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Veranstaltungsreihe

«Es ist die Verlängerung des Menschen»

Was ist eigentlich ein Instrument? Verliert ein altes Instrument an Identität, wenn es moderne Musik spielen «muss»? Solchen Fragen widmet sich in diesem Jahr die Reihe «Montags um Sieben».

Louisa Marxen, Schlagzeugerin, bastelt bisweilen ihre eigenen Instrumente - Ihr Auftritt verspricht auch Humor. Bild: zvg/Christian Henking

Tobias Graden

«It’s kaputt», blieb ihr bloss zu sagen, und das mag vielleicht lustig klingen, aber für Angela Hewitt hatte der kürzliche Vorfall gar nichts Komisches. Die kanadische Pianistin, eine der besten Bach-Interpretinnen der Gegenwart, hatte ihren Flügel verloren. Mitarbeiter einer Transportfirma hatten ihn fallengelassen, das kostbare und seltene Instrument der italienischen Manufaktur Fazioli ging kaputt, unrettbar, nachdem sie fast 20 Jahre mit ihm verbracht hatte. Hewitt war so untröstlich, dass sie erst ein paar Tage alleine trauern musste, bevor sie ihr weltweites Publikum informieren konnte. Sie hoffe, der Flügel sei nun glücklich im Klavierhimmel, schrieb sie, sie habe diesen Flügel angebetet, er sei ihr Gefährte gewesen.

Für Laien erscheint das womöglich übertrieben, wenn eine Künstlerin um ihren Flügel trauert, als sei ihr Lebenspartner gestorben. Aber Musiker können den Schock nachfühlen: «Ein Instrument ist ein Ausdrucksmittel der Seele», kommentierte der Pianist Andrej Hermlin. Und auch wenn Angela Hewitt wieder einen Fazioli-Flügel erhalten wird: Es wird nicht der gleiche sein wie der «verstorbene».

Ein Wechselspiel

Die Episode zeigt: Ein Instrument ist nicht einfach ein Gebrauchsgegenstand wie ein anderer auch. «Das Instrument ist die Verlängerung des Menschen, sein Ausdrucksmittel», sagt Anne Schmid, und Pia Maria schreibt: «Zwischen Spieler und Instrument findet ein Wechselspiel statt. Die Intention geht von der Person zum Instrument und wird im Instrument wieder zurück zur Person.» Die beiden zeichnen verantwortlich für die Veranstaltungsreihe «Montags um Sieben», die nächste Woche startet. In diesem Jahr rücken sie das Instrument in den Vordergrund: «To become an instrument – was Instrumente uns sagen können» lautet das heurige Jahresthema.

Die insgesamt sechs Abende bieten einen breiten Zugang zum Thema. Da ist zum Beispiel der Anlass vom 8. Juni: Rebeka Rusó, Sarah Giger und Conrad Steinmann spielen die Viola da Gamba, die Traversflöte und Blockflöten, historische Instrumente aus der Zeit des Barock um 1700. Sie spielen damit Werke aus dieser Zeit, aber auch moderne Stücke des Berner Komponisten und Cellisten Peter Streiff. Was heisst dies nun für die alten Instrumente? «Geht einem alten Instrument die Identität verloren, wenn neue Musik auf ihnen gespielt wird?», fragt Pia Maria.

Oder da ist Conrad Steinemann, Blockflötist und Aulos-Spieler aus Winterthur. Er beschäftigt sich auch mit der Geschichte von Instrumenten. So hat er eine Aulos-Flöte nachbauen lassen, wie sie zur Zeit der griechischen Klassik aktuell war und ein Stück dafür geschrieben. «Wo kommt ein Instrument her? Was war vorher, was kommt danach? Gibt es einen Endpunkt in der Entwicklung eines Instruments?» Solche Fragen werfe sein Auftritt auf, sagt Anne Schmid.

