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La Paz

Freudentaumel und Machtvakuum

Nach dem Rücktritt von Präsident Evo Morales steht Bolivien ohne Regierung da. In der Nacht auf gestern kam es erneut zu Gewalt und Plünderungen.

Jubel über den Rücktritt: Bürger feiern in der Hauptstadt La Paz. Bild: Keystone

Militante Demonstranten haben in Boliviens Hauptstadt La Paz Gebäude in Brand gesetzt und Geschäfte geplündert. Damit ist das Land auch nach dem Rücktritt von Präsident Evo Morales am Sonntag nicht zur Ruhe gekommen.

Neben dem Staatschef reichten auch der Vizepräsident, die Präsidentin des Senats und der Präsident der Abgeordnetenkammer ihre Rücktritte ein, die nach der Verfassung eigentlich die Amtsgeschäfte übernehmen müssten. Lediglich die zweite Vizepräsidentin des Senats, Jeanine Áñez, erklärte sich im Fernsehsender Unitel bereit, die Präsidentschaft vorübergehend zu übernehmen und Neuwahlen anzuberaumen.

Morales war gestürzt, nachdem er auch den Rückhalt der Armee und der Polizei verloren hatte. Zuvor hatte die Organisation Amerikanischer Staaten Neuwahlen empfohlen, weil sie bei der Präsidentenwahl am 20. Oktober nach eigenen Angaben ernste Unregelmässigkeiten festgestellt hatte. Nachdem der linksgerichtete Präsident am Sonntag nach wochenlangen Protesten seinen Rücktritt erklärt hatte, strömten in La Paz tausende Menschen auf die Strassen und feierten.

Doch es blieb nicht friedlich: Wie örtliche Medien berichteten, wurden in La Paz sowie im nahegelegenen El Alto unter anderem Busse sowie die Häuser mehrerer prominenter Gegner des linksgerichteten Ex-Staatschefs in Brand gesetzt. In beiden Städten patrouillierten später Militäreinheiten.

Mexiko bietet Morales Asyl an

20 bolivianische Regierungsvertreter und Abgeordnete suchten Zuflucht in der mexikanischen Botschaft in La Paz. Mexiko bot Morales Asyl an.

Seit seiner erstmaligen Wahl vor fast 14 Jahren hat der erste indigene Präsident dem Armenhaus Südamerikas eine lange Zeit der politischen Stabilität und der wirtschaftlichen Entwicklung beschert. Morales sorgte dafür, dass die satten Gewinne aus der Gas- und Lithium-Förderung grösstenteils im Land blieben und auch der indigenen Bevölkerungsmehrheit zugutekamen. Um sich seinen Traum zu erfüllen und bis zur 200-Jahr-Feier der Unabhängigkeit 2025 im Amt zu bleiben, überspannte er den Bogen allerdings.

Sein stärkster Gegenkandidat bei der Wahl, der Ex-Präsident Carlos Mesa, twitterte, der Rücktritt des Präsidenten bedeute ein «Ende der Tyrannei». Oppositionsführer Luis Fernando Camacho aus der wirtschaftsstarken Region Santa Cruz im Osten des Landes rief seine Anhänger dazu auf, den Druck auf der Strasse aufrecht zu erhalten.

Morales und seine Verbündeten in der Region sprachen von einem Putsch. «Mesa und Camacho, Unterdrücker und Verschwörer, werden als Rassisten und Putschisten in die Geschichte eingehen. Sie sollten ihre Verantwortung wahrnehmen und das Land befrieden sowie die politische Stabilität und das friedliche Zusammenleben unseres Volkes garantieren», schrieb Morales gestern auf Twitter.

Einige von Morales’ Verbündeten in Lateinamerika bezeichneten die Wende der Ereignisse ebenfalls als Putsch, darunter der venezolanische Präsident Nicolas Maduro und der designierte argentinische Präsident Alberto Fernandez.

Hilfsangebot aus der Schweiz

UNO-Generalsekretär António Guterres äusserte sich «tief besorgt» und rief zum Gewaltverzicht auf. Die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini mahnte die Konfliktparteien zu «Zurückhaltung und Verantwortung», damit das Land friedlich zu «glaubwürdigen» demokratischen Neuwahlen geführt werden könne.

Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) teilte gestern mit, es beobachte die jüngsten politischen Entwicklungen in Bolivien mit Sorge. Das EDA appellierte an alle Parteien, auf Gewalt zu verzichten, und signalisierte Bereitschaft, Bolivien bei der Vorbereitung der Neuwahlen zu unterstützen.

Die in Basel domizilierte, regierungsfreundliche Vereinigung Alba Suiza verurteilte in einer Mitteilung den «Staatsstreich der rechtskonservativen Opposition gegen die legitime Regierung Morales». Sie rief alle demokratischen Kräfte auf, das Resultat der Wahlen vom 20. Oktober zu respektieren.

Wiederwahl mit juristischem Kniff

Morales regierte Bolivien seit 2006. Der 60-Jährige frühere Koka-Bauer war der erste indigene Staatschef des Andenlandes und der dienstälteste Präsident Südamerikas. Er hatte sich zum dritten Mal zur Wiederwahl gestellt, obwohl die Verfassung höchstens eine Wiederwahl vorsieht. Morales überwand diese Hürde mit Hilfe der Justiz, die die Begrenzung der Amtszeiten als Verletzung seiner Menschenrechte bezeichnete.

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Ein selbstverschuldeter Sturz, aber kein Putsch

In seinen fast 14 Jahren Amtszeit hat Evo Morales Bolivien viel gegeben. Er hat die Armut bekämpft. Vor allem aber hat er den Indigenen vermittelt, sich endlich als gleichberechtigte Bürgerinnen und Bürger zu begreifen. Das fehlt immer noch in vielen Ländern Lateinamerikas. Auch darum war es sehr gut, dass es diesen Präsidenten Morales gegeben hat.

Völlig absurd aber ist es, jetzt von einem Putsch zu sprechen, so wie es Morales und linke Politiker tun. Morales hat vielmehr dem Druck der Strasse nachgegeben. Dieser Druck war berechtigt. Denn ganz offensichtlich war Morales den Verführungen der Macht erlegen, hatte die Verfassung gebeugt und zuletzt bei den Wahlen geschummelt. Es ist ein unwürdiger Abgang, aber Morales ist selbst schuld.

Matthias Knecht Blattmacher
mknecht@bielertagblatt.ch

Stichwörter: La Paz, Evo Morales, Bolivien

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