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Nidau

Fahrende lösen Streit aus

Der Gemeinderätin Sandra Friedli wird vorgeworfen, das Kollegialitätsprinzip missachtet zu haben. Sie hat sich für die jenischen Fahrenden auf dem Expo-Areal ausgesprochen – weil sie eine Wegweisung nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren könne.

Eine Gruppe von Jenischen hat sich seit dem vergangenen Wochenende auf dem Expo-Gelände niedergelassen. Nico Kobel

von Carmen Stalder

Seit letztem Wochenende befinden sich auf dem ehemaligen Expo-Gelände in Nidau Wohnwagen von Schweizer Fahrenden. Die Gemeinde hat eine entsprechende Anfrage der Jenischen zwar abgelehnt, diese sind aber dennoch mit ihren Fahrzeugen aufgekreuzt und wollen auch bis Ende Monat auf dem Gelände bleiben. Der Gemeinderat hatte seinen negativen Entscheid damit begründet, dass man mit einer Bewilligung Tür und Tor für weitere Fahrende geöffnet hätte. Gegenüber dem BT sagte die zuständige Gemeinderätin Sandra Friedli (SP), dass sie eine positive Antwort der Stadt Nidau auf die Anfrage der Jenischen begrüsst hätte. Eine legale Handhabung wäre ihr lieber, da die Fahrenden sowieso kommen würden – gebe es doch in der Schweiz und im Kanton zu wenig Plätze (das BT berichtete).

Diese Aussage hat bei einigen Stadträten für Unmut gesorgt. «Mich haben diese Äusserungen sehr verärgert. Ähnliche Rückmeldungen erhielt ich auch aus der Bevölkerung», sagt Stadtratspräsidentin Amélie Evard (FDP). Sandra Friedli habe das Kollegialitätsprinzip missachtet, indem sie den Mehrheitsentscheid nicht nach aussen getragen habe. Für die Glaubwürdigkeit der Regierung sei dies gar nicht förderlich. «Ich finde es ausserdem fragwürdig, wenn ein Gemeinderatsmitglied öffentlich sagt, dass es sie persönlich nicht störe, wenn Leute illegal Land besetzen.»


«Unsere Stadt lächerlich gemacht»

Zustimmung erhält Evard unter einem von ihr verfassten Facebook-Beitrag unter anderem von den Stadträten Thomas Marolf, Leander Gabathuler, Oliver Grob (alle SVP), Ralph Lehmann (FDP) der früheren Stadträtin Monique Schlegel (BDP) oder gar von Gemeinderat Roland Lutz (SVP). Dieser hat folgenden Kommentar hinterlassen: «Ich habe dafür gekämpft, dass der Gemeinderat die Bewilligung nicht erteilt, es ist leider nicht mein Ressort und wir sind eine Kollegialbehörde. Ich kann im Gemeinderat Dampf ablassen, im Nachhinein entscheidet das Gremium.»

Die FDP Nidau zeigt sich in einer Medienmitteilung «schwer enttäuscht» vom Verhalten von Sandra Friedli. «Scheinbar ist ihr Parteipolitik wichtiger als nachhaltige Gemeindepolitik», heisst es im von Susanne Schneiter Marti, Fraktionspräsidentin Bürgerliche, versandten Text. Die FDP fordert Friedli dazu auf, den rechtsstaatlichen Prinzipien zu folgen und den Entscheid des Gemeinderates umzusetzen. Und spart dabei nicht mit harschen Worten: «Eines ist klar, durch so eine Inszenierung in der Presse sehen wir unsere Stadt durch Sandra Friedli lächerlich gemacht.»


