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Hongkong/Xinjiang

Doppelte Ohrfeige für Peking

Bei den Regionalwahlen in Hongkong haben prodemokratische Kandidaten einen Erdrutschsieg erzielt. Zugleich wird in der uigurischen Provinz die Repression durch Peking aufgedeckt.

Jetzt erst recht: Neu gewählte Mitglieder des Bezirksrats haben gestern Pro-Demokratie-Slogans skandiert. Bild: Keystone

Nach vorläufigen Ergebnissen von gestern haben in Hongkong pro-demokratische Parteien dem Regierungsblock die meisten Bezirksratsposten abgenommen. Demnach errangen die Demokraten mindestens 388 der 452 Sitze. Bei der vorangegangen Wahl 2015 hatte das regierungstreue und fest zu Peking haltende Lager noch drei Viertel der Mandate geholt und seither alle 18 Bezirksräte kontrolliert. 17 davon gingen nun an das Demokratielager.

Mit einer Rekordwahlbeteiligung von mehr als 71 Prozent unterstrichen die Hongkonger ihren Wunsch nach mehr Demokratie. Vor vier Jahren hatte die Quote bei 47 Prozent gelegen – auch das war damals bereits ein rekordhoher Wert.

Klare Botschaft an Peking

Das Wahlergebnis bedeutet eine klare Botschaft an Peking und eine Schlappe für die von der Kommunistischen Partei protegierte Regierungschefin Carrie Lam. Die Abstimmung galt als Referendum darüber, ob die schweigende Mehrheit in der Millionenmetropole nach fast sechs Monaten des Protests noch hinter der Anti-Regierungs-Bewegung steht.

Regierungschefin Lam kündigte gestern an, «demütig und ernsthaft» über den Ausgang des Votums nachzudenken. Von unmittelbaren Konsequenzen war jedoch nicht die Rede. Die Protestbewegung fordert seit Monaten Lams Rücktritt und dürfte sich durch das eindeutige Wahlergebnis ermutigt sehen.

Keine wirkliche Macht

Dennoch haben die Regionalwahlen eher symbolische Bedeutung, da die Bezirksräte der Stadt nicht über Macht verfügen. Sie können weder Gesetze verabschieden noch sonst nennenswerte Entscheidungen treffen. Die Bezirksräte beraten die Regierung und machen Vorschläge, wie sich die Lebensqualität in den Stadtteilen verbessern lässt.

Das bei der Wahl dominierende Lager erhält auch Sitze im 1200-köpfigen Wahlkomitee, das alle fünf Jahre den Hongkonger Regierungschef wählt. In dem Gremium ist aber sichergestellt, dass am Ende stets der von Peking favorisierte Kandidat gewinnt.

Mehr als 1000 Kandidaten waren bei der Lokalwahl angetreten. Gleich am Sonntagmorgen strömten auffällig viele junge Wähler in die Wahllokale. An den Tagen direkt vor der Wahl war es ruhig geblieben in Hongkong, nachdem es in den Wochen zuvor immer gewalttätigere Zusammenstösse zwischen Polizei und radikalen Aktivisten gegeben hatte. sda

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"China Cables" enthüllen Verfolgung von Uiguren

Gehirnwäsche statt Berufsbildung: Geheime Dokumente der Kommunistischen Partei enthüllen die systematische Verfolgung der Uiguren und Anleitungen zur massenhaften Internierung der muslimischen Minderheit in Nordwestchina.

Die "China Cables", die das Konsortium Investigativer Journalisten (ICIJ) veröffentliche, geben einen seltenen Einblick in die Unterdrückungsmaschinerie. Sie zeigen, dass die in Peking als "Weiterbildungseinrichtungen" bezeichneten Lager in Wirklichkeit streng bewachte Einrichtungen zur Umerziehung sind. Auch widerlegen sie wiederholte Aussagen der chinesischen Regierung, wonach der Aufenthalt darin freiwillig sei. Nach Schätzungen von Menschenrechtlern sind Hunderttausende bis eine Million Uiguren in solche Umerziehungslager gesteckt worden - in der Regel für mindestens ein Jahr, wie aus den geheimen Dokumenten hervorgeht.

Die Unterlagen zeigen zudem, wie Uiguren gezielt überwacht und eine grosse Datenbank alle möglichen Informationen sammelt, um Verdächtige zu ermitteln. Im Ausland nutzt China seine Botschaften und Konsulate, um Uiguren zu bespitzeln. Wenn Verdächtigte wieder nach China einreisten, würden sie interniert.

