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Biel

«Die Suche nach neuem Material 
ähnelt einer Schatzsuche»

Romina, Kim und Sashee – die Ohrringe der Designerin Veronica Antonucci tragen Namen von Frauen aus ihren Umfeld. 
Mit dem nachhaltig gestalteten Schmuck trifft die 38-Jährige einen Nerv und bekommt Anfragen aus London und New York.

Die abstrakten Minikunstwerke aus Acrylglas werden in Veronica Antonuccis Atelier an der Bözingenstrasse gefertigt. Die Idee entstad bei einem Sommerferienprojekt. Bild: zvg/Nils Sandmeier
  • Dossier

Aufgezeichnet: 
Deborah Balmer

Ich darf sagen, dass es zurzeit gut läuft mit meinem selbst gemachten Schmuck. Obwohl der Lockdown natürlich wie für viele andere Künstlerinnen auch ein grosser Dämpfer war. Doch jetzt zieht es wieder richtig an. Ich merke das auch, weil ich in Biel und Bern immer häufiger Frauen sehe, die meine bunten Ohrringe tragen. Früher konnte ich immer genau nachvollziehen, wo ich diese und jene Stücke verkauft hatte. Doch heute gelingt mir das nicht mehr immer. Letzthin trug aber sogar SP-Nationalrätin Flavia Wasserfallen in der «Arena» ein Paar aus meiner Kollektion.

Ich lebe in Pieterlen. Am Morgen stehe ich fast immer früh auf, meist schon vor 6 Uhr. Zu dieser Tageszeit ist mein Kopf noch so schön frei. Oft erledige ich dann administrative Arbeiten, bevor ich später in meinem Atelier in einem alten Fabrikgebäude an der Bözingenstrasse in Biel mit meiner handwerklichen Arbeit starte. Ich entwickle und stelle den Schmuck her, der verschickt werden muss, oder liefere für die Läden aus. Das nimmt den ganzen Tag in Anspruch.

Inspirieren lasse ich mich für die verschiedenen Formen oft in Museen in der Schweiz und in europäischen Städten. Besuche von Ausstellungen im Ausland kamen aber natürlich in letzter Zeit zu kurz.

Ich bin ursprünglich Sozialarbeiterin, arbeitete mehrere Jahre mit Jugendlichen in der Suchttherapie. Das war eine ganz andere Welt als heute. Später war ich im Paraplegikerzentrum in Nottwil angestellt, half bei Sozialversicherungsfragen, etwa bei der Finanzierung von Wohnungsumbauten. Oder ich organisierte Rückflüge in die Heimat von Touristen, die in der Schweiz verunfallt waren. Wenn ein Paraplegiker zum Beispiel nach Neuseeland zurückkehren will, ist das äusserst kompliziert und kostet viel. Das war eine sehr geschätzte Arbeit. In einem anderen Job merkte ich dann aber, dass ich am Abend nur noch heimging, um mich für den nächsten Tag zu erholen. Aus einer Krise heraus begann ich an einer Privatschule Mode zu studieren. Dieses Studium brach ich aber vorzeitig ab, weil mir das Geld ausging. Ich wechselte nach Genf, wo ich «Bijou und Accessoires» studierte. Die Ohrringe waren ein Sommerferienprojekt, von dem ich nie dachte, dass es so erfolgreich wird. Ich konnte damit dann an der «Milan Design Week» ausstellen. Die Nachfrage wurde plötzlich so gross, dass ich auch das zweite Studium abbrach und mich ganz in das Abenteuer stürzte. Ich konnte an weiteren «Design Weeks» ausstellen. Mittlerweile verkaufen 13 Läden in der Schweiz meine Ohrringe.

Seit einem Jahr bin ich selbstständig. Ich arbeite sehr viel – allerdings ist die Motivation auch eine andere als früher, und obwohl ich viel weniger direkt mit Menschen arbeite, fühle ich mich ihnen sehr nah. Es ist unbezahlbar, das Gefühl zu erleben, dass jemand nach einem Kauf glücklich ist. Nach einem strengen Tag nehmen mein Partner und ich gerne mit Freunden ein Apéro.

Romina, Kim und Sashee: 
Jede Linie trägt den Namen 
einer Frau aus meinem Umfeld: einer Freundin, eines Models von mir, einer früheren Dozentin – oder jenen meiner Nichte. Die Art und Weise, wie ich altes Material verarbeite, nennt sich nicht Recycling, sondern Upcycling, das heisst, ich arbeite mit Abfällen aus der Industrie, mit Resten von Leuchtschriftenmachern etwa, also mit Acrylglas. Die Firmen finde ich im Umkreis von maximal 100 Kilometern von Biel. Neues Material zu finden, ähnelt für mich einer Schatzsuche. Manchmal finde ich eine bestimmte und besonders schöne Farbe nur ein einziges Mal. Der Gedanke, dass alles nachhaltig ist, gefällt vielen, er entspricht wohl dem Zeitgeist.

Mein Partner ist Fotograf und arbeitet im gleichen Atelier. Die Prospekte und Werbefotos für die Kampagnen macht er. Ich arbeite oft mit dunkelhäutigen Models zusammen, weil ich finde, dass sie in der Modewelt noch zu wenig präsent sind. Eines der Models, eine Bielerin, ist stark engagiert in der «Black-Lives-Matter»-Bewegung, was ich unterstütze. Auch nach ihr habe ich Ohrringe benannt.

Was mein Traum ist? Eigentlich ist er mit der Einladung an die Fashion Weeks in London und New York 2021 bereits in Erfüllung gegangen. Vom grossen Verkaufserfolg im Ausland zu träumen, ist allerdings schwierig, weil man bedenken muss, dass eine Amerikanerin, die meine Ohrringe bestellt, das Porto und Zollgebühren bezahlen muss. Das kann abschrecken.

 

 

Immer am Montag erzählen Menschen aus der Region, 
wie sie ihren Alltag erleben.

Stichwörter: Mein Montag, Acrylglas, Schmuck

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