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Biel

Die Kraft des Kinos

Fünf Tage, fast 60 Filme, rund 30 Gäste, über 20 Podiumsgespräche. Die 15. Ausgabe des Festivals du Film Français d’Helvétie ist vorbei. Der Rückblick auf verblüffende Erkenntnisse, blutige Hände und Kinosäle, die in Schwingung geraten.

Bild: Aimé Ehi

Raphael Amstutz

Fabienne Berthaud, die Regisseurin von «Un monde plus grand», musste lachen, als eine Zuschauerin fragte, wie die magische Unterwasserszene mit Cécile de France gedreht worden sei. «Cécile ist in der Mongolei in einem Fluss untergetaucht und in Belgien in einem Schwimmbad angekommen.» Pause. «Ach nein, jetzt habe ich alles offenbart und den ganzen Zauber des Kinos zerstört.»

Nein, hatte sie natürlich nicht. Doch mit dieser Erklärung wurde etwas gesagt, das allen bewusst ist und doch immer wieder verblüfft: Obwohl man um die Künstlichkeit bei der Herstellung von Filmen weiss, hat Kino eine grosse Kraft: Die Kraft zu berühren, gar die Kraft zur Veränderung. Kino beschenkt, macht betroffen und glücklich. Kino löst starke Gefühle aus.

Nach fünf Tagen Festival, fast 60 Filmen und über 20 Podiumsdiskussionen darf das Fazit gezogen werden: Die Verantwortlichen des Festivals du Film Français d’Helvétie (FFFH) haben es mit ihrer Auswahl und Platzierung geschafft, einen Themenmix zu präsentieren, der mal luftig und leicht war, mal zentnerschwer und bedrückend.

Die Frauen

Besonders stark waren die Filme mit Frauen in den Hauptrollen (vor oder hinter der Kamera): Da versuchte zum Beispiel eine herrlich ambivalente Sandrine Kiberlain, zu akzeptieren, dass ihr Baby zu einer jungen Frau geworden ist, die auf eigenen Beinen steht («Mon bébé»), da verzweifelte ein Mädchen daran, es nicht zu schaffen, gleichzeitig ihre Geschwister zu beschützen und sich gegen die Eltern zu wehren, die sich einer Sekte angeschlossen hatten («Les éblouis»), da wird im 18. Jahrhundert die unmögliche Liebe zwischen zwei Frauen zu einer berührenden Reflexion über Begierde und Blicke («Portrait de la jeune fille en feu»).

Die Kraft

Doch die Geschichten auf der Leinwand, von denen zahlreiche zweifellos haften bleiben, sind nur die eine Seite. Die engagiert geführten Podien (die Deutschschweizer scheinen nach 15 Jahren ihre Scheu zu verlieren; siehe auch «Nachgefragt» ganz rechts) und der Austausch, die Begegnungen und die Rückmeldungen der Menschen vor, zwischen und nach den Vorstellungen haben auf eine eindrückliche Art gezeigt: Kino hat die Kraft zu berühren.

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Wieso Blut im Film dunkler ist

Wer während des Festivals wegen Jugendlichen mit entstellenden Wunden erschrak – kein Grund zur Panik. Es sind alle wohlauf, sie haben nur von einem der Workshops des neuen Angebots des Festivals profitiert: «Le Offf» machte im Bieler Farelhaus während drei Tagen verschiedene Facetten des Kinos auf unterhaltsame Art zugänglich, und dies alles kostenlos.

Im Kinder-Workshop für Make-Up-Spezialeffekte zeigte Virginie Pernet, die als Make-Up-Profi für Theater, Film und Werbung arbeitet, wie im Kino getrickst wird. In anderthalb Stunden konnten die Teilnehmenden sich selber verunstalten und dabei viel lernen: Echtes Blut ist viel heller, wird auf der Leinwand aber als zu künstlich wahrgenommen (wie Ketchup), deshalb wird nachgedunkelt. Meistens arbeite man aber an eher subtileren Effekten wie künstlichem Schweiss, Tränen oder müden Augen, so die Maskenbildnerin.

Wem dies zu gruselig war, der hatte spannende Alternativen. Der Trickfilmer Grégory Petitqueux zeigte anhand der «Stop-Motion»-Technik, wie mit einfachen Mitteln eine eindrückliche Illusion von Bewegung entsteht: Ein Objekt wird Bild für Bild geringfügig bewegt, am Schluss entsteht mit zwölf Bildern pro Sekunde eine kurze Animation.

Anita Neuhaus, Projektkoordinatorin von «Le Offf», zeigt sich in einer vorläufigen Bilanz zufrieden mit der ersten Ausgabe. Die Workshops seien gut besucht gewesen, bei den Virtual-Reality-Angeboten musste gar angestanden werden. Der Andrang bei den Kurzfilmen und Filmkonzerten habe hingegen noch nicht ganz den Erwartungen entsprochen, hier werde man für eine allfällige zukünftige Ausgabe noch Anpassungen vornehmen.

