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Serienkritik

"Hollywood": Gesellschaftskritik aus einer Parallelwelt

Die Netflix-Serie "Hollywood" blickt hinter die Kulissen der Traumfabrik. Realität und Fiktion vermischen sich, und die ganze Ambivalenz Hollywoods wird sichtbar. Am Schluss der ersten Staffel herrscht Verwirrung und Begeisterung zugleich.

Rassismus: Weil eine dunkelhäutige Frau eine Film-Hauptrolle erhält, kommt es zu Protesten.

von Simon Dick

Glamouröse Stars sonnen sich im Scheinwerferlicht, ein jubelndes Publikum und ein nie enden wollendes Blitzlichtgewitter der Fotografen umhüllen die Kinder aus der Traumfabrik. Lächelnd schreiten sie mit erhobenem Haupt über den langen roten Teppich und baden genüsslich in ihrem eigenen Erfolg. Das ist Hollywood.

Seit Jahrzehnten spuckt die Filmindustrie in regelmässigen Abständen Schauspielerinnen und Schauspieler heraus, die Zuschauerinnen und Zuschauer in magische Welten entführen und sie mit Unterhaltung berieseln. Diese wunderschönen und künstlerisch begabten Menschen leben den Traum. Ein Traum, dem auch in der neuen Netflix-Serie «Hollywood» unterschiedliche Personen nacheifern und die in den 40er-Jahre während der goldenen Ära des Kinos nach ganz oben klettern wollen. Doch auf dem Weg zum Ruhm stehen ihnen nicht nur starre Studio-Strukturen im Weg; auch ihre eigene Sexualität und ihre Herkunft stossen auf Intoleranz und Hass.

Da wäre zum Beispiel der Kriegs-Veteran Jack Castello (David Corenswet), der überzeugt davon ist, dass er in die oberen Ränge der Schauspielerriege aufsteigen kann, bei jedem Schritt nach vorne jedoch wieder zwei zurückfällt. Archie Coleman (Jeremy Pope) ist Drehbuchautor, hat unzählige gute Ideen, wird aber regelmässig wegen seiner Herkunft und seiner Homosexualität zurückgedrängt. Die Schauspielerin Camille Washington (Laura Harrier) hat es immerhin bereits auf die grosse Leinwand geschafft, wird aber wegen ihrer Hautfarbe nur für Dienstmädchen-Rollen ausgewählt.

Trotz Rassendiskriminierung und Homophobie lodert in allen dreien das Hollywood-Feuer weiterhin lichterloh. Sie sind alle überzeugt, dass ihre Zeit eines Tages kommen wird und die Traumfabrik ihnen das geben wird, was sie auch verdienen.

Als durch diverse Ereignisse in der Chefetage eines erfolgreichen Studios ein toleranter Geist das Ruder übernimmt, öffnet sich für alle Protagonisten plötzlich eine riesige Türe, hinter der ein Filmprojekt steht, das die Gesellschaft verändern könnte. Gemeinsam schreiten sie hindurch, doch jetzt zeigt die Traumfabrik ihr hässliches Gesicht.

Alle werden nicht nur mit der harten wirtschaftlichen Realität eines Hollywood-Studios konfrontiert, sondern geraten auch wegen ihrer Hautfarbe oder der sexuellen Orientierung in die Schusslinie von chauvinistischen und intoleranten Produzenten und sonstigen Geldhaien, die in der Traumfabrik schonungslos ihre Runden drehen und ohne mit der Wimper zu zucken der Prostitution frönen.

Aber wenn uns das gute alte Hollywood eines gelehrt hat, dann ist es das ungeschriebene Gesetz, dass in der glitzernden Filmwelt das Happyend zur Tagesordnung gehört und sich am Schluss alle Beteiligten lachend in die Arme fallen. Das Gefühl in der Magengegend beim Serienstart deutet in eine bestimmte Richtung: Alles wird irgendwie gut. Diese Tatsache ist die grosse Stärke der neuen Hitserie und gleichzeitig auch die ganz grosse Schwäche.

Wenn man es nüchtern betrachten spielt «Hollywood» in einer Parallelwelt, in der aufgezeigt wird, wie sich die Traumfabrik entwickelt hätte, wenn sie bereits in den 40er-Jahren etwas toleranter gewesen wäre und sich den gesellschaftlichen Zwängen widersetzt hätte.

Die Film-Zeitgeschichte wird hier neu geschrieben, in ein Märchen verpackt und tischt uns eine Mixtur aus Realität und Fiktion auf. Denn einige Schauspieler, die man begleiten darf, hat es tatsächlich gegeben, andere sind frei erfunden. Einige Filmprojekte, die unseren Weg kreuzen, gab es nicht, andere sind Teil unserer kulturellen Wirklichkeit. Manche persönlichen Dramen sind erfunden, andere basieren auf wahren Begebenheiten.

So gleitet man von einem Drama zum nächsten, macht mit sexueller Nötigung Bekanntschaft, schüttelt Rassisten die Hände und wird anschliessend mit humoristischen Szenen zugedeckt, um nicht ganz zu tief ins Glas der schlechten Laune zu fallen. Ist das schlauer Sarkasmus, beinharte Gesellschaftskritik oder einfach nur eine einfach gestrickte Komödie aus einem Paralleluniversum?

Am Ende der ersten Staffel von «Hollywood» fühlt sich manch einer etwas leer und verwirrt. Andere wiederum klatschen Beifall und feiern den Sarkasmus, der die Oberhand gewinnt und die skrupellosen Mechanismen der schmutzigen Traumfabrik schonungslos auf den Tisch knallt.

Wie dem auch sei: «Hollywood» schafft, was viele Serien nicht schaffen: Sie kreiert ein individuelles Seherlebnis, bei dem jede einzelne Erfahrung ohne Widerworte nachempfunden werden kann.

Stichwörter: Serienkritik, Heimkino

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