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Coronavirus

Ist die Bieler Wirtschaft in Gefahr?

Nicht nur in der Uhrenindustrie würgt das Coronavirus die Absätze ab, zu kämpfen hat auch die Maschinenindustrie: «Man macht keine Geschäfte in China über das Telefon», sagt ein Unternehmer.

Wegen unterbrochener Lieferketten kann die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie nicht mehr wie gewünscht produzieren. Bild: Keystone
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Manuela Schnyder

Das Coronavirus ist auch in Biel angekommen, und zwar mit Folgen nicht nur für die Gesundheit, sondern auch für die Wirtschaft: Im Februar seien Warenausgänge massiv eingebrochen und dies werde auch im März nicht anders sein, sagte Geschäftsführer von der Titoni AG, Daniel Schluep, der «Solothurner Zeitung». Die Grenchner Uhrenfirma hatte am Freitag angekündigt, für ihre Mitarbeiter zweiwöchige Zwangsferien anzuordnen. Zur Zeit versuche man, die Beschäftigung einigermassen aufrecht zu erhalten, beispielsweise indem man verstärkt mechanische Uhrenwerke zusammenbaue, hier hätte man noch einen Nachholbedarf. Sollte sich aber die Situation nicht bis April/Mai bessern, bleibe wohl nur der Schritt in die Kurzarbeit.

Zusammen mit der Tourismusbranche ist die Uhrenindustrie unmittelbar davon betroffen, dass Touristen ausbleiben und in China und anderen Länder die Geschäfte geschlossen sind und die Leute zuhause bleiben, also nicht konsumieren. Doch nun werden allmählich auch Folgen für andere Industrien spürbar, so beispielsweise für die im Raum Biel stark vertretene Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM). Wegen unterbrochenen Lieferketten können diese nicht mehr wie gewünscht produzieren oder neue Produkte in Asien einführen, weil ihre Mitarbeiter nicht mehr einreisen dürfen.

Ohne Handschlag läuft nichts

«Wir wissen, dass regionale Unternehmen mit Absatzmarkt China derzeit von sinkenden Absätzen betroffen sind», bestätigt auch der Geschäftsführer der Wirtschaftskammer Biel-Seeland Gilbert Hürsch. Wie viele Unternehmer im Raum Biel betroffen sind, darüber hätten sie allerdings noch keine abschliessenden Zahlen. Der Haupttreiber sei die Epidemie derzeit zwar noch nicht, doch man gehe davon aus, dass sich die Situation verschärfen werde, da die Ansteckungsspitze ja erst im Frühsommer erreicht werden soll. Dieser Ansicht ist auch René Stössel, Geschäftsführer der Bieler Posalux AG. Das weltweit tätige Unternehmen ist in der Mikrobearbeitung tätig und bietet Lösungen für High-Tech-Geräte an, mit Niederlassungen in Taiwan und Korea sowie Vertretungen in China. Mit den Waren auf den letzten Containerschiffen aus China hätten sich die Unternehmen noch eingedeckt, doch nun schwinden allmählich die Lager bei gewissen Unternehmen und die Engpässe würden sichtbar. Das führe zu einem Rattenschwanz, weil die Produktionskette teilweise lang sei: Könne eine Firma, die Steuerungen herstellt, wegen Lieferverzögerungen bei einem Elektronikteil nicht ausliefern, so könne auch der Hersteller von Maschinenkomponenten nicht ausliefern, wenn dieser Steuerungen für seine Maschinen benötige.

Für den Unternehmer haben aber vor allem auch die Reisebeschränkungen wirtschaftliche Folgen: «Man macht keine Geschäfte in China über das Telefon», sagt Stössel. Gerade in Asien sei der direkte Kontakt zu Kunden enorm wichtig, ohne diesen würden die dort ansässigen Unternehmen keine Verträge abschliessen. Die Reiseverbote führten nun dazu, dass Projekte sich verzögerten und Produkte nicht wie geplant eingeführt werden könnten.

Werke in China angelaufen

Einen unabsehbaren Einbruch für die Industrie sieht René Stössel aber nicht, insofern in China die zuletzt rückläufige Infektionsrate nicht wieder steigt. Die meisten Werke hätten ihren Betrieb nun wieder aufgenommen, auch wenn nicht gleich mit voller Kapazität. So etwa ein Werk in Zhuhai, das zur Technologiegruppe Harting gehört. Seit dem 19. Februar sind dort die Wanderarbeiter grösstenteils wieder zurückgekehrt. Die Produktion laufe fast wieder auf normalem Niveau, sagt Susanne Giehl, Geschäftsführerin der Harting AG in Biel. Das Unternehmen sei daher nur vereinzelt mit Lieferverzögerungen konfrontiert gewesen, die man habe überbrücken können. Allerdings seien die Lieferungen nach China derzeit teuer und dauerten in der Regel eine Woche länger als normal, während Lieferungen aus China nun keine zeitlichen Verzögerungen mehr hätten.

Wie stark sich die Epidemie auf die landesweite MEM-Industrie mit einem Exportanteil von rund 80 Prozent durchschlagen wird, darüber gibt es noch keine aussagekräftigen Zahlen. Das könne man erst nach dem ersten Quartal quantifizieren, sagt der Kommunikationschef vom Branchenverband Swissmem. Erschwerend komme aber hinzu, dass sich wegen des Coronavirus der Schweizer Franken gegenüber dem Euro aufgewertet habe. Das belaste unmittelbar die Wettbewerbsfähigkeit in den wichtigsten Absatzmärkten der MEM-Branche.

Bund entschädigt Kurzarbeit

Was die Uhrenindustrie betrifft, dürfte die Firma Titoni AG wohl nicht das einzige Unternehmen bleiben, das sich Kurzarbeit überlegt. Er könne sich vorstellen, dass vor allem auch die Zulieferer mit den sinkenden Absätzen zu kämpfen hätten, sagt Jean-Daniel Pasche vom Verband der Schweizerischen Uhrenindustrie. Wie stark das die Unternehmen belaste, das hänge aber wesentlich von der Dauer und dem Umfang der Epidemie ab. In den Exportzahlen vom Januar seien die Auswirkungen des Coronavirus nicht ersichtlich, diese würden sich dann im Februar und März manifestieren. Deshalb könne man noch keine Einschätzung der Lage machen.

Wie das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) letzten Samstag mitteilte, können Unternehmen wegen des Coronavirus Kurzarbeitsentschädigung beantragen, beispielsweise wenn Mitarbeiter nicht arbeiten können, weil sie unter Quarantäne stehen. Aber auch aus wirtschaftlichen, wenn Nachfragerückgänge auf Infizierungsängste zurückzuführen sind. Diese halten sich bislang in Grenzen: Insgesamt vier Gastro- und Detailhandelsunternehmen aus der Tourismusregion Berner Oberland haben gemäss dem Amt für Arbeitslosenversicherung (ALV) solche Anträge gestellt und auch bewilligt bekommen.

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