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Biel

«Ich bin keine Trend-Tätowiererin»

Sie liest Anatomiebücher. Sie studiert die Lehre des Chladni-Musters. Sie zeichnet tagelang still vor sich hin. Sie hört aufmerksam zu. Und all das fügt sie zu einem Ganzen: Sonja Kuhn ist Tätowiererin. Nun eröffnet sie nach einer Umstrukturierung ihren Laden neu.

Wenn Sonja Kuhn etwas macht, dann macht sie es richtig. Konzentriert und konsequent: «Ein Tattoo ist viel mehr als bloss ein Bildchen.» Bild: Vera Urweider

Vera Urweider

Wenn sie mit einem spricht, ist sie ganz bei sich. Und gleichzeitig auch ganz bei ihrem Gegenüber. Sie erzählt mit dem ganzen Körper. Nicht italienisch armeringend. Sondern mit einer unglaublichen körperlichen Spannung, auch sitzend. Die grossen Augen werden noch grösser. Man fühlt ihre Dringlichkeit zu sprechen. Zu erzählen. Zu erklären. Es sprudelt aus ihr heraus. Zitiert Songtexte. Passgenau. Manchmal macht sie Pausen. Denkt nach. Doch ist es nie so viel, dass es langweilig werden könnte. Ein Funken, der schnell auf das Gegenüber springt, welches nicht mehr anders kann als zuzuhören. Und gleichzeitig hört auch sie zu. Aufmerksam. Empathisch. Überlegt.

Sonja Kuhn ist Tätowiererin. Sie lebt und arbeitet in der Bieler Altstadt, manch einer kennt sie vielleicht von ihren Anlässen an den First Fridays. Den ganzen Sommer über war es nun aber still an der Untergasse 35. Sie hat ihren Tattoo-Laden renoviert, neu ein- und ausgerichtet. Noch immer steckt sie in einem Wandel. Einer Umstrukturierung. Und dies will sie mit der Neueröffnung des «Yena’s Tattoo Lädeli» Mitte September unterstreichen und (erstmal) abschliessen. Neu dastehen. Neu eröffnen. Neu einladen (siehe Infobox).

«Ich möchte meiner Recherche und Arbeit der vergangenen Jahre mehr Platz geben», sagt sie, «endlich den Menschen präsentieren, was ich die letzten Jahre im Stillen entwickelt habe.» Tattoo à la carte also. Ein Menü mit ihren Zeichnungen, bereit, entdeckt zu werden. Wenn Kuhn etwas macht, dann macht sie es richtig. Mit voller Energie und Konsequenz. «Ich bin keine Trend-Tätowiererin», sagt sie denn auch von sich selbst. Einfach nur cool aussehen, hübsch gezeichnet und gut gestochen, das reicht ihr nicht. «Ein Tattoo ist viel mehr als bloss ein Bildchen.»

Faszination Körper

Immer wieder spricht sie von verschiedenen Ebenen. Da ist zum einen die Symbolik, was eine Zeichnung bedeutet. Aber da ist auch die emotionale Ebene, die spirituelle Ebene und die anatomische, die Körperstudie. Beginnen wir bei Letzterer.

Schon als Kind war Kuhn von Formen und Körpern fasziniert, bastelte nachts lieber Kartonkistchen und -figürchen, als zu schlafen. Der verstorbene Bieler Architekt Fritz Bühler war es denn, der sie beiläufig und eher durch Zufall auf die Form des Hexagons brachte – das Sechseck. Sie verstand schnell: lebendige, bewegende Körper zu erfassen und passend zu bestechen, da muss sie mit 60- und 30-Grad-Winkeln arbeiten, nicht mit 90. Angefixt von dieser neuen Erkenntnis, begann sie ihr eigenes System zu entwickeln und arbeitet heute noch immer mit den 60/30-Winkeln, in Zusammenhang mit geometrischen Formen, beispielsweise den Chladni-Kreisen. Das Chladni-Muster stammt ursprünglich aus der Physik (jede Welle auf einer Oberfläche geht von einem Mittelpunkt aus kreisförmig ins Unendliche) und ist vielleicht heute besser bekannt in der Form der «Blume des Lebens»: Gleich grosse Kreise schneiden sich jeweils an sechs Punkten, die Winkel, die daraus entstehen: 60/30.

«Kreise passen unglaublich perfekt auf einen Körper. Das ist richtig fantastisch!», so Kuhn. Und tatsächlich: Legt man auf eine Zeichnung eines menschlichen Körpers ein Chladni-Gitter, so scheint dieser Körper wie gemacht zu sein für diese Kreise. Oder eben umgekehrt.

Für ihr Verständnis und ihr Wissen über den menschlichen Körper investiert Kuhn tage-, wochen- und monatelange Lektüren in Fachbüchern. Anatomie. Dermatologie. Triggerpunkte. Wundheilung. Körper als Schutzfunktion. Sie saugt alles auf und bezieht beim Tätowieren alles ein.

