame Altern und Absterben, das Müdewerden …» Ruth Schweikert zitiert den Satz und macht sich seine Logik in ihrem Roman «Tage wie Hunde» zu eigen. Es ist nicht das erste Buch, das in jüngster Zeit von der Bewältigung einer Krebskrankheit erzählt. Urs Faes etwa nutzt in «Halt auf Verlangen» die tägliche Tramfahrt zur Chemotherapie für eine Bilanz seiner Schriftstellerexistenz, Thomas Hürlimann lässt den Patienten in «Heimkehr» sein früheres Leben als abenteuerliche Odyssee zu sich selbst und seinem Vater erleben.

«Ähnlichkeiten beabsichtigt»
Ruth Schweikert aber, die sich in den letzten drei Romanen in weitschweifigen Familienromanen verlor, legt ein Buch vor, in dem, wie es in der Vorrede heisst, «Ähnlichkeiten wahrscheinlich beabsichtigt» sind, einen Text, der in sieben atemlos durchlebten und durchgeschriebenen imaginären Tagen unverstellt und unverblümt von ihr selbst erzählt. Von dem Moment an, als sie im Stadtschreiberhäuschen von Bergen-Enkheim «einen erbsenartigen Knoten auf der Innenseite der linken Brust» spürte, über die Angst vor der Operation und die Erfahrungen damit, die Chemotherapie, die allmähliche Bewältigung des Traumas bis zur Situation, als sie es zwei Jahre später fast schon bedauerte, «aus der Krankheit entlassen zu werden».

Homogen wie noch nie
Noch nie hat Ruth Schweikert so konzentriert, gezielt und rasch geschrieben wie in diesem Buch, das sie «zur Welt bringen wollte wie ein Kind»: «Neun Monate lange wächst es in meinem Körper heran und wird von einer Plazenta mit allem Notwendigen versorgt.» Und bei dem sie von allem Anfang an den schlimmsten aller Fehler in diesem persönlichen literarischen Bereich vermeiden wollte: die Larmoyanz. «Keine Betroffenheitsprosa» sollte es werden, «oder vielleicht doch: weil der Krebs mich trifft und betrifft; Tage wie Hunde soll das Buch heissen, keine Heldinnengeschichte.»

Das Sterben anderer
Das Allzupersönliche, Intime wird nicht zuletzt dadurch gedämpft, dass nicht nur die eigene Krankheitserfahrung, sondern auch jene vieler anderer mit eingebracht ist. Werner Morlang, Roger Willemsen, Polo Hofer, Susan Sontag, Walter Matthias Diggelmann, aber auch der eigene Vater werden mit ihrem Krebstod zu Protagonisten von eindrücklichen «Sterbenserzählungen» und stehen anderen Frauen gegenüber, über die – zum Glück! – «Überlebenserzählungen» möglich sind. Und obwohl gelegentlich, etwa da, wo es um die fatale «Transparenzkultur» und um den «gläsernen Konsument und Wähler» als deren Zielvorgabe geht, die gesellschaftskritische Aggressivität der Autorin von «Erdnüsse, Totschlagen» aufleuchtet: Das Thema Krebs wird in diesem Buch, anders als etwa Anne Cuneo es in «Une cuillerée de bleu» 1979 im Gefolge von Fritz Zorns «Mars» propagiert hat, nicht als politisches Verhängnis oder «Krankheit des Kapitals» gesehen.

Nicht nach Schuldigen oder Ursachen für die Krankheit sucht die bekennende Raucherin Ruth Schweikert, sondern nach Möglichkeiten, damit umzugehen, damit fertigzuwerden. Von Homöopathie bis Feldenkrais und Ayurveda werden alternative Heilmöglichkeiten erprobt, und der Angst wird mit Sentenzen wie «Verbotene Angst erzeugt Angst im Quadrat» mutig ins Auge geschaut.

So schlank und thematisch homogen es daherkommt: so ganz anders als in den Romanen «Ohio», «Augen zu» und «Wie wir älter werden» präsentiert sich Ruth Schweikerts Schreiben in «Tage wie Hunde» nicht. Mit der Erzählung aus den eigenen komplizierten Verwandtschaften und denen des Ehemanns Eric Bergkraut, mit den Lebensgeschichten von Vater und Mutter, den Erfahrungen mit den fünf Söhnen und den nacherzählten Geschichten von Freundinnen und Bekannten ist das Buch wiederum zugleich ein Familienroman geworden – einer allerdings, der für die aufmerksamen Leserinnen und Leser nun viele der früher erzählten Geschichten auf ihren biographischen Kern zurückführt und dem schillernd-figurenreichen Erzählkosmos dieser Autorin insgesamt etwas wie einen Basistext hinzufügt. Auch die geographische Bandbreite, die Fülle der Schauplätze, die den früheren Büchern eigen war, ist wieder da, spielt «Tage wie Hunde» doch keineswegs bloss in Zürich und im Triemli-Spital, sondern gleichzeitig und chronologisch nicht immer klar unterscheidbar in Paris, London, Thonon-Les-Bains, Serpiano, Port Salvi an der Costa Brava und im Künstlerhaus Edenkoben in Rheinland-Pfalz, wo offenbar grosse Teile des Manuskripts entstanden.

Tragfähiger Impetus
«Ich wusste sofort, dass ich darüber schreiben würde», war der erste Gedanke, als Ruth Schweikert am 9. Februar 2016 erfuhr, dass sie «an einer hochaggressiven Form von Brustkrebs erkrankt» war. Ein Impetus, den sie durchgehalten hat, der sie während der schmerzlichen Erfahrungen, die sie danach machen musste, ganz offenbar aber auch getragen und gestärkt hat und der nun nicht zuletzt auch dem Lesepublikum einen Text schenkt, der bei allem Ernst und aller Tragik des Themas etwas Aufmunterndes, Ermutigendes, Hoffnung Gebendes besitzt.

Und von dem einem jede Menge berührender Einzelheiten in Erinnerung bleiben. Etwa jener frappierende Einwand gegen einen personalisierten Gottesglauben, als es heisst: «Zeugt nicht der Nabel davon, dass wir keine (Gottes-)Geschöpfe (mehr) sind, sondern von Menschen gezeugt, geboren und abgenabelt …»

Oder die Stelle, als sich im Bus nach Serpiano die Fassungslosigkeit über den plötzlichen sexuellen Übergriff eines Busfahrers zum «vergifteten Triumphgefühl» wandelt, sobald es der «sexuell Belästigten» bewusst wird, dass sie 52 ist, eine Perücke trägt und zehn Chemotherapien hinter sich hat …

Info: Ruth Schweikert: «Tage wie Hunde». S.Fischer, Frankfurt am Main 2019, 199 Seiten, Fr. 28.90.

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