Die Kinder und Jugendlichen haben engagiert mitgemacht, sei dies aus reinem «Amusement» oder bereits mit erstaunlich klaren Vorstellungen von Berufswünschen vor oder hinter der Kamera. So sieht aktive Kino-Nachwuchsförderung aus.

Sven Weber

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Splitter

Frauen und Autos

Die Preise: 400 Kurzfilme wurden eingereicht, sechs sind ausgewählt und gezeigt worden. Gewonnen hat «Max» von Florence Hugues. Die junge Regisseurin erzählt, gleichzeitig witzig und ernsthaft, wie sich eine junge Automechanikerin als Mädchen in einer Männerdomäne zu behaupten versucht. Die Regisseurin erhielt 3000 Franken. Der Preis des Forums für die Zweisprachigkeit (2000 Franken) ging an Catherine Cosme für ihren Film «Famille».  Raz

Am Ende der Beifall

Der Unterschied: Was unterscheidet den Kinobesuch an einem Festival von einem «normalen» Kinobesuch? Der Beifall am Ende. Es ist immer wieder eine herrliche Erfahrung, wenn das Publikum den Macherinnen und Machern Tribut zollt, indem es beim Abspann klatscht. Das sieht und hört man sonst fast nie, umso schöner, wenn es passiert. Man spürt: Im Saal sind Menschen, die die Filmkunst wertschätzen. Sd

E, F oder G?

Die Verwirrung: Jedes Ticket gehört zu einem bestimmten Platz. Doch diesen zu finden, wurde im Rex 1 immer wieder zu einem Runnig Gag. Die Buchstaben am Anfang der Reihe sind schwierig zu lesen, so dass regelmässige Verwirrung herrschte. Ist das jetzt Reihe E, F oder G? Doch Unruhe brach nie aus. Das äusserst freundliche Personal behielt stets die Übersicht und geleitete jeden Gast zu seinem Platz. sd

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«Wir sind
 keine Paparazzi»

Vincent Adatte wird auch «Le professeur du cinéma» genannt und sorgt seit den Festivalanfängen für die Moderation der Podien.

Vincent Adatte, nie sieht man Sie mit Notizzetteln. Wie schaffen Sie es, sich die Unmenge an Daten und Filmtiteln zu merken?

Vincent Adatte: Das ist für mich eine Art Spiel. Am Vorabend schreibe ich mir sehr viel auf. Anschliessend reduziere und kürze ich – bis nur noch wenige Stichworte übrig sind. Diese sind dann quasi meine Leitplanken. Ich schreibe immer von Hand, weil ich glaube, dass dies mein Gedächtnis aktiviert. Ohne Notizen auf die Bühne zu gehen, erlaubt mir, für die Gäste und das Unerwartete offen zu bleiben und spontan reagieren zu können.

Ein ausgebuchter Saal, vor Ihnen die Stars des französischen Films. Haben Sie noch Lampenfieber?

Ich hatte, wie jeder andere auch, Lampenfieber in meinen Anfängen. Heute ist alles nur noch die reine Freude: Ich freue mich, dem Publikum meine Leidenschaft für das Kino zu vermitteln, ich freue mich auf die Begegnung mit den Filmschaffenden und ich freue mich zu spüren, wenn ein voller Kinosaal in Schwingung gerät.

Welches war bislang Ihre schönste Begegnung am Festival?

Es waren so viele! Die Gebrüder Dardenne zum Beispiel, als sie erzählten, wie es ist, als Duo zu drehen. Oder wenn Ursula Meier oder Arnaud Desplechin ihre Herangehensweisen reflektieren und wir das Gefühl haben, ihnen beim Nachdenken zuhören zu können. Sagen wir es so: Ein Geschenk ist es jedes Mal, wenn ein Gast nicht vorgefertigte Sätze vorträgt, sondern persönlich wird.

Gab es Situationen, die Ihnen unangenehm waren?

Ja, immer dann, wenn viele Zuschauerinnen und Zuschauer den Saal verlassen, sobald der Abspann läuft. In diesen Momenten kann ich nicht anders, als mich in den Gast hinein zu versetzen. Mir scheint aber, dass das Publikum immer öfter sitzen bleibt.

Haben Sie bei Ihren Interviews immer freie Hand oder gibt es Vorgaben?

Ich hatte noch nie Druck von irgendjemandem! Ich vermeide aber alle Fragen über das Privatleben der Stars – es sei denn, die Gäste sprechen dieses selber an. Wichtig ist mir: Wir sind keine Paparazzi, wir sind am FFFH. Und hier wird über das Kino gesprochen. Interview: Sven Weber und Raphael Amstutz

Info: Vincent Adatte ist Drehbuchautor, Filmjournalist und Mitbegründer der «Zauberlaterne».

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