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Literatur

«Niemand soll allein sterben müssen»

In ihrem neuen Krimi beschreibt Nicole Bachmann, wie ein Arzt Sterbewilligen Organe entnimmt und teuer verkauft. Wie realistisch ist ein solches Szenario?

Nicole Bachmann ist Gesundheitspsychologin und schreibt in ihrer Freizeit Kriminalromane. Bild: zvg

Mirjam Comtesse

Nicole Bachmann, in Ihrem Krimi kombinieren SieSterbehilfe und Organhandel. Was hat Sie dazu inspiriert?

Nicole Bachmann: Als Gesundheitspsychologin habe ich mich beruflich mit der Gestaltung des Lebendendes auseinandergesetzt. Dabei bin ich auf einen Juristen gestossen, der sich dafür einsetzt, dass Leute, die Sterbehilfe in Anspruch nehmen, ihre Organe spenden dürfen. So könnte man die riesige Lücke verringern zwischen den Patientinnen und Patienten, die jahrelang auf ein Spendeorgan warte, und solchen, die ihren Körper gerne zur Verfügung stellen würden. Doch das ist nicht erlaubt.

 

Warum nicht?

Weil der Druck auf Sterbewillige zu gross würde. Sie könnten kaum mehr im letzten Moment Nein sagen. Wie sollten sie einen Rückzieher machen, wenn sie jemandem schon ihre Lunge oder ihr Herz versprochen haben?

 

Und doch mutet es seltsam an, dass Leute, die sterben wollen, Kranken nicht helfen dürfen.

Nur auf den ersten Blick. Das Verbot finde ich absolut richtig. Als ich begann, über Organhandel zu recherchieren, bin ich erschrocken. Auch in Europa gibts diese Schattenwirtschaft, und es werden grosse Gewinne damit erzielt. Das sind also nicht bloss Schauermärchen. Ein schreckliches Beispiel dafür, wie begehrt Organe sind: In China wird der Vollzug der Todesstrafe jeweils so angesetzt, dass er zeitlich perfekt passt für die Menschen, die auf ein Organ des Verurteilten warten.

 

In Ihrem Krimi zeigen Sie den Gegensatz auf zwischen Menschen, die viel Geld zahlen, um sterben zu können, und solchen, die alles täten, um zu überleben. Was läuft schief?

Das ist natürlich alles fiktiv. In der Realität stammen die Menschen, die ihre Organe zur Verfügung stellen, aus armen Ländern und sind verzweifelt. Und meistens wird ihnen deutlich mehr Geld versprochen, als sie am Ende erhalten. Dazu kommt, dass ihre medizinische Versorgung in aller Regel schlecht ist.

 

Gibt es Organhandel auch in der Schweiz?

Ich bin keine Expertin auf diesem Gebiet. Aber man kann vermuten, dass auch Schweizerinnen und Schweizer in einer Notsituation bereit sind, illegal Organe zu kaufen.

 

Wie wahrscheinlich ist es, dass Ärztinnen und Ärzte versuchen, sich dank Organhandel zu bereichern?

International sind solche Fälle belegt, etwa in der Türkei, in Kosovo, in den USA, in Kanada und Israel. Immer wieder fliegen Netzwerke auf. Es müssen sich ja mehrere Berufsgruppen beteiligen, etwa aus Chirurgie, Anästhesie, Pflege und Spitalverwaltung.

 

Wie stehen eigentlich Sie als Gesundheitsexpertin zum assistierten Suizid?

Ich finde, es soll diese Möglichkeit geben für Menschen, die unheilbar krank sind und deren Tod absehbar ist. Aus Schweizer Studien weiss man aber, dass es für die Angehörigen oft schwierig ist, damit umzugehen. Ich finde es deshalb wichtig, dass der oder die Betroffene offen mit dem eigenen Umfeld redet und den Nächsten die Gelegenheit gibt, sich in aller Ruhe zu verabschieden.

 

Sie thematisieren in Ihrem Buch den wirtschaftlichen Druck in Spitälern. Was finden Sie besonders gefährlich daran?

Die Anreize gehen in die falsche Richtung. Zum Beispiel werden Gespräche zwischen Ärztin und Patient viel zu schlecht honoriert. Eine Spritze dagegen kann ein Arzt viel besser verrechnen. Das verleitet natürlich dazu, sich eher auf das Biomedizinische zu konzentrieren. Dabei sind Gespräche genauso wichtig. Nehmen Sie zum Beispiel einen Patienten, der multimorbid erkrankt ist. Ein Facharzt rät ihm nun zu einer Therapie, die im Widerspruch zu seinen anderen Erkrankungen steht. Vielleicht will der Patient sogar nachfragen, getraut sich aber nicht, weil der Arzt in Eile ist. Das darf nicht passieren. Genauso soll niemand allein sterben müssen,
nur weil niemand Zeit für ihn hat.

 

So wie es im ersten Corona-Lockdown teilweise geschehen ist. Wieso kommt in Ihrem Krimi rund ums Gesundheitswesen die Pandemie nie vor?

Ich hatte das Buch lange vor der Pandemie fertig geschrieben. Und als Privatperson wünschte ich mir, dass Corona endlich nicht mehr unser Leben bestimmt. Da will ich mich nicht auch noch schriftstellerisch damit beschäftigen. Ausserdem ist dies beruflich nicht mein Fachbereich.

 

Sie sind doch Sozialepidemiologin?

Das verwechseln viele. Ich bin Sozialwissenschaftlerin, nicht Virologin. Ich untersuche soziale Faktoren, die eine Rolle dabei spielen, wie es bestimmten Bevölkerungsschichten gesundheitlich geht.

 

Wie reagieren eigentlich Ihre Forschungskolleginnen und
-kollegen darauf, dass Sie in Ihrer Freizeit populäre Krimis schreiben?

In der Regel gut. Für mich ist es sehr wichtig, diese beiden Welten auseinanderzuhalten. Als Krimiautorin recherchiere ich zwar detailliert, ich nehme mir aber auch die Freiheit, Geschichten zu entwickeln.

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