Die Dokumente aus den Jahren 2017 und 2018 wurden dem Konsortium von Exil-Uiguren zugespielt. Weltweit haben mehr als 75 Journalisten von 17 Medien die Papiere ausgewertet. Am Montag berichteten in der Schweiz etwa Zeitungen von Tamedia über die Recherche.

Mehrere Dokumente sind vom damaligen Vize-Parteichef in Xinjiang, Zhu Hailun, unterzeichnet. Die "China Cables" zeichnen mit Regierungsunterlagen, die die "New York Times" vor gut einer Woche veröffentlichte, das Bild eines Überwachungsstaates in Xinjiang.

Schätzungsweise zehn Millionen Uiguren leben in China, die meisten in Xinjiang . Sie sind ethnisch mit den Türken verwandt und fühlen sich von den herrschenden Han-Chinesen wirtschaftlich, politisch und kulturell unterdrückt.

Nach ihrer Machtübernahme 1949 hatten die Kommunisten das frühere Ostturkestan China einverleibt. Die Regierung in Peking wirft uigurischen Gruppen Separatismus und Terrorismus vor.

Das Vorgehen gegen die Volksgruppe hat sich unter Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping noch verschärft. Nach einem Terroranschlag 2014 mit 31 Toten in einem Bahnhof forderte der Präsident nach Angaben der "New York Times" in einer bislang unveröffentlichten Rede, "im Kampf gegen Terrorismus, Infiltration und Separatismus" die "Organe der Diktatur" zu nutzen und "absolut keine Gnade zu zeigen".

Zu den "China Cables" gehören eine Anleitung zum Betrieb von Lagern, vier Bekanntmachungen zu der Überwachungsdatenbank sowie das Urteil gegen einen Uiguren. Auf Anfrage der "Süddeutschen Zeitung" verwies Chinas Botschaft in Berlin auf Verlautbarungen, wonach es sich bei den Lagern um Massnahmen zur "Terrorbekämpfung und Deradikalisierung sowie zur beruflichen Aus- und Weiterbildung" handle.

In einer "Stellungnahme zur weiteren Verstärkung und Standardisierung von Erziehungs- und Ausbildungszentren für berufliche Fertigkeiten" der Rechtskommission von Xinjiang von 2018 werden laut "Süddeutsche" mehr als zwei Dutzend Regeln für den Betrieb der Lager aufgelistet. Unter anderem: "Es dürfen auf keinen Fall Ausbrüche vorkommen." Alle Zimmer und Gänge müssten streng abgesperrt werden.

Ausserdem wird nach Angaben des Konsortiums dargelegt, wie Internierte beim Toilettengang, Schlafen und Unterricht zu überwachen seien. Auch von "Züchtigung" und "Methoden der zwangsweisen Indoktrination" ist die Rede. Ein "Punktesystem" gebe Strafen oder Belohnungen vor.

In vier Dokumenten von 2017 werde ausgeführt, wie Big Data einer "Integrationsplattform für gemeinsame Einsätze" genutzt werden. In diese Überwachungsdatenbank fliessen Informationen aus verschiedenen Quellen ein: Verhöre, Überwachungssoftware und Material der weit verbreiteten Überwachungskameras mit Gesichtserkennung.

Die Plattform ermittle, wer verdächtig ist und wer nicht. Die "China Cables" belegen auch, dass die Behörden in einer einzigen Woche im Juni 2017 insgesamt 15'638 Uiguren festgenommen und in Lager gesteckt hätten.

Um die Datenbank zu füllen, werden auch Mitarbeiter in Dörfer und zu Familien geschickt, um herauszufinden, wie die Menschen über die Partei denken. Dazu sollen "Spezialgruppen (...) in die Haushalte eindringen, jede Person aufsuchen, sie befragen, Erkundigungen über sie einziehen und sie gründlich überprüfen", zitiert der deutsche Sender NDR.

Einwohner sollen in "Gefahrenkategorien" eingeteilt werden: "Zu problematischen Personen, die sich vor Ort befinden, ist eine Rückmeldung über ergriffene Massnahmen zu geben; zu problematischen Personen, die sich nicht vor Ort befinden, ist anzugeben, wo sie sich befinden, konkret, ob sie sich im Ausland, ausserhalb von Xinjiang oder innerhalb von Xinjiang befinden, ausserdem sind die Verwaltungs- und Kontrollmassnahmen anzugeben, die gegen sie ergriffen wurden." sda

Stichwörter: Hongkong, China Cables

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