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Alt und Jung

Es besteht Hoffnung, 
sich zu finden

Biel und der Kanton haben entschieden, in der Auseinandersetzung um die Gestaltung des Westastes eine Dialogrunde zwischen Pro und Kontra Westast einzulegen. Bravo! Ein Entscheid, der Nachhaltigkeit verspricht.

Bild: Judith Giovannelli-Blocher

Judith Giovannelli-Blocher

Tausende in Biel gingen auf die Strasse, so viele wie vielleicht noch nie in unserer Stadt an einer politischen Manifestation. «Westast so nicht» lautet die Parole der Bewegung.

Mein Mann Sergio hat sich ihr angeschlossen, und seit Monaten hängen aus den Fenstern unserer Wohnung die von ihm aufgehängten Protestfahnen. Biel ist in Bewegung!

Der Ostteil des Bauvorhabens, welches unsere Stadt von der unerträglichen Verkehrsverstopfung erlösen soll, ist bereits abgeschlossen und befriedigt sowohl die Verkehrsteilnehmer wie die Bevölkerung. Gegen die Route des Westasts, der mitten durch gewachsene Quartiere führen soll, ist mächtiger Widerstand gewachsen. Gott sei Dank verlief bis jetzt alles gewaltlos. Durch den weisen Entschluss, eine Verzögerung der Bauzeit in Kauf zu nehmen, besteht Hoffnung, dass Pro und Kontra sich einigen können.

Es gibt kluge, kenntnisreiche und besonnene Köpfe auf beiden Seiten. Nun geht es darum, dass man offen ist für neue Lösungen, ohne dass man sich gegenseitig anklagt, für begangene Fehler Schuld zu sein. Für mich ist der Verlauf des demokratischen Prozesses inzwischen fast ebenso wichtig wie die endgültige Route. Die Fähigkeit, aufeinander zuzugehen, etwas auszuhandeln und auch Abstriche in Kauf zu nehmen, ist eine der zentralen Tugenden einer Demokratie. Wir haben heute weltweit einen riesigen Mangel an gegenseitigem Vertrauen, an der nötigen Achtung von der Gegenseite.

Ich erinnere an den schlechten Verlauf des Prozesses der Kantonszugehörigkeit in Moutier. Obwohl man sich riesige Mühe gegeben hat, sind Ressentiments zuhauf übrig geblieben und das hat zur Folge, dass viele Leute die Stadt verlassen und Moutier langsam verödet.

Oder das Stichwort Brexit! Wenn entstandenes Unrecht nicht erkannt und beigelegt wird, hat das generationenlange Folgen. Zum Glück hat es Biel im gegenwärtigen Fall gut: es liegen nicht alte, nicht verheilte Wunden gegenseitiger Verletzungen vor. Es besteht also Hoffnung! Schauen wir dazu, dass das gegenwärtige Ziel der Auseinandersetzungen nicht in einer bestimmten Routenführung liegen darf, sondern in den übergeordneten Anliegen, möglichst wenig neue Verlierer, die sich nicht verstanden fühlen, zu schaffen.

Wenn die Autos und vor allem die schweren Lastwagen weiterhin ungebremst durch unser Quartier donnern, ist es schlimm. Aber besser wird es nur, wenn in einer geduldigen nachhaltigen Weise auf Pro und Kontra eingegangen wird, bis ein Ausgleich da ist, mit dem beide Seiten trotz Abstrichen leben können. «Wir haben fair gekämpft», wäre ein Sieg, der Zukunft hat. Es wäre schön, wenn vor allem die vielen Jungen, die sich am Protest beteiligen, hinterher sagen könnten: «Wir wurden ernst genommen, es hat sich gelohnt.»

kontext@bielertagblatt.ch

 

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