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Jubiläum

Die Neunjährige, die die Welt auf den Kopf stellte

Heute vor 75 Jahren ist in Schweden das erste Pippi-Langstrumpf-Buch erschienen. Während Pippi bei den Erwachsenen erst wenig Anklang fand, zog sie die Kinder sofort in ihren Bann – und daran hat sich bis heute nichts geändert.

75-jährig und kein bisschen gealtert: Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf. Bild: Keystone

von Jana Tálos

«Sei Pippi, nicht Annika.» Dieser Spruch, der eingerahmt bei guten Freunden von mir im Badezimmer hängt, fasziniert mich noch heute jedes Mal, wenn ich ihn erblicke. Sei Pippi, nicht Annika – vier simple Worte, und doch scheint für jedes Kind und zig Generationen von Erwachsenen sofort klar, was damit gemeint ist: Sei wie Pippi Langstrumpf, sei stark, mutig, unbeschwert und nicht ängstlich und verklemmt wie Annika. Aber vor allem: Lass dir nichts vorschreiben – erst recht nicht von einem Erwachsenen.

Fast 70 Millionen Mal verkauft

Ob genau das auch die Botschaft war, die Astrid Lindgren mit ihren Geschichten über die neunjährige Abenteurerin vermitteln wollte, lässt sich heute nur schwer sagen. Die schwedische Autorin, die 2002 94-jährig in Stockholm verstorben ist, hielt sich stets bedeckt, was die Motive ihrer Geschichten anging – schon allein deshalb, weil sie die Meinungen und Fragen von Erwachsenen zu ihren Büchern kaum interessierten, im Gegensatz zu denen der Kinder, von denen sie haufenweise Fanpost bekam.

«Ich habe Pippi für mein eigenes Vergnügen und das Vergnügen der Kinder geschrieben», lautete denn auch die Standardantwort, wenn Lindgren von Medienschaffenden auf die Absichten angesprochen wurde, die man hinter ihrer berühmtesten Figur vermutete. Dass ihr das gelungen ist, lässt sich kaum bestreiten: Fast 70 Millionen Mal sind die Abenteuer von Pippi und ihren Freunden Tommy und Annika seit der Ersterscheinung am 26. November 1945 weltweit verkauft worden, in 77 Sprachen wurden sie bisher übersetzt. Auch heute noch finden sich in zig Haushalten Zeichnungen der wild aussehenden Rothaarigen mit den abstehenden Zöpfen, wie sie Polizisten durch die Gegend wirft oder ihr Pferd «Kleiner Onkel» in die Höhe stemmt. Kurz: Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf weiss auch noch 75 Jahre nach ihrer Schöpfung die Massen zu begeistern – daran konnten bisher weder Elsa, Prinzessin Lillifee, Spiderman oder sonst irgendein aufstrebendes Kinderidol etwas ändern.

«Die Themen sind die gleichen»

Was aber ist das Erfolgsrezept von Pippi Langstrumpf? Wie ist es möglich, dass eine Piratentochter, die mit einem gepunkteten Pferd, einem Äffchen und einer Truhe voller Goldmünzen in einem heruntergekommenen Haus lebt, mit schönen Prinzessinnen in Schlössern oder hartgesottenen Actionfiguren in Raketen und Raumschiffen mithalten kann? 

«Die Themen, die für Kinder wichtig sind, haben sich über die Jahre nicht verändert», erklärt es Inger Lison, eine Expertin für Kinder- und Jugendliteratur an der Universität Hannover, in einem Interview gegenüber dem Onlineportal «Kinderzeit». Wie bei anderen Kinderhelden gehe es auch bei Pippi um Freundschaft und um Mut, wobei sie ganz nebenbei auch noch das stärkste Mädchen der Welt ist. Welches Kind finde so etwas denn nicht toll?

Ähnlich wie die Lison sieht es auch Christine Lötscher, die an der Universität Zürich zu populärer Literatur und Medien forscht, und jüngst im «Tagblatt» über die Kinderbuchheldin Auskunft gab: «Pippi hat für jede Generation eine Message», ist die Professorin überzeugt. So seien die Kinder von heute oft einem gewissen Leistungsdruck ausgesetzt, demgegenüber Pippi eine befreiende Funktion übernehmen könne: «Sie führt Polizisten an der Nase herum und nervt Lehrerinnen, ohne Konsequenzen zu erfahren», erklärt Lötscher. Eine Unbeschwertheit, die die Kinder in ihrer eigenen Welt vielleicht nur selten erleben – und an der sie dank Pippi immerhin durchs Zusehen oder Zuhören teilhaben können.

