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Serienkritik

"Carnival Row": Von Feen, Monstern und Menschen

"Carnival Row" ist voller Feen und Monster – gleichzeitig ist die Serie aber in der Wirklichkeit verankert und bietet Gesellschaftskritik.

Sind dem Geheimnis um die Carnival Row auf der Spur: Vignette (Cara Delevingne) und Philo (Orlando Bloom).

von Roger Duft

Fernsehen ist das neue Kino. Dieser Satz fällt nicht erst seit Beginn der Corona-Krise immer mal wieder. Klar, aktuell bleibt dem geneigten Filmfan nur, seine Sucht nach fiktiver Unterhaltung vorwiegend über die Mattscheibe zu stillen. Aber auch wenn die grossen Leinwände in ein paar Wochen wieder bespielt werden dürfen, so bleibt doch, und vielleicht jetzt umso mehr, die Erkenntnis, dass die TV-Serien den heutigen Grossleinwand-Werken oft ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen sind. Kein Wunder, wurde in vielen Wohnzimmern in den letzten Jahren technisch aufgerüstet, mit grossflächigen Bildschirmen oder Leinwänden und donnernden Sound-Anlagen.

Bei der Amazon-Serie «Carnival Row» wird man in diesem Eindruck in vielfacher Hinsicht bestärkt. Und natürlich hilft es, dass die acht Episoden im üppigen Cinemascope-Format daherkommen. Das gläserne Rechteck der Mattscheibe wird so zwar durch fette schwarze Balken arg geschmälert. Bei den heute üblichen Grössen von Fernsehern ist dies aber kein Manko mehr. Umso mehr profitiert die Serie davon, dass man sich dank des Breitformats erst recht in cineastischen Gefilden wähnt.

«Carnival Row» dreht sich vordergründig um die junge Fee Vignette Stonemoss (Cara Delevingne), die ihre mystische Heimat Tirnanoc fluchtartig verlassen muss, als die magischen Wesen vom skrupellosen Pakt, einer wild mordenden Gruppe von Menschen, angegriffen werden. Nach einer Odyssee auf einem Schiff strandet Vignette in The Burgue, einem Stadt-Staat, der von allerlei Kreaturen bewohnt wird. Die reichen Menschen, die in The Burgue das Sagen haben, begegnen den Faunen, Feen und Zentauren seit Jahren mit offenem Rassismus und verdingen sie zu einem Leben in Armut, Sklavenschaft und Unterdrückung. Als in der titelgebenden Carnival Row, wo die meisten nicht-menschlichen Kreaturen ihr Dasein fristen, mehrere grausame Morde geschehen, ruft dies Polizeiinspektor Lycroft «Philo» Philostrate (Orlando Bloom) auf den Plan. Und auch Vignette gerät immer mehr in den düsteren Strudel der Ereignisse. Sie und Philo verbindet eine ganz besondere Vergangenheit und ein Geheimnis, das eine Schlüsselrolle bei der Aufklärung der Verbrechen spielen könnte. Im Kampf gegen die Schattenmacht, die das Monster, das hinter den Morden steckt, befehligt, geraten Vignette, Philo und viele weitere Bewohner von The Burgue in akute Lebensgefahr.

Mit «Carnival Row» zeigen die produzierenden Amazon Studios eindrücklich, dass auch mit einem im Gegensatz zu Kinoproduktionen bescheidenen Budget mit der grossen Kelle angerichtet werden kann. Die erste Episode beginnt, wie so oft bei Pilotfilmen zu neuen Serien, mit ein paar ganz gross angelegten Actionszenen, angereichert mit einer Menge visueller Effekte. Später weicht der anfängliche Bombast fast in jedem Fall, kostenbedingt, einer eher auf die Schauspieler und wiederkehrende Schauplätze bezogenen Erzählweise. Dass dies aber kein Abstrich ist, beweist die sorgfältig ausgearbeitete, vielschichtige Handlung, die die Macher René Echevarria («Star Trek: Deep Space Nine») und Travis Beacham («Pacific Rim») zwar nicht immer mit viel Tempo, aber dafür mit umso mehr Gehalt servieren.

The Burgue ist ein Abbild der Abgründe unserer Gesellschaft, wie sie seit Jahrhunderten und bis in die heutige Zeit mal mehr, mal weniger latent vorhanden sind. Politik, die einhergeht mit einer wohldosierten Portion Gesellschaftskritik und einem verschachtelten, spannenden Krimi-Plot im Neo-Noir-Stil, machen aus der Serie ein nachhallendes Erlebnis.

Dazu tragen neben den wunderschön ausgestatteten Sets, den epischen Bildern und den üppigen Kostümen auch die Darsteller einen grossen Teil bei. Dabei ist es schön zu sehen, wie sich Supermodel Cara Delevingne in ihrer Schauspielkunst mit jedem Auftritt mimisch weiter entwickelt und versierter wird. An der Seite des zurückhaltenden Spiels von Orlando Bloom kann sich die junge Darstellerin bestens entfalten und hat einige sehr starke Momente. Andere Mimen wie Jared Harris oder Indira Varma haben ebenfalls viel «Fleisch am Knochen» in ihren gut ausgearbeiteten Rollen.

Amazon hat bereits vor der Veröffentlichung der ersten acht Folgen von «Carnival Row» eine zweite Staffel bestellt, so sehr war man vom Erfolg überzeugt. Wer sich die Serie anschaut, weiss, warum das so ist.

Kino kann vielleicht grösser sein, aber nur selten besser, als es das Fernsehen in diesem Fall geschafft hat.

Die Bewertungen der BT-Filmkritikerinnen und BT-Filmkritiker:
Roger Duft **** (von 5 Sternen)


 

Stichwörter: Heimkino, Serienkritik

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