Sie sind hier

Abo

Literatur

Frau muss Federn lassen

Regina Dürigs Novelle «Federn lassen» ist ihr erstes Buch für Erwachsene. Es liest sich als ein Beitrag zur #MeToo-Debatte – und sammelt Ungeheuerlichkeiten, die nach wie vor trauriger Alltag vieler sind.

Regina Dürig
betritt mit ihrer Novelle «Federn lassen» 
erstmals die Bühne der Prosa für Erwachsene.


Clara Gauthey

«Dein Schweigen wird dich nicht schützen», schreibt die US-amerikanische Autorin Audre Lorde. Der Satz ist dem neuen Buch der Bieler Autorin Regina Dürig vorangestellt. Und darum ist es, obgleich voll des beschämten und ratlosen Schweigens, wohl als ein lautes Buch zu verstehen, auch, wenn es leise daherkommt.

«Federn lassen», heisst das schmale Büchlein mit einer ebenso schmalen Zeilenführung, die uns an Lyrik gemahnte, stünde da nicht das auf Prosa verweisende Wort «Novelle». Es ist das erste Buch für Erwachsene aus der Feder der bisher vor allem als Kinder- und Jugendbuchautorin bekannten Autorin Dürig («Imi fliegt», «2 1/2 Gespenster», «Katertag»). Im stotternden und satzzeichenlosen Zeilenumbruchs-Staccato wird erzählt von diesem Federn lassen, dem kleinen und grossen Schaden nehmen und gerupft werden einer Protagonistin, welche wir ab dem Alter von 4 Jahren bis ins 38. Lebensjahr hinein begleiten.

 

Gehorsam bis zum Würgereiz

Aber Vierjährigen, was kann denen schon passieren? Da passieren höchstens diese alltäglichen Kleinigkeiten, wird dem Kind zum Beispiel befohlen, zu essen, was auf den Tisch kommt, der Befehl, sitzen zu bleiben, bis zum Schluss, nur, dass es das Essen hier herunterwürgt, obwohl es ihm eklig ist, und würgt und schlingt, bis es sich übergeben muss. Solch schweigender, verbissener Gehorsam bis zum Würgereiz erstreckt sich gewissermassen über das ganze Buch. Und endet in der Feststellung, man habe es eigentlich ganz gut getroffen, denn man sei bislang nicht vergewaltigt worden.

«weil das/was von hinter dem Rücken/hervorgeholt wird/nichts weiter ist als/eine/Rose»

Dazwischen liegt eine lange Kette kleiner und grosser Traurigkeiten, reihen sich die Anekdoten wie stumpfe Perlen zu einem düsteren Schmuck moderner Weiblichkeit, die über Jahre hinweg anerzogen und abgedrängt wird zu Stillschweigen, Aushalten, Runterschlucken, nach wie vor. Erst sind es die Eltern, die es deckeln und zurechtstutzen möchten, dann mal ein Arzt, der der bewusstlos gewordenen Patientin «Mannschaftssport mit rauem Körperkontakt» empfiehlt, um sich in ihrer Weichheit fürs Leben abzuhärten, während er die Ergebnisse ihrer Untersuchung lauthals im Wartezimmer herausposaunt, denn ihre Angst vor einem Hirntumor, alles «nichts als Gehabe».

Es sind nur Kleinigkeiten, keine «echte, richtige» Vergewaltigung ist dabei. Eine üble Nötigung zu sexuellen Handlungen in einem Auto mit vier Männern, die die junge Frau vom einer Grillparty nach Hause fahren wollten, ja, die gibt es. Und eine Hand am Busen hier und eine da und eine in der Unterhose mitten im Getümmel der U-Bahn. Männerkörper, die sich auf der Tanzfläche von vorne und von hinten am Frauenkörper reiben und naja, manche bizarre Aufforderung zum Geschlechtsverkehr mit einem greisen Alten als Gruppensex, juchei, oder das patriarchale Machogehabe des Chefs und ein paar hässliche, sexistische Sprüche. Alles in allem das Übliche, dem sich Frauen beruflich und privat auszusetzen haben, nichts weiter.

 

Ich hatte Glück. Oder?

Nach der Aneinanderreihung menschlicher Ohnmacht bleibt beim Leser genau das zurück: Ohnmacht. Fassungsloses Schweigen darüber, wie immer und immer wieder die Grenzen der Scham, des Anstands, des Respekts mal laut, mal leise ignoriert werden. Getragen wird das alles von der Überzeugung, dass es anderes ginge, wenn man darüber spräche. Dass es einen sanfteren Umgang der Geschlechter geben könnte und eine funktionalere Gesellschaft, in welcher sich ähnliche Geschichten nicht tausendfach wiederholen müssten. Der Bezug zur 2017 lancierten #MeToo-Debatte ist offensichtlich. Und die Frage, welche im Diskurs immer wieder auftauchte, ob man Vergewaltigung und sexuelle Belästigung vermengen dürfe, muss mit Ja beantwortet werden. Jede Grenzübertretung gehört hinein die Debatte. Damit ein Satz wie «Ich hatte Glück ...», an Bitterkeit verliert.

 

Nachrichten zu Kultur »