Entgegen aller Regeln

Für die Kinder der Nachkriegszeit dürften es indes noch ganz andere Eigenschaften gewesen sein, die sie an Pippi begeisterten: Sie ist selbstständig und unerschrocken, lebt allein in der grossen Villa Kunterbunt und weiss sowohl böse Räuber als auch fiese Tanten zu vertreiben. Vor allem aber schert sie sich keinen Deut um irgendwelche gesellschaftlichen Regeln, lässt schmutziges Geschirr herumliegen, isst Süssigkeiten, wann immer ihr danach ist – alles Dinge, die man sich als Kind in dieser Zeit nur schwerlich vorstellen konnte. Insbesondere die Mädchen hatten brav und gehorsam zu sein. Pippi, die sich dem allem entgegenstellte, löste bei den Kindern entsprechend Begeisterung aus.

Dass die Figur im Nachhinein auch oft als Wegbereiterin der Emanzipation angesehen wurde, mag vor diesem Hintergrund kaum erstaunen. Obschon Pippi in der Frauenbewegung nie eine prominente Rolle einnahm, so war es doch sie, die Kindern zeigte, dass ein Mädchen mindestens so stark, wenn nicht stärker als Jungs sein kann. «Pippi Langstrumpf war mein Mädchen», bekannte auch Michelle Obama einmal in einem Interview mit der «New York Times». «Ich liebte ihre Stärke – nicht nur die körperliche, sondern auch die Vorstellung, dass sie sich von niemanden den Mund verbieten lassen würde.»

«Fantasie einer Irren»

In Anbetracht dessen erstaunt es hingegen auch nicht, dass die Erwachsenen und insbesondere die Pädagogen der Nachkriegszeit erst einmal gar Freude an dem vorlauten Mädchen mit ihren komischen Ideen hatten, zumal sie auch noch offen zugab, gelegentlich zu lügen, und nicht zur Schule ging.

«Kein normales Kind», enervierte sich der Literaturkritiker und Pädagogikprofessor John Landquist nach der Erstveröffentlichung in einer schwedischen Zeitung, «isst eine ganze Sahnetorte oder geht barfuss auf Zucker!» Beides erinnere an die Fantasie eines Irren und tauge in keinster Weise als Vorbild für kleine Kinder. Das Buch Lindgrens sei etwas «Unangenehmes, das an der Seele kratzt» so der Professor.

Dass sich Landquist dabei ganz umsonst Sorgen machte, zeigte nicht nur die Tatsache, dass Pippi die Herzen der jungen Leserinnen und Leser im Sturm eroberte und spätestens nach dem Film 1969 in allen Kinderstuben angekommen war. Mehrere Studien, die im Nachgang zur Geschichte von Pippi Langstrumpf erstellt wurden, förderten zutage, dass sich die meisten Kinder gar nicht mit ihr identifizierten: Viele sahen sich in den Rollen der beiden «normalen» Nebenfiguren Tommy und Annika: brav, anständig angezogen und stets darauf bedacht, ihren Eltern keinen Ärger zu machen. Pippi hingegen wurde eher in der Rolle einer grossen Schwester wahrgenommen, die sie bewunderten und verehrten, die ihnen manchmal aber auch etwas unheimlich vorkam.

Ein Übermensch

Vielleicht liegt auch genau darin der Kern der Botschaft, den Astrid Lindgren mit «Pippi Langstrumpf» vermitteln wollte: Auch wenn wir alle unsere persönlichen Idole haben, so wachsen wir letztlich doch in einer Welt voller Tommys und Annikas auf. Das muss nicht schlimm sein, im Gegenteil: Auch Astrid Lindgren war froh, dass ihre eigenen Kinder nicht so waren wie Pippi, die sie als «Übermensch in Gestalt eines Kindes» betrachtete.

Trotzdem schien die Autorin aber überzeugt, dass es sich lohnt, sich hin und wieder aufzuraffen und etwas völlig Unerwartetes oder Verrücktes zu tun. Sei Pippi, nicht Annika. Oder besser gesagt: Sei auch wie Pippi, und nicht nur wie Annika. Du wirst Dich köstlich amüsieren.

