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„Krawattenzwang“

Von Nicht-Fernsehzeiten zu Zeitungszeiten

Im persönlichen Blog berichtet Bernhard Rentsch, Chefredaktor „Bieler Tagblatt“, wöchentlich über Erlebnisse im privaten wie im beruflichen/gesellschaftlichen Leben – dies immer mit einem Augenzwinkern. Heute: Von Nicht-Fernsehzeiten zu Zeitungszeiten.

Bernhard Rentsch: Krawattenzwang
  • Dossier

Unser Medienkonsum hat sich stark verändert, ob wir wollen oder nicht. Die vermeintlich wichtigsten Nachrichten werden uns quasi zeitgleich mit dem Geschehen aufgedrängt. Es passiert immer wieder, dass Entscheide – zum Beispiel bei einem Skirennen, das am TV verfolgt wird – in der Liveübertragung noch bevorstehen, uns das Resultat aber bereits gepusht wird. Ärgerlich. Zur Erklärung: Live ist nicht immer ganz live – bei der Übertragung ist eine Differenz von ein paar Sekunden üblich.

Wohltuend wirkt da das Schild «Fernsehzeiten», das mir kürzlich in einem Aufenthaltsraum einer Gruppenunterkunft aufgefallen ist. Da ist es untersagt, das Gerät vor 18 Uhr einzuschalten. Und wirklich: Alle halten sich daran und nehmen Rücksicht auf die Mitbewohnenden. Und – noch besser: Keiner verpasst etwas.

Es sind solche Block- respektive Verbotszeiten, die unseren Alltag besser strukturieren können. Die «Jederzeit-und-überall-Erreichbarkeit» ist nicht nötig. Unsere Geräte, die ebenfalls wunderbare Speicherfunktionen aufweisen, ermöglichen den Konsum von Nachrichten oder Informationen auch zeitversetzt. Der Hinweis «Handyverbot» im Fitnesscenter ist in zweierlei Hinsicht sinnvoll: Zum einen werden die andern nicht durch überlaute Töne oder Gespräche gestört, zum andern sollen die Trainierenden auch dem Kopf ein kurzes Durchlüften gönnen.

Zurück zu den Fernsehzeiten, die Inspiration für diese Gedanken waren: Die Begrenzung der Nutzungszeiten der Endgeräte aller Art ist nicht nur bei der (Medien-)Erziehung von Kindern und Jugendlichen sinnvoll. Sie ist auch bei Erwachsenen gelegentlich oder immer wieder prüfenswert und nötig. Auch im unendlichen Medienangebot können, sollen und müssen Prioritäten gesetzt werden. Und hier das Plädoyer für die Tageszeitung: Den Konsumenten werden Prioritäten aufgedrängt, das beschränkte Platzangebot und der Druck, sich durch einen Redaktionsschluss zu einem Abschluss zu zwingen, unterstreicht das beschriebene Gefühl des gelegentlichen Offline-Seins, ohne sich selber das Nicht-informiert-sein vorwerfen zu müssen. Neben den laufend konsumierten Sofort-News tut es gut, einmal im Tag den Nachrichtenkonsum etwas unaufgeregter anzugehen. Deshalb: Füllen Sie ihre Nicht-Fernsehzeiten gelegentlich mit Zeitungszeiten. Diese Augenblicke finden wir alle. Zum Beispiel, wenn Sie Ihr Mobilgerät kurz weglegen und ganz einfach nicht erreichbar sind.


brentsch@bielertagblatt.ch

Twitter: @BernhardRentsch

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