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Uhrenbranche

Industrielandschaft wird Welterbe

Die Unesco hat das Uhrmacherhandwerk und die Kunstmechanik in die Liste des immateriellen Kulturerbes eingetragen. Damit rückt der Jurabogen ins Licht der Öffentlichkeit.

Ein Uhrmacher bei der Arbeit. Die Uhrmacherkunst umfasst laut dem Bundesamt für Kultur die Region von Genf bis Schaffhausen und Biel bis Besançon. Bild: og/a

Maeva Pleines/pl

Hinter jeder kunstvollen Uhr verbirgt sich eine Fülle von handwerklichen und industriellen Kompetenzen, in denen sich Tradition und Innovation ergänzen. Für die Anerkennung und den Erhalt dieses Kulturgutes hat eine Gruppierung von rund 50 Akteuren aus dem Jurabogen eine Bewerbung für den Eintrag des Uhrmacherhandwerks und der Kunstmechanik in die Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit eingereicht. Am vergangenen 16. Dezember hat der zwischenstaatliche Ausschuss der Unesco den Antrag gutgeheissen.

«Wir haben Anfang 2018 
die französisch-schweizerische Arbeitsgruppe ins Leben gerufen. Das Gremium hat ein Massnahmenpaket für den Erhalt dieses unvergleichlichen Erbes erarbeitet», erklärt Julien Vuilleumier, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesamt für Kultur (BAK), der das Projekt begleitet.

Es gelte, das breite Spektrum dieser «grossartigen Industrielandschaft» mit ihrer Fülle von Berufen zu bewahren. Die Uhrenindustrie beschäftigt Polymechaniker, Zifferblatt-Hersteller, Automatiker und viele andere mehr. Einige Tätigkeiten seien so wenig bekannt, dass sie Gefahr liefen, in Vergessenheit zu geraten, so Vuilleumier.

 

Berufe könnten verschwinden

Die transnationale Arbeitsgruppe schlägt drei Stossrichtungen vor: Verbesserung der Dokumentation, Vertiefung der Ausbildung und Förderung des Bekanntheitsgrades beim breiten Publikum.

Der Eintrag in die Liste des Kulturerbes begründet keinen Anspruch auf Fördergelder. «Aber die Vereinigung der Interessengruppen fördert den Wettbewerb zwischen den Mitgliedern, bietet die Möglichkeit, Geldmittel gebündelt einzusetzen und verleiht der Organisation mehr Gewicht bei den lokalen Behörden», so Vuilleumier.

Die Region kann bei ihrer Dokumentation aus verschiedenen Quellen schöpfen: Das jurassische Industriearchiv Cejare von St-Imier betreut einen überregionalen Schatz von Unternehmensdokumenten. Zudem planen das Uhrenmuseum von La Chaux-de-Fonds und das Musée du Temps in Besançon, ihren Fundus auf einer gemeinsamen Webplattform nutzbar zu machen.

Einige handwerkliche Kompetenzen werden heute nur noch von wenigen Spezialisten gepflegt. «Das gilt zum Beispiel für das Stimmen der Tonkämme von Musikautomaten und Spieldosen», bemerkt der Projektkoordinator vom BAK. In diesen Bereichen wurden neulich ergänzende Ausbildungsmodule für Uhrmacher entwickelt. Allerdings muss die Berufslehre in erster Linie den Anforderungen der Industrie genügen. «Deshalb ist der Raum für besondere Kurse begrenzt», so Vuilleumier. Das Risiko, dass seltene Arbeitsfelder der Kunstmechanik aus dem Blickfeld verschwinden, sei darum nicht gebannt.

Trotzdem würden industrielle Techniken das Handwerk nicht ersetzen, sagt der Vertreter des BAG. Zwischen beiden Fertigungsarten bestehe kein Widerspruch: «Die Maschine kann die Kreativität des Uhrmachers unterstützen und erlaubt sogar neue Formen der Gestaltung.» Die Sparte ist in einer steten Entwicklung begriffen. Auch darum müsse das hergebrachte Wissen erhalten werden.

Der Fortschritt der Mikromechanik muss der Bevölkerung vermittelt werden. «Das würde die Industrie in Biel und im Jura beflügeln», ist sich Julien Vuilleumier sicher. Schliesslich sei der Wirtschaftszweig tief in der Region verwurzelt.

 

Bieler Uhrentradition
bekannter machen

Daniele Andreatta, Geschäftsführer der Uhrenmarke Glycine, freut sich über die Aufwertung seiner Branche als Unesco-Kulturerbe: «Wenn sie durch die Dörfer der Berner Romandie fahren, werden sie zahlreiche Unternehmen entdecken, die sich zum Teil mit Weltklasse-Know-how auszeichnen. Trotzdem sind diese Firmen in der Bevölkerung unbekannt.»

Daher hofft Andreatta, dass die lange Bieler Uhrentradition jetzt besser ins Licht gerückt werde, allein deshalb, weil weltweit immer noch Genf als Uhrenmetropole gelte: «Dabei hat alles bei uns angefangen.» Der Chef von Glycine sagt über seine Industriesparte: «Seit jeher hatten Menschen das Bedürfnis, die Zeit zu messen. Daraus ist unsere Tradition entstanden, die so vielen ein Auskommen vermittelt.»

Das Bundesamt für Kultur wünscht sich für die Einbeziehung des Publikums eine gemeinsame Agenda im gesamten Jurabogen. Dafür fehlten in Biel Museen, bemerkt Daniele Andreatta: Es gebe zwar private Initiativen wie das Omega-Museum oder einen firmeneigenen Raum von Glycine, «aber die Region hätte bessere Möglichkeiten.»

Emanuel Bitton ist für das internationale Geschäft der Bieler Marke Armin Strom verantwortlich. Er sieht Ausstellungsräume nicht als einzige Botschafter der Industriekultur und weist auf die Chancen der digitalen Medien hin: «Die Wissensvermittlung kann physisch oder elektronisch geschehen. Die beiden Kanäle stehen nicht in Konkurrenz, sondern sie bilden ein komplementäres Instrumentarium.»

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