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Wie Pippi entstanden ist

Die Kinderbuchautorin Astrid Lindgren hat sich so manche verrückte Geschichte ausgedacht. Die Figur der Pippi Langstrumpf jedoch wurde durch ihre Tochter Karin zum Leben erweckt. Als diese mit sieben Jahren mit einer Lungenentzündung im Bett lag, forderte sie ihre Mutter abends jeweils auf, ihr eine Geschichte zu erzählen. Als dieser irgendwann die Ideen ausgingen, soll sie Karin gefragt haben: «Aber was soll ich dir denn erzählen?» Da habe diese geantwortet: «Erzähl mir von Pippi Langstrumpf!»

Auch wenn Astrid Lindgren den Namen noch nie zuvor gehört und ihn ihre Tochter wohl eben gerade erfunden hatte, soll sie nicht nachgefragt haben, wer denn diese Pippi Langstrumpf sei. Stattdessen habe sie angefangen, von einem Mädchen zu erzählen, das zu diesem Namen passen könnte, wie sie später in diversen Interviews erklärte. «Weil es ein merkwürdiger Name war, wurde es auch ein merkwürdiges Mädchen», so Lindgren.

Als die Autorin 1944 wegen eines verstauchten Knöchels ans Bett gefesselt war, fing sie an, die Geschichte der Pippi Langstrumpf aufzuschreiben. Das Manuskript schenkte sie Tochter Karin zum zehnten Geburtstag und reichte es gleichzeitig beim Bonniers Verlag ein. Dieser hatte jedoch kein Interesse an dem für seine Zeit doch eher aufmüpfigen und rebellischen Inhalt und lehnte das Manuskript ab.

Später dürften sich die Verantwortlichen über diese Entscheidung grün und blau geärgert haben: Mit «Pippi Langstrumpf» gewann Astrid Lindgren ein Jahr später bei einem Wettbewerb des Verlags Rabén & Sjörgen den ersten Preis. Am 26. November 1945 wurde der erste Band der Pippi-Langstrumpf-Abenteuer veröffentlicht. Zusammen mit den beiden späteren Bänden «Pippi geht an Bord» und «Pippi im Taka-Tuka-Land» wurden die Geschichten laut der Astrid Lindgren Company bisher rund 70 Millionen Mal verkauft und in 77 Sprachen (Stand 2019) übersetzt. Auf die Bücher folgten 1969 eine Fernsehserie sowie mehrere Filme, für die Astrid Lindgren ebenfalls das Drehbuch schrieb. jat

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Die Schwester und Nachbarin, die wir uns immer gewünscht haben

Auch die BT-Redaktorinnen und Redaktoren sind mit der Figur der Pippi Langstrumpf aufgewachsen. Vielen ist die rothaarige Abenteurerin als Idol in Erinnerung geblieben – aber nicht allen.

Der Wunsch nach einem Pferd

Ich habe Pippi Langstrumpf vor allem um ihr Leben ohne erzieherische Einschränkungen beneidet. Von diesem freien Leben habe ich als Kind geträumt. Die totale Freiheit. Tun und lassen was man möchte, Nein sagen dürfen – ein unerreichbarer Traum. Und ich habe sie beneidet um ihr Pferd. Ein ganzes Kinderleben lang habe ich meinen Vater «belöffelt», mir doch ein Pferd zu kaufen. Vergeblich. Darum war dieses gepunktete Pferd meine liebste «Figur» der Serie. Leider hatten wir keine Goldstücke ... Und mein Traum vom Pferd hat sich nie erfüllt. Magrit Mast Beyer

Pippi auf Russisch

Ich war acht Jahre alt, als ich das Buch über Pippi Langstrumpf von meiner Gotte Margrit zu Weihnachten geschenkt kriegte. Welch fantastische Kinderwelt! Heute sind die Erinnerungen an das Buch und die Pippi-Filme vermischt. Äffchen, Pferd und Villa wollte ich keine besitzen, dafür «Konrads Spezialkleber». Im Film «Pippi ausser Rand und Band» testet Pippi die grüne, klebrige Masse eines Hausierers und kann damit sogar die Wände hoch und an der Decke herumspazieren. Wie cool ist das denn! Doch man wird nicht nur älter, sondern auch langweiliger: Heute würde mich das Glibberzeugs ekeln, und Höhenangst habe ich unterdessen auch. Bleibe ich halt auf dem Boden.