Aber: Welches war überhaupt das erste Instrument? Ist es die menschliche Stimme? Ist es ein Rhythmus? Ist es der Körper? Für Imre Thormann ist es jedenfalls der menschliche Körper, sein Körper, der zum Instrument wird, zum Mittel des Ausdrucks. Thormann ist Butoh-Tänzer, und in dieser Ausdrucksform verstehe man den Körper als «durchlässige Membran», wie Pia Maria sagt, die sich selber auch diesem Tanz widmet. Ein Butoh-Tänzer bewegt sich darum in einem Spannungsfeld, sein Auftritt vor Publikum ist eine sensible Angelegenheit: Mitbestimmend sind nicht nur seine Intentionen, sondern auch die Energie des Publikums und die Gegebenheiten des Raumes.

Ein Atelier auf Zeit

Diesen Raum bespielen Anne Schmid und Pia Maria noch nicht lange. Nachdem ihnen am vorigen Ort gekündigt worden war, verlegten sie die Veranstaltungsreihe «Montags um Sieben» in einen Raum im Gebäudekomplex an der Alleestrasse 11. Wo früher die Mikron ihre Maschinen fertigte, gibt es nun vielfältige Nutzungen – allerdings nur auf Zeit: In mittlerer Zukunft wird dort eine neue Überbauung erstellt werden. Vorerst aber richten sich hier die beiden Frauen ein: Sie werden noch eine bescheidene Lichtanlage installieren und mit einem Akustiker den Raum so umgestalten, dass der Klang ausgeglichener wird.

Urs Peter Schneider wird dies zu schätzen wissen. Der Bieler Komponist bestreitet den Abend des 2. November und arbeitet an einem Projekt, das er vorerst mit «Voreiliger Nachlass» betitelt. Für die 72-minütige Premiere verwendet er fragmentarisches Material aus seinem Gesamtwerk und übergibt es einem voraussichtlich neunköpfigen Ensemble zur Aufführung. «Er dürfte seine Musiker herausfordern und die Grenzen der Instrumente ausloten», sagt Anne Schmid. Insgesamt geht es in der diesjährigen Reihe aber eher um komponierte Werke, nicht um Improvisation. Bei der Schlagzeugerin Louisa Marxen, welche die Reihe am Montag eröffnet, dürften die Grenzen allerdings fliessend sein: Sie kreiert ihre eigenen Instrumente, ihre Performances erinnern Pia Maria an Dada, «es wird auch humoristisch».

Für die Besucherinnen und Besucher wird’s, sofern sie dies so wählen, auch günstig: Pia Maria und Anne Schmid erheben keinen Eintritt, sondern bitten jeweils um Kollekte. Ihr Programm gestalten sie mit hohem künstlerischen Anspruch, der Besuch aber soll so niederschwellig sein wie möglich. Damit alle, die das wollen, am Ende dieses Jahres besser wissen, was es bedeutet, wenn eine Künstlerin ihr Instrument verliert.

Info: Jeweils 19 Uhr, Atelier Pia Maria, Alleestrasse 11, Biel. Eintritt frei, Kollekte.

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Das Programm

  • 2. März: Das Schlagzeug: Louisa Marxen.
  • 4. Mai: Stimme, Fagott, Cello – eigene Kompositionen: Marianne Schuppe, Marc Kilchenmann, Stefan Thut.
  • 8. Juni: Blockflöte – Viola da Gamba – Traversflöte: Historische Instrumente, Musik um 1700 und 2000. Reka Rusó, Sarah Giger, Conrad Steinmann.
  • 7. September: «Enduring Freedom», der Körper als Instrument: Imre Thormann, Butoh.
  • 2. November: «Voreiliger Nachlass» (Arbeitstitel), Materialsammlung aus Fragmenten in differenzierten Instrumentierungen: Urs Peter Schneider u.a.
  • 7. Dezember: Aulos, Blockflöten, Untertonflöte, Fischiott, Kymbala. Griechenland im Spiegel der Zeiten: Conrad Steinmann. tg

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