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Schienenverkehr

Je später die Züge, desto mehr Lastwagen

Das Bundesamt rügt: 30 Prozent der Güterzüge sind mit über drei Stunden Verspätung unterwegs. Die Verlagerung auf die Schiene kann so nicht funktionieren.

Ein Container wird in Cadenazzo auf die Schiene umgelagert. Bild: Keystone

Philipp Felber

Auf der Nord-Süd-Verbindung durch die Schweiz ist mehr als die Hälfte der Züge verspätet. Und das in einer Zeit, in der Kunden ihre Ware schnell zugestellt haben wollen. Entscheidend ist Pünktlichkeit auch, um das Verlagerungsziel der Lastwagen von der Strasse auf die Schiene zu erreichen.

Davon ist man weit entfernt: Noch immer fährt fast eine Million Lastwagen durch die Schweiz. Ein Drittel mehr, als es das Gesetz erlaubt. Das Bundesamt für Verkehr kommt in seinem jährlichen Bericht zum alpenquerenden Verkehr zu einem klaren Urteil: Die Qualität auf der Schiene sei nicht zufriedenstellend. Das verhindere eine Verlagerung von der Strasse auf die Schiene. Die Züge werden stetig unpünktlicher.

Puffertage einschieben
Im vierten Quartal 2018 waren nur 40 Prozent aller Güterzüge zur geplanten Zeit an ihrem Ziel. Die Hälfte aller Güterzüge kam gar über eine Stunde zu spät. Der Anteil der Verspätungen über drei Stunden lag bei 30 Prozent.

Betroffen von den Verspätungen sind Logistiker wie Bertschi. Das Unternehmen ist unter ­anderem im Nord-Süd-Verkehr tätig. «Wir haben zu kämpfen mit den Verspätungen, die sich in der Vergangenheit noch verstärkt haben», sagt Bertschi-Sprecher Beat Berner.

Die Firma muss deshalb reagieren und Puffertage einschieben, um die Ware pünktlich zu liefern. Teilweise würden in der Nähe der Kunden gar Lager aufgebaut, was zusätzliche Kosten für die Kunden bedeutet. «Das grösste Problem ist aber, dass die Kunden das Vertrauen in den Schienentransport verlieren», sagt Berner. Das sei keine gute Entwicklung, auch aus Umweltschutzgründen.

Reagieren müsste auch die Politik, weil das Verlagerungsziel nicht erreicht wird und noch mehr unter Druck kommt, falls die Pünktlichkeit weiter abnimmt. Doch ihr sind offenbar die Hände gebunden. Im Frühjahr war eine Delegation der nationalrätlichen Verkehrskommission in Deutschland, um auf das Problem der Verspätungen aufmerksam zu machen. Mit dabei war der Bündner Martin Candinas (CVP). Er sagt: «Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht in der Schweiz und in den Bahnausbau investiert.» Mehr als darauf hinweisen und verhandeln könne man aber nicht.

Die Hausaufgabe, das ist der Ausbau der Infrastruktur in der Schweiz. Ein weiterer Meilenstein wird der Ceneri-Basistunnel sein, der im September 2020 eröffnet werden soll. Damit verkürzt sich der Weg durch die Schweiz noch einmal.

Das Ziel der SBB ist, im alpenquerenden Güterverkehr durch Europa insgesamt bis zu zwei Stunden einzusparen. Das zeigt eine interne Präsentation der SBB. Diese Zielsetzung haben auch die Deutsche Bahn und die italienische Staatsbahn unterschrieben. Neben der Zeitreduktion wollen die Unternehmen pro Tag 3000 zusätzliche Stellplätze für Lastwagen auf Zügen im Rhein-Alpen-Korridor schaffen.

Verspätungen importiert
Die Verspätungen entstehen meist im Ausland und werden quasi in die Schweiz importiert. Baustellen wie auch fehlende Lokführer sind laut dem Bundesamt für Verkehr für die Misere verantwortlich. Gerade im süddeutschen Raum sei der Lokführermangel ein Problem, erklärt Stefanie Burri von BLS Cargo.

Die importierten Verspätungen haben Auswirkungen auf Schweizer Lokführer. Sie führten etwa dazu, dass kurzfristig Arbeitseinsätze angepasst werden müssten, sagt Burri. Für die Lokführer heisst das: Die Planbarkeit der Arbeitszeit nimmt ab. Das ist keine gute Werbung für den Beruf. Dabei wäre diese nötig, denn auch in der Schweiz fehlen Lokführer. Die Situation habe sich in den vergangenen Jahren noch verschärft, heisst es von SBB Cargo International, die wie BLS Cargo im Nord-Süd-Verkehr tätig ist. Die Firma müsse von Jahr zu Jahr mehr Lokführer als Reserve einplanen. Entsprechend höher ist der Bedarf.

Die Firmen versuchen, den Mangel zu bekämpfen. Die BLS etwa bildet heute doppelt so viele Lokführer aus wie vor zwei Jahren. Die SBB bilden selber Lokführer aus und versuchen zudem, in Deutschland zu rekrutieren, finden aber zunehmend weniger Kandidaten, weil auch dort die Lokführer fehlen.

Geht es nach Urs Kieliger vom Lokpersonalverband, muss der Beruf attraktiver werden. Viele Wochenendeinsätze, Nachtarbeit – die manchmal bis in den Ruhetag hineinragt – und kürzere Erholungs zeiten nennt Kieliger als grundsätzliche Probleme. Er glaubt nicht, dass es in nächster Zeit besser wird mit dem Mangel.

Entsprechend dürften sich die Züge auf der Nord-Süd-Achse weiter verspäten und dem Verlagerungsziel im Weg stehen.

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