Mit 18 kreuzte Pippi Langstrumpf erneut meinen Weg. Als Russischlernende am Gymnasium besuchte ich erstmals Sankt Petersburg. Am pompösen Nevskij Prospekt liegt das «Dom Knigi». Übersetzt heisst das «Haus der Bücher», aber eigentlich ist es ein Palast. Die riesige Auswahl an russischen Büchern faszinierte mich, doch ich wusste: Mein Niveau reicht höchstens für ein Kinderbuch. Ich kaufte «Peppi Dlinnyjtshulok» – auch, weil es etwas Vertrautes darstellte.

Leider stellte sich heraus, dass diese «Peppi» erstaunlich viel Text enthält. Wollte ich mit der neuen Sprache Erfolgserlebnisse feiern, musste ich bei der Bücherwahl nochmals ein paar Altersstufen zurück. Mit der Zeit klappte es immer besser mit Sprache und Kultur. Ab da las ich natürlich lieber Bücher in der Originalsprache als Pippi Langstrumpf in russischer Übersetzung, weshalb «Peppi Dlinnyjtshulok» bis heute ungelesen ist. Eine schöne Erinnerung ist es trotzdem geblieben. Andrea Butorin

Eine Schwester zum Beschützen

Ich habe Pippi-Filme oft im Fernsehen geschaut und mich köstlich amüsiert. Das kam von daher, weil ich mir stets eine Schwester gewünscht habe, die ich im Leben begleiten und beschützen kann. Als ich vier Jahre alt war, bekam ich aber einen Bruder und Pippi wurde zu meiner TV-Schwester. Das Verhältnis zu meinem Bruder Urs war zwar nie schlecht, aber ich brauchte ihn mehr für Zänkereien, als um ihn zu beschützen. Beat Moning

Bei Pippi krieg ich Hunger

Ich habe sie geliebt, diese alten Pippi-Langstrumpf-Filme. Und ja, ich hätte mir eine eigene Villa Kunterbunt gewünscht – oder zumindest eine Nachbarin wie Pippi. Was die alles mit Tommy und Annika unternommen hat! Und mit einer Kollegin wie Pippi gab es nichts und niemanden, den man fürchten musste.

Beim Schauen dieser Geschichten kam bei mir aber nicht nur Abenteuerlust auf, sondern vor allem Hunger. Wobei, es ist nicht unbedingt Hunger, sondern die Lust nach einer richtigen Schlemmerei, frei von allen guten Manieren. Wer braucht Besteck, wenn man Hände hat?! Ganz nach Piraten-Art halt. In zig Pippi-Langstrumpf-Filmen schwenkt die Kamera irgendwann auf einen reichhaltig gefüllten Tisch, auf ein Buffet, auf das man sich am liebsten draufstürzen würde. Und das tun all die Akteure in diesen Filmen auch, wenn irgendwo so ein Festmahl zu sehen ist. Ihre Teller sind überfüllt, sie schaufeln das Essen förmlich in ihre Münder, schmatzen laut drauf los und hören erst auf zu essen, wenn der Magen zu platzen droht.

Eine ganz bestimmte Szene kriege ich dabei nicht aus dem Kopf: Pippi ist mit Tommy und Annika in die Südsee gereist, zuerst in einem Bett-Ballon, dann in einem selbst gebastelten Flugzeug. Auf einer verlassenen Südsee-Insel trickst sie die Piraten aus, schnappt sich den Schatz und das Schiff der Seeräuber. Am Ende des Films betritt Pippi des Captains Speisesaal, nimmt sich einen Säbel und spiesst zuerst ein Grillhühnchen, dann eine Peperoni und viele weitere Leckereien darauf. Mit diesem XXL-Grillspiess stellt sie sich hinter das Steuerrad des Bootes und beisst in das Hühnchen. Mmmmhhhh, so einen Grillspiess wollte ich schon immer. Jetzt, während ich darüber schreibe, noch viel mehr. Kann mir irgendjemand sagen, wo man einen Säbel herkriegt? Parzival Meister

Stark, auch im Kopf

Mein allererstes Kinoerlebnis war der Film «Pippi Langstrumpf». Ich war damals keine zehn Jahre alt. Doch erinnere ich mich gut an die gespannte Atmosphäre im proppenvollen Kinosaal. Ich mag die kauzigen Typen wie die hypernervöse Lehrerin, die tölpelhaften Polizisten und der so raubeinige wie liebenswürdige Vater, die ländlich-dörfliche Idylle und natürlich Pippi selbst mit ihrer verwegenen übernatürlichen Kraft. Vor allem aber ist Pippi dem Leben zugewandt, sie ist herzlich und sie hat einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Sie ist selbstbewusst, manchmal gar frech. Aber in allem was sie tut, folgt sie ihrem gütigen Herzen. Das spürt man als Kind intuitiv. Und das macht sie so sympathisch.

