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Grenchen

Showdown um die Milchkuh

Heute Abend entscheidet die Gemeindeversammlung, ob die SWG ihre Tochter, die Baufirma Panaiia & Crausaz, als solche behalten darf. Die Wogen dürften hochgehen, der Konflikt schwelt schon jahrelang – ein Rückblick.

Sitz der SWG in Grenchen – heute Abend steht der Energieversorger im Blickpunkt. copyright: peter samuel jaggi/bieler tagblatt

Tobias Graden

Lange dauerte es nicht, bis erste Kritik aufkam. Im Januar 2014 wurde bekannt, dass der regionale Energieversorger SWG in Grenchen die Mehrheit an der Baufirma Panaiia & Crausaz AG (P&C) übernimmt. Die SWG war zuvor schon einer der wichtigsten Kunden des Unternehmens gewesen. Mit ihrer Methode, Werkleitungen zu verlegen, ohne dazu Strassen oder Erdreich aufreissen zu müssen, hatte die Baufirma einen guten Trumpf in der Hand. Die Übernahme erfolgte im Rahmen einer Nachfolgelösung, und die Leitung von Panaiia & Crausaz liess verlauten, dass ihr die regionale Verankerung immer wichtig gewesen und der Verkauf an die SWG deswegen «geradezu ideal» sei.
Der Kauf war jedoch auch der Nukleus für einen Streit, der immer noch andauert und heute Abend im Grenchner Parktheater eine weitere Wegmarke erreicht: Die Gemeindeversammlung entscheidet über die Motion des Zahnarztes Dominik Aerni, die den Verkauf von P&C fordert. Genauer: Der gültige Teil der Motion (ein Teil davon wurde vom Gemeinderat für ungültig erklärt) fordert, dass in den SWG-Statuten das Verbot des Besitzes einer Baufirma festgehalten wird.

Unmut bei Baumeistern
Bereits kurz nach dem Kauf von Panaiia & Crausaz regte sich Widerspruch. Die Mitbewerber von P&C mochten den Deal nämlich nicht als ideale Lösung betrachten. Im Februar deponierten sie ihren Missmut beim Stadtpräsidenten – die SWG ist ein öffentlich-rechtliches Unternehmen, es gehört der Stadt Grenchen. Die Kritik: Die SWG habe P&C jahrelang bei der Auftragsvergabe bevorzugt, sie damit hochgepusht und könne sie nun gar selber kaufen. Auch der solothurnische Baumeisterverband gelangte mit kritischen Fragen an die SWG-Eigentümerin. Bauunternehmer Hans Gurtner warf auch die Kompetenzfrage auf: Während für manche Geschäfte ein Ja an der Gemeindeversammlung oder gar ein städtischer Urnengang nötig sei, habe hier der SWG-Verwaltungsrat alleine über einen Millionendeal entschieden.
Und schliesslich wurde der Vorwurf laut, dass die SWG die Submissionspflicht umgehe. Wenn der grösste Auftraggeber die Aufträge an sich selbst vergebe, sei dies Wettbewerbsverzerrung, wurde Gurtner im «Grenchner Tagblatt» zitiert. Die SWG argumentierte, sie habe verhindern wollen, dass die Baufirma in fremde Hände übergehe und damit das grabenlose Rohrlege-Verfahren nicht mehr so rasch verfügbar sei.

