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Österreich

Wien versucht den Neuanfang

Die Parteichefs der ÖVP und der Grünen verkünden einen Durchbruch bei den Koalitionsverhandlungen.

Zwei, die eigentlich vieles trennt: Sebastian Kurz und sein künftiger Vizekanzler Werner Kogler. keystone

Peter Münch, Wien

Die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) und die Grünen haben bei ihren Koalitionsverhandlungen einen Durchbruch geschafft. Die Parteichefs Sebastian Kurz und Werner Kogler kündigten gestern den erfolgreichen Abschluss ihrer Gespräche bis Mitte der Woche an.

Die Grünen hatten kurz zuvor die Einladung zu einem Bundeskongress verschickt, der den Statuten der Partei zufolge über ein Koalitionsabkommen und über die Ministerliste abstimmen muss. Bei der ÖVP braucht Kurz keine offizielle Zustimmung der Parteigremien. Ein türkis-grünes Bündnis auf Bundesebene wäre ein Novum in der österreichischen Geschichte. Für die Grünen wäre es die erste Beteiligung an einer nationalen Regierung.

Komfortable Mehrheit

Die Grünen verschickten die Einladung zum Kongress noch am Samstag um 23.50 Uhr. Vorgeschrieben ist eine Vorlaufzeit von einer Woche, die 276 Delegierten sollen nun am Samstag, 4. Januar, in Salzburg zusammenkommen. Ein positives Votum des Gremiums gilt als sicher. Bedeutsam wird jedoch die Höhe der Zustimmung sein, weil dies Aufschluss darüber gibt, wie geschlossen und wie verlässlich die früher bisweilen sehr heterogenen Grünen in die Regierung eintreten. Im Parlament mit insgesamt 183 Sitzen verfügen die beiden Parteien seit der Wahl vom 29. September mit 71 Sitzen für die ÖVP und 26 Mandaten für die Grünen über eine recht komfortable Mehrheit.

Der Einladung zum Grünen-Bundeskongress wurden noch keine weiteren Unterlagen beigefügt, weil zumindest Details des Koalitionsabkommens noch zu klären sind. Deshalb wird in den nächsten Tagen weiterverhandelt. Mit einer offiziellen Verkündigung der Einigung wird am Donnerstag gerechnet. Vorbehaltlich einer Zustimmung des Grünen-Kongresses könnte die neue Regierung am 7. Januar vereidigt werden. Gut sieben Monate nach Einsetzung einer Expertenregierung unter der Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein hätte Österreich dann wieder eine gewählte Regierung. Die vorherige Bundesregierung von ÖVP und FPÖ war nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos gescheitert .

Kurz bleibt Kanzler

Eine Regierung mit den Grünen bedeutet auch für den alten und neuen Bundeskanzler Kurz einen Neuanfang. Beide Parteiführungen hatten von Beginn der Verhandlungen an darauf hingewiesen, dass ihre Parteien aus verschiedenen Welten stammen. Kreative Lösungen werden vor allem bei Klimapolitik und Migration nötig sein. Kurz und Kogler teilten nun mit, dass in den vergangenen Tagen wesentliche Kapitel hätten erledigt werden können. Einzelheiten wurden jedoch nicht mitgeteilt. Keine Informationen gab es zudem über die Aufteilung der Ministerien. Gerüchten zufolge soll Grünen-Chef Kogler nicht nur das Vizekanzleramt vom früheren FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache erben, sondern auch dessen Zuständigkeit für den Sport. Als Herzstück der Grünen-Regierungsbeteiligung gilt ein Gross-Ressort für Umwelt und Verkehr.

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ÖVP und Grüne im Umfragehoch

Die aktuellen Umfragen dürften Kogler und Kurz in ihrem Kurs bestärken. ÖVP und Grüne legten in der «Sonntagsfrage» zuletzt zu, die Konservativen könnten künftig sogar die 40-Prozent-Hürde überspringen. Ein Bündnis von ÖVP und Grünen ist mit einer Zustimmung von 28 Prozent die beliebteste Koalitionsoption in der Alpenrepublik.

Anders als die beiden künftigen Regierungsparteien konnten die Sozialdemokraten nicht von der Affäre um das sogenannte Ibiza-Video, in dem sich der frühere FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache anfällig für Korruption zeigte, profitieren.

Für die SPÖ zahlte es sich nicht aus, dass sie Kurz im Mai per Misstrauensvotum gestürzt hatte. Bei den Neuwahlen im September musste die Partei ebenso wie die Freiheitlichen Verluste hinnehmen. Die Krise der SPÖ hat sich seither mit Niederlagen bei Landtagswahlen zugespitzt. Die SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner ist intern umstritten und gilt als Parteichefin auf Abruf. sda/mic

Stichwörter: Österreich, ÖVP, Grüne

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