Später interessierte mich mehr die Schöpferin der Figur «Pippi Langstrumpf». Die Lebenserfahrung von Astrid Lindgren bildet den Nährboden ihres literarischen Schaffens. Mit 18 Jahren wird sie schwanger. Sie bringt ihr Kind im liberalen Kopenhagen zur Welt, muss es dort aber für die ersten Jahre einer Pflegefamilie übergeben. Denn Astrid Lindgrens Eltern, Pächter eines Pfarrhofs im ländlichen Schweden, konnten es nicht aufnehmen.

Schmerz, aber auch Geborgenheit, Mut, bedingungslose Liebe zu Kindern und Vertrauen in Kinder bilden die wichtigsten Parameter in Astrid Lindgrens Kinderbücher.

Die Abenteuer von Pippi Langstrumpf legten den Grundstein zum weltweiten Erfolg der schwedischen Schriftstellerin. Im Buch, das in den 40er-Jahren erschien, spielt notabene ein Mädchen die Hauptrolle. Dies erklärt sich nicht nur mit der über 100-jährigen gleichberechtigten Stellung von Frau und Mann in der schwedischen Gesellschaft, sondern auch mit Astrid Lindgrens persönlicher Biografie. Pippi ist stark. Nicht nur physisch, sondern auch mental. Annelise Alder

Das freche Lachen ist geblieben

Als ich klein war, hat mich mein Götti jedes Jahr ins Berner Stadttheater eingeladen, um das Weihnachtsmärchen zu schauen. Als ich sieben war, wurde Pippi Langstrumpf aufgeführt. Ich kann mich kaum mehr an das Stück erinnern, weiss nur noch, dass mir die Pippi-Schauspielerin viel zu alt vorkam. Trotzdem ist mir dieses Weihnachtsmärchen besonders in Erinnerung geblieben, weil ich für meinen Götti eine Zeichnung von Pippi und dem Pferd gemacht habe. Ich glaube, es war vor der Aufführung, unten auf das Blatt habe ich geschrieben, wie sehr ich mich darauf freue. In ungelenken Buchstaben, von rechts nach links geschrieben. Jahrelang hing das Bild in seiner Küche, die Farben verblassten, das Papier vergilbte, aber Pippi Langstrumpf behielt ihr freches Lachen. Sarah Grandjean

«Zweimal drei macht vier ...»

Hey Pippi Langstrumpf trallari trallahey tralla hoppsassa Hey Pippi Langstrumpf, die macht, was ihr gefällt. Wenn ich an Pippi Langstrumpf denke, kommt mir sofort das Titellied der Fernsehserie in den Sinn. Die eingängige Melodie und der lustige Text haben so manche gemütliche Fernsehstunde eingeläutet. Einmal im Ohr, ist das Lied kaum mehr aus dem Kopf zu bekommen. Und so sehe ich nun vor meinem inneren Auge, wie ein kleines Mädchen mit zwei roten Zöpfen auf ihrem Pferd dahin reitet, auf der Schulter ein kecker Affe – und dabei fröhlich singt: Zweimal drei macht vier, widewidewitt und drei macht neune, ich mach mir die Welt, widewide wie sie mir gefällt. Carmen Stalder

Ein Spitzname und ein Pferd

Als Kind war Pippi Langstrumpf mein Idol. Kein Wunder, denn das war mein Spitzname, den mir meine Gspändli gaben. Für mich war das eine grosse Ehre. Die Sommersprossen auf meiner Nase und die rötliche Haarfarbe bedeuteten eine Auszeichnung, aufziehen konnte mich niemand damit. Später besass ich dann ein Pferd, das wie Pippis «Kleiner Onkel» weiss war mit dunklen Flecken im Fell und einer schwarzen Mähne. Nie vergesse ich den Ausruf «schau, ein Pippi-Langstrumpf-Pferd» eines Kindes an der Hand seiner Mutter, als ich bei einem Ausritt war. Brigitte Jeckelmann

Pippi entschwindet im Erwachsenenalter

Lebenslang ein bisschen Kind bleiben – dieses Motto gilt für viele Erwachsene. Gemeint sind keine Mutproben, sondern eher Staunen, grenzenlose Freude oder die Momente in Fantasiewelten. Pippi Langstrumpf gehört(e) in vielen Kindheiten dazu. Ohne eine einzelne Pippi-Eigenschaft herauszustreichen, bleiben viele Erinnerungen an die TV-Eroberung.