Recht auf andere Meinung

Sandra Friedli lässt sich derweil von den Anschuldigungen nicht aus der Ruhe bringen. «Ich habe mir nichts vorzuwerfen», sagt sie. Sie sei aus Gewissensgründen aus dem Kollegialitätsprinzip ausgeschert. Tatsächlich hat der Gemeinderat von Nidau im Rahmen einer Klausur folgende zwei Regeln beschlossen: Erstens hat jedes Mitglied Entscheide des Gemeinderates in der Öffentlichkeit und im Stadtrat so zu vertreten, wie sie der Gemeinderat gefällt hat, auch wenn es im konkreten Fall eine abweichende Meinung eingenommen hat. Zweitens darf nur in absoluten Ausnahmefällen, etwa einem Gewissenskonflikt oder einer Notstandssituation, in der Öffentlichkeit eine abweichende Meinung vertreten werden; der Gemeinderat muss aber im Voraus darüber orientiert sein.

«In diesem Sinne habe ich von meinem Recht Gebrauch gemacht und den Gemeinderat an der Sitzung vom 28. Mai diesbezüglich informiert», sagt Friedli. Stadtpräsidentin Sandra Hess (FDP) bestätigt dies. Sie sagt, dass der Gemeinderat das Äussern einer abweichenden Meinung nicht explizit genehmigen müsse. Es sei ausserdem nicht vorgesehen, dass ein Gemeinderatsmitglied in einem solchen Fall das entsprechende Dossier abgeben muss.

Sandra Friedli erklärt ihre Haltung damit, dass Schweizer Fahrende eine anerkannte nationale Minderheit mit Recht auf Halteplätze seien. «Dieses Recht mit einer aus meiner Sicht nur dürftigen Begründung zu verweigern, kann ich nur schwer vertreten.» Da sie in dieser Sache Auskunft gebe, sei sie froh über die Möglichkeit, gegenüber der Öffentlichkeit ihre persönliche Meinung vertreten zu dürfen. Für Amélie Evard ist diese Argumentation nicht schlüssig. Sie könne nicht nachvollziehen, warum die Situation mit den Fahrenden für Sandra Friedli einen absoluten Ausnahmefall darstelle.


Räumung kaum durchsetzbar

Derzeit ist offen, wie es mit den Fahrenden auf dem Expo-Gelände weitergeht. Eine Räumung des Geländes ist rechtlich kaum durchführbar, dies führte der Gemeinderat bereits an der letzten Stadtratssitzung aus, als er ein Postulat von Thomas Marolf beantwortete. Dieser forderte bauliche Massnahmen und ein richterliches Verbot auf dem Expo-Areal, um illegale Landbesetzungen künftig verhindern zu können. Sandra Friedli erklärte damals, dass für eine Räumung die Verhältnismässigkeit bewiesen werden, eine Gefahr für Leib und Leben oder eine schwere Umweltgefährdung geltend gemacht und ein alternativer Transitplatz zur Verfügung stehen müsse, auf den die Polizei die Wohnwagen platzieren kann.

Komplex ist die aktuelle Situation auch wegen des Besitzverhältnisses: Die Stadt Biel ist Grundeigentümerin des Expo-Geländes, das sich allerdings auf dem Hoheitsgebiet von Nidau befindet. Letztere Gemeinde ist für die öffentliche Sicherheit zuständig und muss auf den Platz gehen, wenn es irgendwelche Probleme gibt. Die Veranlassung, rechtliche Schritte einzuleiten, müsste jedoch aus Biel kommen. «Der Nidauer Gemeinderat hat hier keine Handhabe», sagt Friedli. Einzige Möglichkeit, Bewegung in die Sache zu bringen, wäre, das Gespräch mit der Stadt Biel zu suchen. Das sei jedoch bisher noch kein Thema gewesen, so Friedli. «Ich gehe davon aus, dass das weitere Vorgehen vom politischen Druck abhängt.»

Für Evard ist dagegen klar: «Es ist die Aufgabe von Sandra Friedli, den Mehrheitsentscheid des Gemeinderats nach aussen zu tragen. Dies auch gegenüber der Stadt Biel, damit es in dieser Sache vorwärts geht.»

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