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Aarwangen

Brisante Pfefferspray-Lieferungen

Ein KMU aus dem Oberaargau verkauft Pfefferspray-Pistolen nach China. Jetzt könnten die Waffen gegen
die Studentenbewegung in Hongkong eingesetzt werden. Politiker in Bern wollen das verhindern.

Verschliesst die Schweiz ihre Augen vor der eskalierenden Polizeigewalt in Hongkong? Demokratie-Aktivist Joshua Wong glaubt ja. Bild: Imago Images, Zuma Wire

Christoph Lenz

Heute wird ein heisser Tag in Hongkong, ein potenziell gefährlicher. Tausende Bürger werden auf die Strasse gehen. Sie werden daran erinnern, dass China vor exakt 31 Jahren auf dem Tiananmen-Platz eine friedliche, zivile Demokratiebewegung blutig niederschlug. Besonders brisant ist das, weil China just in diesen Tagen versucht, endgültig die Kontrolle über die autonome Sonderverwaltungszone Hongkong zu erringen.

Brisant sind die Proteste auch für die Schweiz. Der Hongkonger TV-Sender TVB berichtete Mitte Mai, dass die regimetreue lokale Polizei mit einer neuen Waffe ausgerüstet werde. Einer Pistole, die eine flüssige, hoch konzentrierte Pfefferlösung abfeuere. Hergestellt wird die Pistole von der Piexon AG, einem kleinen KMU im beschaulichen Aarwangen im Kanton Bern. Die Firma produziert ausschliesslich Pfefferschussgeräte; zu ihren Geldgebern gehört auch der Berner Milliardär und Kunstmäzen Willy Michel.

«Extreme Schmerzen»

Die Hongkonger Studentenbewegung fürchtet sich vor dieser Waffe. Das zeigt eine Online-Petition, die Joshua Wong, ein Anführer der Proteste, und weitere Demokratie-Aktivisten am 20. Mai lanciert haben. Die Pfefferlösung von Piexon könne zu vorübergehender Blindheit führen und «extreme Schmerzen in Nase, Rachen und Lunge» verursachen, heisst es in der Petition, die von über 57 000 Personen unterzeichnet wurde.

Der Verkauf dieser Waffen an die Regierung von Hongkong stehe im Widerspruch mit dem Image der Schweiz als Friedensvermittlerin und Hort der Menschenrechte, heisst es weiter. Die Schweiz verschliesse ihre Augen vor der eskalierenden Polizeigewalt in Hongkong: «Shame on Switzerland.»

Bei Piexon will man von einem Verkauf der Pfefferspray-Pistole an die Hongkonger Sicherheitskräfte nichts wissen. «Die erwähnte Petition ist haltlos», sagt Jürg Thomann, Gründer und CEO von Piexon. Die Pfefferspray-Pistolen würden der Güterkontrollverordnung unterstehen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) habe die Vorgänge überprüft. «Die Piexon AG hat sich korrekt verhalten und keine Lieferung der betreffenden Geräte an die Polizei von Hongkong getätigt.»

Thomann deutet an, dass möglicherweise eine Verwechslung vorliege. In China seien «täuschend echte Kopien» der Piexon-Geräte auf dem Markt.

Im Bericht des Hongkonger TV-Senders ist aber eindeutig ein Modell von Piexon erkennbar. Es handelt sich um die Pistole JPX4 mit vier Reizstoffladungen. Sie zeichnet sich gemäss Onlinehändlern durch eine grosse Reichweite und Treffsicherheit aus. Zudem werde die Pfefferlösung mit so hoher Geschwindigkeit abgefeuert, dass beim Gegenüber eine «Schockwirkung» entstehe.

Möglich ist, dass die Hongkonger Polizei die Piexon-Pistolen von einem Zwischenhändler in China erwirbt. Schon seit 2008 rüstet Piexon Polizeieinheiten in China aus. Die Bedeutung des China-Geschäfts hat für Piexon noch zugenommen. So heisst es im Geschäftsbericht 2019 eines Investors, dass der Vertrieb von Piexon-Produkten in China vielversprechend gestartet sei.

Piexon hat nicht zum ersten Mal geschäftliche Probleme wegen der Proteste in Hongkong. Bereits letztes Jahr hat das Seco die Ausfuhr der Pfefferpistolen nach China sistiert und rechtliche Abklärungen vorgenommen. Seit Ende Jahr werden die Ausfuhren aber wieder bewilligt. Doch wie viele Piexon-Waffen in den letzten Jahren nach China geliefert wurden, will das Seco nicht bekannt geben. Zu Ausfuhrgesuchen von Einzelfirmen äussere man sich nicht.

Dass die Hongkonger Polizei mit Schweizer Waffen auf Demonstranten losgehen könnte, beunruhigt SP-Sicherheitspolitiker Pierre-Alain Fridez. «Es ist offensichtlich, dass es sich bei solchen Pistolen um repressive Waffen handelt. Wenn sie dazu benutzt werden, eine friedliche Demokratiebewegung zu zerschlagen, dann ist das ein Problem für die Schweiz. Wir haben eine Verantwortung gegenüber den demokratischen Kräften – auch in China.» Gestern hat Fridez den Bundesrat mittels Vorstoss aufgefordert, zu den Ausfuhren von Pfefferpistolen Stellung zu nehmen.

Militärisch und zivil

«Wenn Schweizer Güter in China zu repressiven Zwecken eingesetzt werden, ist das zu verurteilen», sagt auch EVP-Nationalrat Nik Gugger. Jedoch sei es mit dem problematischen Freihandelsabkommen und dem gültigen Güterkontrollgesetz extrem schwierig, solche Ausfuhren zu unterbinden. Tatsächlich ist es für das Seco derzeit gar nicht möglich, Ausfuhrgesuche der Piexon nach China abschlägig zu beantworten. Bei Pfefferspray-Pistolen handelt es sich um sogenannte Dual-Use-Güter. Sie können sowohl zivil als auch militärisch eingesetzt werden. Sie unterstehen damit nicht dem Kriegsmaterialgesetz, sind auch von der sogenannten Korrekturinitiative nicht tangiert.

Die Medienstelle des Seco schreibt: Ausfuhrgesuche für Pfefferspray-Pistolen nach China könnten nur verweigert werden, wenn es spezifische internationale Sanktionsmassnahmen gegen China gäbe. Ein anderes passendes Verweigerungskriterium gebe es derzeit nicht.

Hier allerdings könnte das Parlament ansetzen: Es könnte das Güterkontrollgesetz so ändern, dass für Pfefferspray-Pistolen ein Exportgesuch verweigert werden kann, wenn Grund zur Annahme besteht, dass die Produkte zu repressiven Zwecken genutzt werden.

Für Joshua Wong, den Anführer der Hongkonger Demokratiebewegung, wäre ein Exportverbot nach China zwingend. Die Schweiz habe sich immer zur Autonomie von Hongkong bekannt, schreibt er dieser Redaktion. «Indem sie solche Geräte an China liefert, beerdigt sie nicht nur den Sonderstatus von Hongkong. Sie bringt auch die Bewohner der Stadt in Gefahr.»

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