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Berlin

Merkel und Scholz verteidigen die Bilanz ihrer Regierung

Die Koalition mit den Unionsparteien ist bei den deutschen Sozialdemokraten umstritten. Dennoch sei man «arbeitsfähig», betont Kanzlerin Angela Merkel.

Einigkeit trotz atmosphärischer Störungen: Scholz und Merkel bei der gestrigen Kabinettssitzung. Bild: Keystone

Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) haben den Willen der Koalition zur Weiterarbeit unterstrichen – ungeachtet der Spekulationen über ein vorzeitiges Ende des Bündnisses.

Merkel sagte mit Blick auf die Halbzeitbilanz der Regierung, von 300 geplanten grossen Massnahmen seien zwei Drittel vollendet oder auf den Weg gebracht worden. «Das zeigt, dass wir arbeitsfähig und arbeitswillig sind.»

Zuletzt gab es unter anderem wegen des Streits um die sogenannte Grundrente, die verhindern soll, dass Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet, aber wenig verdient haben, im Alter Sozialhilfe beziehen müssen, Spekulationen über ein Aus der Koalition noch vor dem Ende der Legislaturperiode im Herbst 2021. Eine positive Zwischenbilanz gilt als eine wesentliche Grundlage für den Fortbestand des Bündnisses von CDU/CSU und SPD. Sie war auf Betreiben der SPD in den Koalitionsvertrag aufgenommen worden, gestern befasste sich das Kabinett damit.

Scholz sieht vieles erreicht

Finanzminister Olaf Scholz sagte nun bei der Übergabe des Jahresgutachtens der «Wirtschaftsweisen», eines Gremiums von Ökonomen, im Kanzleramt, die festgeschriebene Bestandsaufnahme zur Halbzeit habe wesentlich zum schnellen Abarbeiten der Vorhaben beigetragen.

Weder Scholz noch Merkel gingen auf den Koalitionsstreit um die Grundrente ein. In der Halbzeitbilanz steht die Grundrente unter «Was wir noch vorhaben». Zum Streitpunkt, ob die Bedürftigkeit der Bezieher geprüft werden soll, heisst es nun: «Die Grundrente soll zielgenau sein und denen zugutekommen, die sie brauchen.»

Scholz hob «grosse Fortschritte» bei der sozialen Sicherung, der Familienpolitik sowie beim Thema Wohnen und Mieten hervor. Es sei aber «noch was zu tun». Er nannte den Abbau von sachgrundlosen Befristungen bei Arbeitsverträgen. Es gehe darum, den Strukturwandel zu meistern.

Der Finanzminister nannte ähnlich wie die Kanzlerin den Ausbau der Elektromobilität und erneuerbarer Energien sowie die Digitalisierung als Zukunftsaufgaben. In Koalitionskreisen heisst es, noch wesentlich wichtiger als eine rückblickende Bestandsaufnahme werde es sein, Zukunftsprojekte für die Zeit bis zur regulären Bundestagswahl im Herbst 2021 in Angriff zu nehmen. Die Kanzlerin sagte denn auch, die Koalition investiere in die Zukunft. Auch sie wies auf die Förderung von Familien und auf Wohnungsbaupakete hin.

Auch in der 84-seitigen Halbzeitbilanz signalisierte die grosse Koalition in der Einleitung, dass sie weitermachen will: «Zusammen mit den Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD haben wir viel erreicht und umgesetzt – aber es bleibt auch noch viel zu tun.»

Sozialer Zusammenhalt bedroht

Die Bestandsaufnahme orientiert sich an den Kapiteln des Koalitionsvertrages und listet alle Vorhaben auf, die bis Anfang November 2019 in Kraft getreten sind oder sich im parlamentarischen Verfahren befinden. Zugleich wird jeweils angegeben, «was wir noch vorhaben» – in Bildung, Forschung und Digitalisierung etwa, bei der Integration, bei bezahlbarem Wohnen oder zum Zusammenhalt der Gesellschaft. Zum letztgenannten Punkt heisst es: «Wir leben in einer Zeit, in der die politischen und gesellschaftlichen Fliehkräfte zunehmen. Der Ausgleich unterschiedlicher Interessen und die in einer Demokratie unabdingbare Bereitschaft zum Kompromiss verlieren an Akzeptanz». Die SPD will vom 6. bis 8. Dezember auf einem Parteitag ihre Spitze neu wählen und über die Zukunft der Koalition entscheiden. sda

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Tritt Merkel ab, ist alles offen

Olaf Scholz hat für den Fall eines vorzeitigen Rücktritts von Angela Merkel ausgeschlossen, dass die Sozialdemokraten CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer zur neuen Kanzlerin wählen würden. Den Koalitionsvertrag habe Merkel unterschrieben, und «wir haben vereinbart, dass wir Frau Merkel zur Kanzlerin wählen, und nicht irgendjemand anderes», sagte Scholz, wie der «Spiegel» berichtete. «Und deshalb ist jedem klar, dass diese Vereinbarung jetzt nicht einfach auf eine andere Person übertragen werden kann», betonte der Vizekanzler in einem von dem Magazin moderierten Streitgespräch der zwei verbliebenen Teams im Rennen um den SPD-Vorsitz. Scholz tritt dabei gemeinsam mit der Brandenburgerin Klara Geywitz an. Daneben bewerben sich der frühere nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans und die baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Saskia Esken. Geywitz sieht die SPD unter der Führung ihres Teams auch auf rasche Neuwahlen vorbereitet. Kramp-Karrenbauer sei bekannt dafür, «dass sie durchaus mal überraschende Entscheidungen fällt». Insofern müsse die SPD nach dem Parteitag «jederzeit in der Lage sein muss, einen Bundestagswahlkampf zu führen». sda

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