Forderungen vs. «Fake News»
Seitens der SP wurde der Kauf ebenfalls kritisiert. Der Steuerzahler zahle den inneren Wert der Baufirma quasi doppelt, monierte Parteipräsident Remo Bill. Die Partei reichte in der Folge im Gemeinderat eine Interpellation ein mit dem Ziel, Transparenz zu schaffen. Es gelang nicht. Der Kaufpreis blieb geheim, und Einzelgeschäfte lägen in der Kompetenz und Verantwortung des Verwaltungsrates, hiess es in der Antwort auf das Begehren.
Das Thema kam in der Folge immer wieder auf, ohne dass sich real etwas veränderte. Elias Meier, Stachel im Fleisch der Grenchner Elite, verlangte beispielsweise 2017 per Interpellation Antworten auf Fragen zu Dumpingpreisen oder Quersubventionen. Überhaupt pochte der Verein Pro Grenchen, den Meier präsidiert, auf mehr Transparenz von der SWG. Es kam zu einem Schlichtungsverfahren bei der Öffentlichkeitsbeauftragten des Kantons Solothurn, doch in Sachen Übernahme von P&C brachte dieses keine neuen Erkenntnisse.
Der Streit zwischen Meier und SWG, bei dem es auch um den geplanten Windpark auf dem Grenchenberg geht, eskalierte weiter. Meier verschickte 2018 Flugblätter, in denen er insinuierte, der Gebührenzahler finanziere den Kauf von Baufirmen und einen teuren neuen Hauptsitz. Auf politischer Ebene lancierte er eine Motion, in der er forderte, die SWG dürfe lediglich kostendeckend agieren, jegliche Ausgabe von über einer Million Franken seien durch das Stimmvolk abzusegnen und die SWG-Bücher seien komplett zu öffnen. SWG-Chef Per Just wehrte sich und sprach von «Fake News», die verbreitet würden. Der Besitz der Baufirma habe die Ertragskraft der SWG gestärkt, da diese mittlerweile die Hälfte der Aufträge ausserhalb der Stadt durchführe. Auch die Stadt profitiere.
Die Gemeindeversammlung im Juni 2018 brachte schliesslich die Rekordzahl an 251 Stimmberechtigten, und die Wogen gingen hoch. Der städtische Finanzverwalter David Baumgartner rief in Erinnerung, dass die SWG eine Milchkuh sei und es ein Fehler wäre, diese ohne Not zu schlachten – es drohe eine Steuererhöhung. Der Unmut bei manchen Bürgern war gleichwohl gross. Immer und immer wieder würden die gleichen Strassen aufgerissen, kritisierte etwa ein Votant. Dominik Aerni, schon damals engagiert, meinte: «Nur ein Staatsbetrieb kann sich eine derart stümperhafte Arbeit leisten.»
Die Motion wurde zwar mit 140 zu 100 Stimmen abgelehnt, doch das Unbehagen hatte sich klar und auf breiter Basis artikuliert. Auch das «Grenchner Tagblatt» kommentierte: «Wir (…) hoffen, dass die Politik das Dossier Panaiia & Crausaz wieder öffnet.»

Die Stadt wird ungeduldig
Im Spätsommer kamen entsprechende Fragen dazu aus dem Grenchner Gemeinderat. Sie drehten sich um Zuständigkeiten, Aufsichtspflichten, Transparenz, Einsichtsrechte – und damit verbunden wurde auch wieder in den Raum gestellt, inwiefern es opportun sei, dass das städtische Energieunternehmen eine Baufirma besitze. Alle Fraktionen unterzeichneten schliesslich einen Vorstoss mit zehn Fragen, in dem auch wieder der Verdacht geäussert wurde, die SWG stückele ihre Aufträge, um so die nötige Submission zu umgehen und die Arbeiten freihändig an die eigene Baufirma vergeben zu können. Insbesondere die Sanierungsarbeiten an der Däderizstrasse sorgten in dieser Hinsicht für grosse Diskussionen. Die Stadt liess in ihrer Antwort durchblicken, dass keine Probleme bestünden. Der Verwaltungsrat habe zudem ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, um auch juristisch «ein für alle Mal» zu klären, dass sich die SWG bei der Vergabepraxis strikte an das Submissionsgesetz halte.
Die Wogen waren damit mitnichten geglättet. Dominik Aerni monierte in einem Leserbrief, dass in Grenchen gar die Demokratie leide. So sei an der letzten Gemeindeversammlung gar nicht kontrolliert worden, wer alles im Saal anwesend war. Auch der Gemeinderat zeigte sich nun zunehmend irritiert von der SWG-Geschäftsführung, was sich im Gezerre um einen Aussprachetermin im Januar letzten Jahres äusserte. Stadtpräsident François Scheidegger (FDP), der von Amtes wegen gleichzeitig SWG-Verwaltungsratspräsident ist, liess sich mit der Aussage zitieren, er versuche schon seit einiger Zeit dem SWG-Verwaltungsrat klarzumachen, dass die Politik die erste Geige spiele und dass die Verwaltungsräte von dieser gewählt würden. Hauptstreitpunkt war da allerdings nicht mehr die P&C, sondern der Umgang mit Grundstücken, die 1995 bei der Verselbständigung in den Besitz der SWG übergegangen waren. Auch hier wurden heikle Doppelpositionen offensichtlich: Ein Grundstück wollte die SWG auf jeden Fall behalten, da auf diesem das Projekt eines Ausbildungszentrums des Verbandes Swissmechanic weit gediehen sei – zwei SWG-Verwaltungsräte sind gleichzeitig auch bei Swissmechanic aktiv.