Gemeinsame Reise

Wenn sie zeichnet ist sie still. Konzentriert. Vertieft in ihre Gedanken, ihren Stift, ihr Papier. Das Papier als Fläche. Die Zeichnung ebenso flach auf dem flachen Papier. Flach, weit und unendlich, wie der Horizont am anderen Ende des Meeres. Und dieser Meereshorizont war es nämlich, den Kuhn heute als ihren eigenen Auslöser nennt.

Als sie zum ersten Mal in die Weite des Meeres starrte, merkte sie, dass diese noch so flache Linie eben eine runde ist. «Das ist das, was es lebendig macht», sagt sie. «Auch der Körper ist nicht flach, sondern unendlich. Gehst du mit der Nadel um ein Bein herum, kommst du wieder beim Anfangspunkt an.» So einfach. Und doch so prägend.

Ihre Augen sind nun etwas wässerig. Dieses Gefühl, dass sie damals am Meer hatte, erschüttert sie heute noch. Und ihr grösstes Ziel ist es, dass ihre Kunden mit genau so einem Glücksgefühl aus ihrem Laden treten. Wenn sie gefunden, erarbeitet und erschaffen hat, was sie sich genau wünschten. Und hier sind wir nun auf der emotionalen Ebene angekommen.

«Ich glaube, jeder Mensch hat eine Idee von einem Symbol, einem Bild oder gar schon einem vermeintlich fertigen Tattoo», sagt sie. Manchmal sei die Idee jedoch noch sehr schwammig. Oder unsicher. Dann nimmt sich Kuhn Zeit und hört zu. Fragt nach. Sie will verstehen, was ihr Gegenüber fühlt, wenn es an das mögliche Tattoo denkt. Sie lädt einem ein, gemeinsam auf die Reise der Idee zu gehen. Denn «erst wenn ich verstehe, woher der Einfall kommt, was die Geschichte dahinter ist, was man dabei fühlt, erst dann kann ich versuchen das Ganze auf den Körper zu bringen.» Auf die richtige Stelle. Im richtigen Winkel. In der richtigen Grösse. Ein Körper bewegt sich schliesslich. Und das ist auch eine Kunst: «Dass das Tattoo in jeder Körperstellung gut aussieht. Dass die Bewegung mitgedacht ist.» Denn der Körper ist eben kein Papier.

Yenas Weg

«Wenn ich diese beiden Ebenen, die anatomische und die emotionale, zusammenbringe, dann bin ich da, wo ich sein will», sagt sie weiter und bringt eine weitere Ebene ins Spiel, die der alten traditionellen Tätowierkunst. Die sei in der westlichen Welt sehr dem Wohlstand-Tattoo-Kult gewichen. Hauptsache viel, cool und immer mehr und irgendwo. «Doch Tattoos nach ursprünglicher Tradition können auch heilen. Sowohl körperlich, wie auch seelisch.»

Dieses Wissen legt Kuhn neben ihrer ganzen Kreativität nie zur Seite. Es ist eher die Basis ihrer Arbeit. Einer Arbeit, einer Leidenschaft, der sie kompromisslos alles andere unterordnet. Das Tätowieren war und ist ihr Antrieb. Sowohl in Zeiten nach dem Gymnasium und nach dem Vorkurs an der Schule für Gestaltung, in Zeiten finanzieller Schwierigkeiten, Orientierungslosigkeit vielleicht auch, in diesen Zeiten war das Tattoo die Kraft ihren Weg zu gehen. Zu wissen was sie will. Und heute ist es die Kraft endlich tun zu können, was sie will. Und kann.

Aus diesen Zeiten stammt auch noch ihr Künstlername Yena. Yena, wie sie erst später erfahren sollte, heisst Hoffnung. Hoffnung also, die sie nie von ihrem Weg brachte, wohl auch wieder etwas mehr Sonja zu werden, stets im Wissen, dass Yena zu ihrer eigenen Geschichte dazugehört.

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Auf einen Blick

  • Neueröffnung und Apéro: Samstag, 14. September, ab 17 Uhr.
  • Walk-in-Day mit Flash-Tattoos – kleine Symbole von Yena gezeichnet, die spontan gestochen werden können: jeden 1. Freitag des Monates.
  • Wannado-Day mit Tattoo à la carte – Yena stellt ihre grösseren, noch ungestochenen, Werke vor und spricht über ihre Arbeit der letzten Jahre. Wer sich inspiriert fühlt, darf einen Tattoo-Termin für eines ihrer Werke ausmachen: Jeden Donnerstag, mit Abendverkauf.
  • Ansonsten: Termin auf Anfrage.
  • Yena lässt auch sonst ihrer Kreativität freien Lauf: Visitenkärtchen mit Zeichnungen gibt es in Kassettenschachteln, Zeichnungsbücher geringt mit Buchdeckeln aus alten Schallplatten.
  • Instagram: www.instagram.com/yena_tattoo und www.instagram.com/k7tattooflash
  • Facebook: www.facebook.com/yena

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Info: Yena’s Tattoo Lädeli, Untergasse 35, Biel, Telefonnummer:_032 508 50 94, Mail: yenachdem@gmx.net, akzeptiert auch Krypto-Währungen.

 

Stichwörter: Tattoo, Sonja Kuhn

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