Mit den eigenen Kindern oder vielleicht einmal mit Grosskindern ist es im Erwachsenenalter einfacher, in die Fantasiewelten zurück zu tauchen. Denn, ehrlich, einfach so klappt dies für die «Grossen» leider nicht mehr. Eine Reise führte vor einigen Jahren nach Südschweden in den Ort Vimmerby. Astrid-Lindgren-Fans wissen, dass da der Freizeit- und Erlebnispark «Astrid Lindgrens Värld» steht. Nichts wie hin, um die Heldinnen und Helden der Kindheit zu treffen.

Die Enttäuschung ist offensichtlich: Pippi, vor einem stehend, entschwindet im Erwachsenenalter. Zu rational ist der Besuch, bei welchen Kulissen und Leistungen der Schauspieler zu sehr im Vordergrund stehen. Dass zudem ein Freizeitpark einer Marketingmaschine gleicht, die an jeder Ecke mit Münzen gefüttert werden will, kommt erschwerend dazu.

Fazit: Die Helden der Kindheit leben in der Fantasie weiter – versuchen wir nie, sie im wirklichen Leben zu treffen.  Bernhard Rentsch

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«Die ist doch verrückt ...»

Was sagen eigentlich die Kinder von heute zu Pippi Langstrumpf? Pauline (4 Jahre) und Luise (6 Jahre) sind sich nicht ganz einig.

Pauline, was denkst Du über Pippi Langstrumpf?

Pauline: Ich mag die nicht so ... Die ist faul, geht niemals in die Schule, das ist doch langweilig, da hat sie nichts zu tun. Einmal brannte es in der Küche, weil sie nicht gut kochen kann. Und sie putzt sich bestimmt nie die Zähne. Die mag nur Süssigkeiten. Und Spielen. Und die macht nie ihre Wäsche, die hat ja immer dasselbe an.

Würdest Du gerne wie sie leben?

Nein, lieber mit meiner Mama zuhause. So wie Tommy und Annika. Die Pippi, die ist doch verrückt ...

Wer bringt die Pippi ins Bett, Luise?

Luise: Sie sich selbst. Also niemand.

Ist das nicht traurig?

Ja, schon. Aber sie ist ja schon gross und sie hat Tommy und Annika. Und ihren Vater, der ist Pirat und gibt ihr Geld und besucht sie. Und manchmal rettet sie ihn.

Die Pippi die ist ja ziemlich ...

Frech? Ja, frech wie eine Maus! Aber ich hab sie gern. Sie ist ja nur frech, wenn ihr etwas nicht gefällt. Zum Beispiel, wenn die Madame sagt: «Mach dies, mach das.»

Wärst du gerne wie sie?

Ja, so mega stark ... Dann könnte ich auch jemanden in die Baumkronen hängen, wenn er mich nervt.

Die Pippi sieht ein bisschen komisch aus, oder?

Nein, die sieht nicht komisch aus, die sieht lustig aus und ist lustig und wohnt im kunterbunten Haus. Sie hat immer so zwei Strümpfe, die nicht gleich sind. Einmal hat sie zwei Polizisten am Kragen gepackt und in die nächste Baumkrone geschmissen. Die wollten sie festnehmen, damit sie in die Schule geht und eine neue Mutter bekommt, dabei hat sie doch einen Vater.

Würde dir etwas fehlen, wenn Du wie Pippi leben würdest?

Ja, eine Mama, aber ihre ist im Himmel. Das ist so traurig ... Sie erzählt ihr dann alles: «Mama, weisst du, vielleicht kann ich nicht so eine gute Dame werden» und solche Sachen.

Warum ist die wohl so stark?

Hat sie geerbt, von ihrem Papa.

Hättest du auch gerne einen Affen und ein Pferd?

Einen Affen, aber der müsste seine Bananenschalen selbst wegräumen. Interview: Clara Gauthey

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