Verhältnis entspannt sich
SP-Fraktionspräsident Remo Bill reichte nun im Gemeinderat eine Motion ein, wonach die Baufirma P&C verkauft werden solle – damit lasse sich die Angriffsfläche der SWG verkleinern. In einem Interview mit dem «Grenchner Tagblatt» erinnerte SWG-Chef Per Just daran, dass der Kauf seinerseits vom Verwaltungsrat unter Vorsitz des Stadtpräsidenten beschlossen worden sei: «Wenn nun über den Verkauf von P&C diskutiert wird, dann ist das auch eine Frage, die von den zuständigen strategischen und politischen Gremien beantwortet werden muss (…).» Ein Treffen zwischen der SWG-Führung und dem Gemeinderat endete quasi unentschieden: Trotz der Misstöne im Vorfeld kamen aus den Reihen des politischen Gremiums keine kritischen Fragen.
Mittlerweile ist das Verhältnis zwischen Stadt und SWG entspannter. Dazu beigetragen hat die vom Gemeinderat letzten Dezember einstimmig verabschiedete Eignerstrategie, die mit Hilfe von Wirtschaftsanwälten ausgearbeitet wurde. Darin ist unter anderem festgehalten, dass die SWG künftig die Zustimmung der Politik einholen muss, wenn sie in neue Geschäftsfelder vorstossen will. Remo Bill zog darauf seine Motion zurück, zumal sowohl eine Prüfung der BDO als auch der Steuerbehörden der SWG bis auf einen Fall keine Verfehlungen nachweisen konnte. Pikant ist allerdings, dass mit der BDO die Revisorin der SWG den Bericht verfasst hatte. «Ich hätte mir eine wirklich unabhängige Untersuchung gewünscht», sagt Gemeinderätin Nicole Hirt (GLP).
Anhand dieses Berichts flammt auch die Diskussion um das politische System in Grenchen wieder auf. Dieser ist nicht öffentlich, die Mitglieder des Gemeinderats haben ihn nur in Auszügen gesehen, jene der Gemeinderatskommission (GRK) aber als Ganzes: «Es mangelt an Transparenz», sagt Hirt.
Im Mai diesen Jahres präsentierte dann erstmals nicht mehr die SWG-Führung, sondern der Finanzverwalter der Stadt die Zahlen des Energieversorgers dem Gemeinderat. Die SWG liefert dieses Mal einen erhöhten Betrag von 3,3 Millionen Franken an die Stadt ab, darunter ist eine erste von vier Tranchen über 900000 Franken aus Erträgen von früheren Landverkäufen. Die Tochterfirma P&C hatte ein Rekordjahr verzeichnet und eine halbe Million Franken an Dividenden dem Mutterhaus abgeliefert. Der Gemeinderat lehnte denn auch die Motion von Dominik Aerni mit 9 zu 4 Stimmen ab.

Stark im Markt
Ob dies die Kritiker besänftigt? Es ist zu bezweifeln. Sie dürften darauf aufmerksam machen, dass der Gewinn von P&C kurz nach der Übernahme emporschnellte, da die SWG im Jahr 2014 für 85 und im Folgejahr für 78 Prozent der Aufträge verantwortlich war. Der Grund: Just nach der Übernahme wurde bei der Trinkwasserversorgung der Leitungsdruck erhöht, über 50 Rohrbrüche waren die Folge. Mittlerweile ist der Anteil der SWG-Aufträge nach Angaben von P&C allerdings auf um die 55 Prozent gesunken. Anders gesagt: 45 Prozent der Aufträge  kommen nicht von der SWG, sondern werden auf dem Markt eingeholt.
Allerdings sind es nach wie vor nicht nur kritische Grenchner Bürger, die der SWG misstrauen. In der vom Gewerbeverband Berner KMU initiierten Kampagne «Fair ist anders», welche die Einmischung von Unternehmen der öffentlichen Hand in den privaten Markt anprangert, ist auch die P&C ein Thema. Es gebe genügend private Unternehmen, die deren Aufgaben «zu marktgerechten Preisen ausführen könnten, anstatt von dieser konkurrenziert zu werden», heisst es auf der Kampagnen-Website. Der kantonal-solothurnische Gewerbeverband hat diese Forderung auch aufgenommen.

«Preisniveau ohnehin tief»
Im Hinblick auf die heutige Gemeindeversammlung versuchen beide Seiten, mit Flugblättern und in den sozialen Medien ihre Anhängerschaft zu mobilisieren. «In der Schweiz ist eine staatliche Baufirma wie P&C ein absoluter Sonder- und Einzelfall!», heisst es auf dem Flyer der Motionsbefürworter. Bruno Fuchs, Präsident des Baumeisterverbands Solothurn, sagt auf Anfrage des BT: «Der Staat hat die Aufgabe, die Grundbedürfnisse wie etwa die Wasserversorgung abzudecken. Aber es ist nicht seine Aufgabe, eine eigene Baufirma zu betreiben. Wenn die P&C einen Auftrag im freien Markt holt, haben wir daran natürlich keine Freude, zumal das Preisniveau ohnehin schon tief ist.» Auf juristischem Weg lässt sich dies allerdings nicht bekämpfen – gemäss Statuten darf die SWG eine Baufirma besitzen. Fuchs setzt seine Hoffnungen darum in den politischen Kampf.
Auch Nicole Hirt ist auf dem Flugblatt abgebildet. Sie bemängelt die fehlende Transparenz: «Wir kennen nicht einmal den Steuerwert der P&C-Aktien, obwohl SVP-Gemeinderat Richard Aschberger diesen eingefordert hat.» Weil die P&C nach der Übernahme eine eigene Aktiengesellschaft geblieben ist, hat nur ihre Führung und ihr Verwaltungsrat Einblick in die Bücher. «Wir wissen darum gar nicht, wie gut die P&C arbeitet», kritisiert Hirt, «sondern können es nur erahnen.»

Gutes Geld für die Stadt
Die Stadt beantragt, die Motion für nicht erheblich zu erklären. Die SWG müsse selber entscheiden, welche Teilaufgaben sie selbst besorgen wolle, heisst es in der Botschaft des Gemeinderates: «Würde ihr nun durch die Statuten verboten, eine Baufirma zu besitzen, so müsste sie entscheiden, ob und welche Mitarbeitenden der P&C sie übernehmen will und welche von deren Aufgaben sie künftig selbst erledigt. Transparenz wäre damit nicht gewonnen und Steuern würden auch nicht mehr abgeliefert (...).» Der Gemeinderat habe die Aufsicht über die SWG gestärkt und wolle sie im zunehmenden Wettbewerb «nicht schwächen und ihr ein strengeres Korsett verordnen, als es Konkurrenten haben». Schliesslich, und das könnte heute Abend das entscheidende Argument sein im Abstimmungskampf, schreibt die Stadt: «Zudem wirft die Tochterfirma P&C für die SWG und damit für die Stadt einen attraktiven Gewinn ab, der den Steuern unterliegt.»
Ein Argument allerdings, das Nicole Hirt von der anderen Seite her betrachtet: «Wenn die SWG so viel Gewinn abliefert, liessen sich ja womöglich die Gebühren senken.»

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